"Vivent les différences"- das "Vereinigte Europa" funktioniert nicht.

Zerbricht Europa wirtschaftlich am EURO und politisch an Merkels fehlgeleiteter Flüchtlingspolitik oder an den Renationalisierungstendenzen? Relativ zur Gesamtfläche zeichneten sich die Länder Europas traditionell durch eine ausgeprägte Vielfalt in ihren Kulturen, Sprachen, Religionen und wirtschaftlich-politischen Systemen aus. Daraus ergaben sich große gesellschaftliche, künstlerische, literarische, musikalische, aber auch naturwissenschaftliche Entwicklungen, die bis heute unverkennbar mit Europa verbunden sind. Denken wir dabei zB. an das Wien der Jahrhundertwende ("fin de siecle", Literaten, Jugendstil, Wiener Kreis, etc..), den Vielvölkerstaat der Habsburgermonarchie, einer geistig äußerst produktiven Zeit, wenn auch mit großen sozialen Problemen, weshalb ich diese Zeit auch nicht verherrlichen will.

Diese Vielfalt hatte auch Nachteile, weil sie mitverantwortlich war für durch Nationalismen ausgelöste Kriege und Konflikte. Auch die Habsburger Monarchie ist an den erstarkenden, nationalen Zentrifugalkräften gescheitert.

Ein ähnliches Phänomen zunehmender Renationalisierungsbestrebungen erleben wir jetzt in Europa, BREXIT machte den Anfang. Ein Wiedererstarken rechtspopulistischer Parteien, die gesellschaftlichen Pluralismus weitestgehend ablehnen, ist unverkennbar. Ungarn und Polen entfernen sich zunehmend vom Wertesystem der Demokratie und im EU-Nachbarsland Türkei hat Erdogan mit seinem Gegenputsch und der Verhaftung tausender Intellektueller die Demokratie de facto zerstört.

Das Zusammenwachsen Europas nach dem 2. Weltkrieg hat die Instabilität in Europa auch infolge des zunehmenden wirtschaftlichen Austausches und durch verschiedene Institutionen wie Europarat, Europäische Menschenrechtskonvention, NATO, KSZE und insbesondere die EU erheblich reduziert. Man sprach auch vom "Friedensprojekt EU" und dass es damit "nie mehr Soldatenfriedhöfe" geben sollte.

Mit eine realpolitisch fehlgeleiteten "Willkommenskulturpolitik" und auch ihrer kritiklosen TTIP-Befürwortung hat Merkel die europäische Gesellschaft politisch gespalten und damit auch den Rechtspopulismus wiederum stärker zum Leben erweckt. Zu diesen Themen wurde auf dieser Plattform (auch von mir) schon genug geschrieben und Merkels Rücktritt wäre längst überfällig.

Ich beschränke mich in diesem Beitrag daher auf den EURO, der sich zunehmend ebenso als Albtraum für Europa entpuppte. Der Lissabon-Vertrag hat die EU zu einem Integrationsgrad geführt, dessen Ausmaß zu einer Abwendung der Mehrheit der EU-BÜRGER vom Brüsseler Zentralismus teilweise zu Recht geführt hat.

Auch wird der EURO ohne einheitliche Wirtschaftspolitik nie funktionieren. In einem Handelsblatt-Gastkommentar empfiehlt der Investor George Soros daher, die Europäer sollten das Brexit-Debakel nutzen, um endlich einen besseren Klub zu organisieren. Die Eurozone müsste ein eigenes Finanzministerium und einen eigenen Haushalt erhalten, findet er, ansonsten wird der EURO nie funktionieren. Diesen Vorschlag macht Frankreich seit langem, in Berlin breitet sich dazu jedoch selektive Schwerhörigkeit aus.

Griechenland führt uns jedoch vor Augen, dass ein durch die EU auferlegtet Umbau seines wirtschaftlich-gesellschaftlichen Systems, dass über Jahrhunderte gewachsenen ist, nicht funktioniert gegen den Willen und die Mentalität eines Grossteils der griechischen Bevölkerung.

Europa kann nicht gegen den Willen seiner EU- Bürger agieren und braucht deshalb dringend eine institutionelle Erneuerung, die wieder mehr die Eigenverantwortung und Eigenständigkeit seiner Länder in den Vordergrund stellt. Von den derzeitigen Akteuren der EU in Brüssel, Strassburg und Frankfurt scheint man jedoch keine fundamentale Reform der EU in diese Richtung erwarten zu können.

Der Euro hat sich jedoch inzwischen zu einem Albtraum entwickelt:

Wie auch Paul Krugman (NYT) argumentiert, seien massive Kapitaltransfers vom EU-Zentrum in Richtung mediterrane EU-Peripherie geflossen, die aufgrund der Staatsverschuldungen plötzlich weitgehend zum Stillstand kamen ohne nachhaltige Problemlösung. Dies löste asymmetrische währungspolitische Schocks aus, die ohne eine infolge des EURO's nicht mehr mögliche Anpassung über die Wechselkurse! der Länder kaum verdaubar sind. In vergangenen Zeiten hatte zB. Italien seine Lira oder Griechenland seine Drachmen immer wieder abgewertet und damit über den Wechselkurs für wirtschaftlichen Ausgleich gesorgt oder über die Zinspolitik (Zinsdifferential).

Der Wegfall dieser Instrumentarien durch die gemeinsame Währung rächt sich heute. Mit dem Euro wurde nicht nur ein wesentlicher Anpassungsmechanismus - die Wechselkursflexibilität - den man heute dringend benötigen würde, beseitigt. Mit dem EURO wurde auch eine divergierende und nicht konvertierende ökonomische Entwicklung der Mitglieder begünstigt.

Wirtschaftliche Asymmetrien:

Während Länder wie Frankreich, Italien, Spanien und Griechenland in hoher Arbeitslosigkeit - insb.auch Jugendarbeitslosigkeit bis zu 50% - versanken, erlebt das boomende Deutschland, für das der Euro viel zu billig ist, steigende Handelsbilanz - Überschüsse und eine sinkende Arbeitslosigkeit.

Handelsbilanzüberschüsse und Defizite unter den europäischen Staaten wurden über den Wechselkurs (Weichwährungspolitik) und die Zinspolitik (deutlicheres Zinsdifferential bei Staatsanleihen) ausgeglichen.

Um die Währungsunion wieder funktionsfähig zu machen, müsste man entweder

a)den EURO wieder zu Grabe tragen

oder

b) die unpopuläre Preis- und Lohnflexibilität der Mitglieder Steigern. Dies zählt auch als wichtige Bedingung des dritten Hilfspakets für Griechenland, was tiefgreifende Reformen der Arbeitsmärkte impliziert.

Zudem müssen nicht wettbewerbsfähige Staatsbetriebe privatisiert werden. Auch die Mobilität der Arbeitskräfte, die aufgrund von zahlreichen natürlichen (kulturellen, sprachlichen) Barrieren beschränkt ist, müsste im großen Stil erhöht werden durch Transfers vom «Norden» in den «Süden».

Die Einhaltung der im EU-Vertrag enthaltenen Vorgaben bezüglich Staatsdefizit und Staatsverschuldung zur Verhinderung eines "Free-Rider-Verhaltens" müssten wieder ernst genommen wurden, soeben hat man bei Spanien und Portugal wieder ei Auge zugedrückt.

Mit anderen Worten:

Die EU müsste letztlich einen grossen Schritt in Richtung einer weiteren politischen Integration machen – was einige natürlich von Anfang an im Auge hatten, wie ein Winston Churchill nach dem 2. Weltkrieg in seiner Rede 1946 an der Universität Zürich, wo er sich die «Vereinigten Staaten von Europa» als Endziel für Europa wünschte getragen von der Vision eines Friedensprojektes.

Die Frage ist, ob diese politische Integration im Dienste des Euro von den Bürgern noch unterstützt werden würde. Zu sehr haben sich die Eurokraten mit ihrer Hörigkeit gegenüber Konzernlobbyismus und neoliberalen, degenerierten Finanzkapitalismus vom Willen des Volkes entfernt. Auch die Deutsche Bank oder Credit Suisse u. a. haben sich zu Skandalbanken entwickelt, man beachte den dramatischen Kurssturz.

Ob die politische Integration im Hinblick auf die Bewahrung unterschiedlicher Identitäten Europas überhaupt noch erstrebenswert ist?. Grosse Zweifel sind dabei angebracht und ein Umdenken wird unvermeidlich.

Für einen wiederum nötigen Schuldenerlass an der Peripherie ist die Bereitschaft gering, detto zu permanenten Transfers in den mediterranen Raum der der EU. Überdies lassen Beispiele wie Süditalien, das trotz Transfers stagniert, oder Ostdeutschland, das sich bei inflexiblen Löhnen nur schleppend entwickelt, die Vermutung aufkommen, dass eine Anpassung über flexible Wechselkurse sogar mehr Vorteile bringen würde.

Weshalb sollte man dann krampfhaft an einer gemeinsamen europäischen Währung festhalten, wenn sie sowohl ökonomischen als auch politischen Sprengstoff birgt?

Die Dekonstruktion des EURO wäre allerdings auch nicht ganz unproblematisch:

Eine Währungsunion aufzulösen, erscheint schwieriger als deren Schaffung. Die Geschichte zeigt, dass fast 70 Länder und Territorien seit dem 2. Weltkrieg eine Währungsunion schon einmal verlassen haben mit mehr oder weniger Erfolg. Ökonomen sind sich dabei einig, dass bei einem Austritt eines Landes vorübergehend der internationale Kapitalverkehr beschränkt und seine Banken geschlossen werden müssten. Die Gelder auf Bankkonten und Lohnzahlungen von Inländern müssten in die neue Währung umgewandelt werden, das neue Zahlungsmittel müsste schnell verfügbar gemacht werden.

Offen ist dabei auch, wie das private und staatliche Fremdkapital (in der alten Währung) behandelt wird. Es ist davon auszugehen, dass beim Austritt eines überschuldeten Landes ein Schuldenschnitt, kombiniert mit einer Umwandlung der Schuld in die neue (schwache) Währung, erfolgt.

Umgekehrt bei einem starken "Hartwährungsland" sinken zwar dessen Schulden, aber eben auch dessen Guthaben, ausgedrückt in der neuen, aufgewerteten Währung.

Es gäbe gute Gründe, weshalb der Austritt eines starken Landes wie Deutschland einfacher zu handhaben wäre. Die Gefahr von Bank-Runs und Kapitalabflüssen wäre geringer. Beim Austritt Deutschlands würde sich der "Rest-EURO" zum Vorteil von dessen Mitgliedern abwerten, während die starke "Neue Deutsche Mark» das Austauschverhältnis zwischen deutschen und ausländischen Firmen normalisieren würde.

Ob sich der Euro vollständig in nationale Währungen auflösen würde, ist offen. Währungsräume homogenerer Regionen («Süd-Euro») oder die Einführung einer Fremdwährung als gesetzliches Zahlungsmittel (wie in Liechtenstein oder Montenegro) wären denkbar. Eine Auflösung der Währungsunion «von oben», im Sinne einer gemeinsamen Strategie der WWU-Mitglieder, ist schwierig und unter anderem deshalb nicht zu erwarten, weil dieser Entscheid wohl im Geheimen erfolgen und von heute auf morgen umgesetzt werden müsste, um Megaspekulationen auf die Währung zu verhindern.

Wenn der Euro nicht nur in der EU, sondern in ganz Europa zu riesigen Anpassungskosten führt, wenn er die Entwicklung hemmt und Konflikte schürt, ist aus politischen Gründen eine Richtungsänderung ins Auge zu fassen. Schliesslich werden sich langfristig jene Systeme durchsetzen , die aus gesellschaftlicher Sicht einigermassen effizient sind.

Wenn man die Politiker wie bisher weitertun lässt, werden sie wohl weiterhin viel Geld in den Erhalt des Euro investieren. Nur, irgendwann werden die Kosten zu hoch sein, und die Bevölkerung wird, zwar relativ spät und zu noch höheren Anpassungskosten, ein effizienteres System durchsetzen.

Die nicht funktionierende Währungsunion ist Symptom eines fundamentalen Problems der EU, nämlich ihrer Tendenz zu einer allzu starken politischen Integration. Dabei werden Produkt- und Produktions-Harmonisierungen in den Dienst des internationalen Handels bzw. des Binnenmarkts gestellt. Arbeitsmarktregulierungen und Steuersysteme werden vereinheitlicht mit dem Argument, den Austausch von Arbeit und Kapital in die «richtigen» Bahnen lenken zu wollen.

Dabei wird vernachlässigt, dass Länder aufgrund ihrer Präferenzen und Traditionen gute Gründe haben, Dinge unterschiedlich zu regulieren und den Zugang zu einzelnen Märkten zu beschränken. Die Harmonisierungstendenz in der EU wird so zu einer ernsten Bedrohung für die Vielfalt in Europa.

Ich bin ein begeisterter Griechenlandurlauber, der Griechenland so erleben möchte, wie es ist und nicht wie es nach Merkels Vorstellungen sein sollte.

Kooperation:

Dort, wo es gute Gründe gibt für eine gemeinsame Politik, ist die EU wiederum zu wenig aktiv. Ein Beispiel ist die aktuelle Flüchtlingstragödie. Ein Grund für das zögerliche Handeln der EU liegt wohl darin, dass sie nicht die richtige Ebene für die Lösung dieses Problems darstellt. Flüchtlinge werden in Italien, Griechenland und Ungarn bereitwillig weitergeleitet, und die übrigen EU-Mitglieder warten ab, bis die Länder an der Aussengrenze das Problem gelöst haben; auch besteht die Tendenz, sich innerhalb der EU zu «verstecken» und damit zu rechnen, dass Brüssel die Probleme löst.

Alternative Institutionen für Europa:

Als Vorbild könnte man sich am Regulativ der EFTA orientieren, jedoch auch mit WTO-Ländern. Die Mitglieder wären selber verantwortlich für ihre Geld- und Fiskalpolitik. Sie könnten sich verschulden, wie ihnen dies der Kapitalmarkt erlaubte. Ihre Staatssektoren könnten gross oder klein sein, ihre Arbeitsmärkte wären mehr oder weniger gewerkschaftlich organisiert und ihre politischen Systeme unterschiedlich stark demokratisch legitimiert.

Jedes Land würde die Konsequenzen primär selber tragen. Der Austausch von Gütern und Dienstleistungen basierte auf dem Prinzip der gegenseitigen Anerkennung, wobei die Länder im nationalen Interesse (Sicherheit, Gesundheit, Umwelt) unter Beachtung des WTO-Abkommens weitgehend selbstbestimmt agieren könnten.

Der Umfang der Migration würde, bei geringerem Migrationsdruck, von jedem Land selber bestimmt. Die Länder könnten sich allenfalls auf gewisse Prinzipien (z. B. Art der Allokation) einigen. Die politische Integration würde nach den Grundsätzen des fiskalischen Föderalismus und der Subsidiarität eng beschränkt.

Der Erhalt gemeinschaftlicher Ressourcen (saubere Luft, etc..) oder die Lösung von Problemen, die alle betreffen (Flüchtlinge), würde über internationale Kooperationen angestrebt, zum Teil auf Initiative der neuen europäischen Institution, die aufgrund der Fokussierung dafür auch Zeit und Geld zur Verfügung hätte.

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enrico.bergmann

enrico.bergmann bewertete diesen Eintrag 29.07.2016 09:40:02

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