Wohlstandsbehinderung und "auffallend unauffällige" Jugend - die neue Tyrannei eines Neo-Konventionalismus

Haben viel junge Menschen keine "großen" Lebensziele und Träume mehr?. Warum nimmt man im Moment grösster potenzieller Freiheit so wenig an Möglichkeiten wahr, sondern verweilt in der kuscheligen Mitte, in der Lebensgewohnheiten und Denken weitestgehend konformistisch sind?

Der neue jugendliche "Neo-Konventionalismus": Es gibt demnach kaum mehr Abgrenzungsbemühungen der Jüngeren gegenüber den Erwachsenen und keine Subkulturen. Das Wertegerüst ist einheitlich, und zum "Mainstream" zu gehören wird nicht mehr als Schande empfunden. Junge Menschen wollen auffallend unauffällig sein. Bloß keine Fehltritte. Maschinengleiches, standardisiertes Leben, sich wiederholend bis zur äußersten Abgedroschenheit. Was für eine Kultur, die solcher Schattengestalten bedarf.

"To live out loud"

Liegt der tiefere Sinn der Jugend nicht darin, "laut zu leben" (Emil Zola).

C.G.Jung:

"Ein Junger, der nicht kämpft und siegt, hat das Beste seiner Jugend verpasst, und ein Alter, welcher auf das Geheimnis der Bäche, die von Gipfeln in Täler rauschen, nicht zu lauschen versteht" hat auch den Sinn des Lebens nicht verstanden.

Der junge Mensch von heute möchte möglichst lautlos Lebenslaufpunkte abhaken: Ausbildung, Beruf, Familie, ein Leben in bescheidenem Wohlstand, in Frieden und Harmonie. Selbst wenn er mal laut reagiert – etwa ein «LOL» in Textnachrichten («laughing out loud»), man hört es nicht.

Hätte sich Sokrates (5.Jh.v.Chr.) in der heutigen Jugend getäuscht, wenn er die Ausschweifungen der Jugend beklagte, vor allem die Ungehorsamkeit gegenüber den Älteren:

"Die Jugend liebt heutzutage den Luxus. Sie hat schlechte Manieren, verachtet die Autorität, hat keinen Respekt vor den älteren Leuten und schwatzt, wo sie arbeiten sollte. Die jungen Leute stehen nicht mehr auf, wenn Ältere das Zimmer betreten. Sie widersprechen ihren Eltern, schwadronieren in der Gesellschaft, verschlingen bei Tisch die Süßspeisen, legen die Beine übereinander und tyrannisieren ihre Lehrer".

Die neuen jugendlichen Konventionalisten sind dagegen sparsame Gemüter, bescheiden und angepasst, sie denken in kleinen Maßstäben, haften am Altbekannten und sind mit ihren Eltern befreundet oder leben noch bei ihnen, sofern diese nicht ohnehin ihre grössten Vorbilder sind. Eine alarmierende Entwicklung, wo vor lauter Lebens- Schwellenangst Träume, hohe Ambitionen und Visionen, in die Welt hinausgehen weitgehend tabu sind.

"Vom Leben ist nichts Grosses zu erwarten. Nimm, was du bekommst und sei froh damit" - das kann doch nicht der Sinn des Lebens eines Jugendlichen (Generation Y) sein. "Thinking Small" statt "Thinking Big". Das Leben ist doch kein Zwergentum im Schrebergarten. Laut der Studentenstudie 2016 von Ernst & Young finden 32% der angehenden Akademiker eine Laufbahn im öffentlichen Dienst besonders attraktiv, bei den Frauen sind es 42%.

Bloß keine Fehltritte:

"Du lebst nur einmal, also versau' es nicht. Bloss keine Fehltritte!" - mit so einem Leben hat man doch die A....karte gezogen, oder? Der Neokonventionalist ist ein Konformist. Nach der Standardisierung der Garderobe folgt das Denken nach DIN-Norm, er will korrekt sprechen, ähnliche Sachen essen, möglichst biologisch und korrekt konsumieren, sich entspannt, nett und gefällig verhalten und über die gleichen smarten Kanäle kommunizieren.

Mit Rousseau abgewandelt könnte man meinen:

"Der Mensch ist frei geboren, und überall legt er sich Ketten an". Hinter der neuen Uniformität (Neokonventionalismus) der Lebensführung steckt doch auch ein Akt freiwilliger Knechtschaft – eine neue Gehorsamsgeste. Junge Menschen sind heute zunehmend wieder "autoritäre Charaktere", wie der Sozialpsychologe Erich Fromm sagen würde, dessen teils über 70 Jahre alten Texte erschreckend aktuell klingen. Sie sind gleichgültig sich selber gegenüber und folgen der Herde. Sie haben Angst vor dem Ausgeschlossensein, zuerst vor dem Liebesentzug der Eltern, wenn sie nicht "brav" waren, später vor dem Ausschluss aus der Gruppe, was die Vernetzung auf sozialen Netzwerken (mit zugehörigem Gerät) fast schon zum Menschenrecht adelt. "Der moderne Mensch will von jedem akzeptiert werden", so Fromm.

Man beginnt als Original und endet in der Kopie, junge Menschen werden im Einheitsbrei weichgekocht:

Anders zu sein, so die Erfahrung, ist ein Risiko, und zwar nicht nur, wenn man mit dem falschen Paar Schuhe vor dem angesagtesten Club der Stadt steht. Wer heute anders denkt, redet, sich kleidet und konsumiert, steht unter Rechtfertigungszwang. In den USA arbeiten fast die Hälfte aller Harvard-Absolventen entweder in den Bereichen Finance oder Unternehmensberatung. An anderen Elite-Colleges sind die Präferenzen ähnlich gelagert, trotz sehr unterschiedlicher Fachrichtungen. Man beginnt als Original und endet als Kopie. Die Standardisierung erfolgt quasi freiwillig. Man muss jungen Menschen gar nicht explizit drohen, niemanden zwingen oder brechen. Es genügt völlig, diese im allgemeinen Einheitsbrei langsam weich zu kochen. Hinzu kommt noch der "Political Correctness-Terror", ein Aufbegehren gegen nonkonformistische Meinungsfreiheit.

Vom Leben ist nichts Grosses zu erwarten. Nimm, was du bekommst und sei froh damit:

Das Leben wird als schrumpfende Komfortzone wahrgenommen, das wie die arktischen Eisschollen im Klimawandel dahinschmelzen und auf den verbleibenden kuscheln sich die Pinguine immer enger aneinander. Der Blick auf unkonventionelle Lebenswege wird in der Masse erschwert, wenn nicht verunmöglicht. Exzentrik wird in virtuelle Zweitexistenzen ausgelagert oder in der realen Welt höchstens als Folklore geduldet, die ja ohnehin nur ironisch gemeint ist. "Die erfolgreichste Tyrannei", so der amerikanische Philosoph Allan Bloom, "ist diejenige, die es schafft, das Bewusstsein für andere Möglichkeiten auszulöschen". Warum sollte eine Generation von Konformisten, Profiteuren und Verwaltern ausgerechnet Revolutionäre hervorbringen?

Wer will noch gegen den Strom schwimmen auf der Suche nach der reinen Quelle: Neues Berufsziel die Pension, die es dann nicht mehr so wie heute geben wird sagte kürzlich Bronner/STANDARD-Herausgeber in einem Interview.:

Der unausgesprochene Generationendeal beruht darauf, es so zu machen, wie die Eltern aus der Babyboomer-Generation – also den sicheren Weg einzuschlagen, mit dem Gegebenen zufrieden zu sein, vom bisher Entdeckten zu zehren und in der Starre der Unauffälligkeit bis zu Rente oder Erbschaft zu verharren.

Eine in Widerstandsgeist und in der Entdeckung neuer Lebenswelten ungeübte Generation ist herangewachsen im Irrglauben, es deswegen einmal besser zu haben.

Wohlstandsbehinderung - neues Krankheitsbild unserer modernen Gesellschaft:

Die Menschen verlernen demokratisch zu leben, sich demokratisch zu organisieren und laufen Gefahr, Opfer geistiger Erstarrung zu werden. Die neuen Neokonventionalisten sind babyboomergeschädigt, sie wurden mit den besten Absichten in die Wohlstandsbehinderung hineingepäppelt. Der Zertifizierungswahn und Akademisierungswahn hat für mich schon längst degenerative Formen angenommen - cui bon? Wem nützt das alles noch, wo bleibt die echte kulturelle und materielle Wertschöpfung?. Ich sehe sie vielfach nicht mehr.

Trotzdem wäre es falsch, wie der Tenor dieses Beitrages etwas bewusst provokant übertrieben zum Ausdruck bringt, die junge Generation abzuschreiben. Es gibt auch hochqualifizierte junge Menschen, die etwas im Hirn haben und dabei sind, eine völlig neue, vernetzte, virtuelle Welt zu schaffen. Jedoch die Arbeitsersparnisse der Automation und Computerisierung hat dazu geführt, dass wir uns künstliche Arbeit, Controllingswahn, Listenwahn, Dokumentationswahn und wachsende Bürokratie in allen Bereichen geschaffen haben, womit sich die Katze wieder in den eigenen Schwanz beißt.

Es gibt auch eine hochkreative Welt von Jugendlichen, die Ideen zur Weltverbesserung haben und auch drängende Probleme der Zukunft identifizieren, jedoch die träge Jung und Alt-Masse dahinter übt sich in Innovations-Resistenz. Das beginnt bei uns schon mit der Vision "Industrie 4.0", zwar schon in aller Munde, aber nicht viel mehr und die digitale Transformation ist auch in den Schulen mit Ausnahme einiger Engagierter noch nicht angekommen.. Nur mit "Out of the box" - Thinking schaffen wir einen evolutionären Schritt nach vor und nicht wieder eine Pendelbewegung nach rückwärts, die uns der neu Rechts-u-Linkspopulismus zumindest politisch gerade einbrockt. Der moderne Mensch ist leicht zu lenken, aber schwer zu etwas zu bewegen. Nicht die Irrtümer, sondern die Trägheit ist der größte Feind des Fortschrittes.

"Der Hunger würzt die Mahlzeit,

Müdigkeit schnarcht auf dem Stein,

und Trägheit findet hart das Daunenbett"

(Shakespeare)

1
Ich mag doch keine Fische vergeben
Meine Bewertung zurückziehen
Du hast None Fische vergeben
6 von 6 Fischen

bewertete diesen Eintrag

julbing

julbing bewertete diesen Eintrag 14.11.2016 13:53:10

Noch keine Kommentare

Mehr von EBgraz