Das wußte man schon im alten Rom: Tempora mutantur, die Zeiten ändern sich, auch wenn es manchmal sehr lange dauert, bis sich ein Zeitgeist, der lange bestanden hat, auflöst. Aber mehr als zweitausend Jahre nach dem Aufkommen dieses Spruchs neigen wir Menschen immer noch überwiegend dazu, diese triviale Erkenntnis zu bagatellisieren und gelegentlich sogar zu ignorieren. Besonders dann, wenn die Umstände so geartet sind, wie wir es gerne mögen, gehen wir fast immer davon aus, daß alles so schön bleibt, wie es sich zum Zeitpunkt unserer Zukunftserwartung gestaltet.

In den meisten Fällen haben wir damit recht. Aber je länger ein bestimmter Zeitgeist bestand gehabt hat, umso eher erwartet ihn am Ende oft das, wofür die alter Römer noch einen weiteren Fachbegriff hatten: Ein annus horribilis, ein schreckliches Jahr. So, wie es zur Zeit aussieht, entwickelt sich das Jahr 2018 zu einer solchen Erfahrung für Merkel, Seehofer und ihre gesamte keineswegs mehr christliche, kaum noch demokratische, und für das indigene deutsche Volk höchst unsozial eingestellte Entourage.

Ein Mitglied dieser Gefolgschaft, der merkelsche Schleppenträger, Talkshow-Stammgast und sogenannte "Innenexperte" Wolfgang Bosbach, hat sich jetzt wieder zu Wort gemeldet und erklärt, in seiner Partei werde es trotz interner Kritik keinen Umsturzversuch geben. Die CDU, so Bosbach, sei im Gegensatz zur SPD eher "pflegeleicht" - ein völliges Verkennen des tempora mutantur Grundsatzes, denn in der Politik bleibt auf die Dauer kein Stein auf dem anderen. Aber schön, nehmen wir mal an, daß Herr Bosbach recht hat, dann erwartet die Unionsparteien mit ziemlicher Wahrscheinlichkeit ein Schicksal, das sich sehr vermutlich als stärker horribilis erweisen wird, als wenn die Pflegeleichtigkeit zumindest vorübergehend pausiert und ein Umsturz stattfindet.

Ich hatte vor ein paar Wochen auf dieser Plattform vorausgesagt, daß die deutschen Unionsparteien sehr nahe an einer Gabelung ihrer historischen Trendentwicklung angekommen sind: Entweder es kommt bald zu einer Palastrevolution gegen die Partei- und Regierungschefin und ihre Kamarilla oder aber, wenn das nicht eintritt, dann besteht eine hohe Wahrscheinlichkeit, daß sich die CDU in ähnlicher Weise zerlegt wie seinerzeit ihre italienische Schwester, die Democrazia Cristiana, deren ursprüngliche Wählerschaft sich jetzt auf mindestens fünf kleinere Parteien verteilt.

Also wenn Herr Bosbach recht behält, und die Palastrevolution ausbleibt, dann droht der Union aus meiner Sicht ein wesentlich schlimmeres Schicksal, als wenn die CDU Angela Merkel in die Wüste schickt - ein annus domini horribilis MMXVIII, ein schreckliches Jahr des Herrn 2018. In seinen Ansätzen ist ein solches Desaster bereits deutlich erkennbar, denn die Union ist in der gerade veröffentlichten Sonntagsfrage von INSA bereits unter 30% abgestürzt. Wenn man die historischen Entwicklungsmuster politischer Parteien studiert hat und diese Erfahrung zu Rate zieht, dann erkennt man klar, daß ein geradliniges Beschreiten des bisherigen parteipolitischen Pfades nicht mehr weiter möglich sein wird - Pflegeleichtigkeit hin oder her.

Bosbachs Einschätzung beruht auf der uns Menschen eigenen und durch die Evolution erworbenen geometrischen Tendenz der linearen Extrapolation, oder "deutschtümlich" ausgedrückt, der geradlinigen Fortschreibung des bestehenden status quo. Wenn Leute voraussagen, was sein wird, dann prophezeien die meisten von ihnen nicht die Zukunft, sie prophezeien die Gegenwart, vielleicht unter Einschluß der unmittelbaren Vergangenheit. Nach meinen Beobachtungen gilt das für alle Bildungsklassen einschließlich der sogenannten Wissenschaftler. Bei den Ökonomen habe ich das besonders deutlich erkannt. Wie oft hören wir Voraussagen wie zum Beispiel "die wirtschaftlichen Aussichten für die Zukunft sind hervorragend, denn die Beschäftigung IST auf einem hohen Niveau, die Unternehmergewinne SIND auf einem Rekord, die Inflation IST niedrig, die Konsumneigung IST hoch", und so weiter und so fort - IST, SIND, IST, alles Gegenwart. Wenn aber wirtschaftliche Daten auf einem hohen Niveau SIND, dann könnten sie durchaus einen vorläufigen Höhepunkt erreicht haben. Und wie nicht nur Bergsteiger wissen, gibt es nur eine Richtung, die von einem Gipfel wegführt: Der Weg nach unten.

Projiziert man wie Herr Bosbach einen status quo in die weitere Zukunft oder betreibt die geradlinige Fortschreibung eines laufenden Trends, dann steht man mit seinen Voraussagen eine Zeit lang ziemlich gut da. Man liegt dann im wesentlichen nur einmal falsch, nämlich dann wenn sich der Trend wendet. Dummerweise ist aber das Erkennen einer Trendumkehr die einzige Voraussage, die wirklich einen Wert besitzt. Solange eine Hochkonjunktur anhält, kann man sich einfach zurücklehnen und die Fahrt genießen. Und weil man unterbewußt annimmt, daß alles so schön bleiben wird wie es im Augenblick ist - weil es ja meistens wenn auch nicht immer so der Fall gewesen war - werden Politiker, Wirtschaftler, Journalisten, Wissenschaftler und auch der größte Teil der Bevölkerung von entscheidenden Richtungsänderungen immer wieder völlig überrascht und überrumpelt. Und das gilt natürlich auch für Wolfgang Bosbach.

Die CDU mag bisher durchaus "pflegleicht" gewesen sein, aber es handelt sich dabei um einen Trend der bereits starke Ermüdungserscheinungen aufzeigt und der seiner Wende gefährlich nahe gekommen ist. Wir befinden uns erst am Anfang des annus 2018, aber mit dem Rücktritt des Genossen Schulz ist bereits ein Ereignis eingetreten, daß man durchaus als horribilis betrachten darf. Der Absturz der GroKo-Parteien in der jüngsten INSA-Umfrage (auch die SPD ist bei nur noch 16,5%) erfolgte jetzt der zweite Schlag. Wie viele Schläge brauchen wir für eine Wende? Wenn dieses Jahr des sehr wahrscheinlichen Horrors vorüber ist, haben wir entweder ein neues Regierungs- und CDU-Parteioberhaupt oder die angeblich christliche und kaum noch demokratische Union befindet sich in ihrer Auflösung - so ähnlich wie seinerzeit die Democrazia Cristiana. Tempora mutantur, Herr Bosbach, welches der beiden Szenarien ziehen Sie vor - denn ohne eines der beiden werden Sie kaum Neujahr 2019 feiern können. Aber wenn's ganz horribilis kommt, dann könnten anno 2018 auch beide Szenarien eintreten.

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Matt Elger

Matt Elger bewertete diesen Eintrag 15.02.2018 16:50:34

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