Kann man ein Haus kaufen, ohne die künftige Finanzierbarkeit und die Wertenwicklung des Objekts zu prüfen? Kann man eine Firma gründen ohne eine Idee von Kosten und Erträgen zu haben? Kann man Firmenanteile kaufen, ohne nebst Management, Marktumfeld und Produkte-Pipeline die langfristigen Unternehmens-Kennzahlen zu berücksichtigen? Kann man sich in der Katar-Sache und zu den Reaktionen der Politik eine Meinung bilden ohne Miteinbezug der Ölpreisentwicklung und ihrer Gründe, des Saudi Arabischen Haushalts-Defizits, des Rüstungsdeals mit den USA (350 Mrd. Dollar über 10 Jahre) und der Unternehmensbeteiligungen der Qatar-Holding (rund 9% Hochtief, 5% Crédit Suisse, 17% VW, 9% Lagardère, 10% London Stock Exchange, 8% Glencore, 25% Sainsbury’s um nur ein paar zu nennen)?  Die Antwort: Natürlich kann man. Es empfiehlt sich aber nicht.

Was James Carville, Wahlkampf-Stratege Bill Clintons vor 25 Jahren nebst zwei anderen Punkten (Healthcare, Change) als Gedankenstütze für das Helfer-Team auf ein Schild im Hauptquartier in Little Rocke notierte, gilt nach wie vor: „The economy, supid!“ Denn: Was auch unter Miteinbezug ökonomischer Daten ein schwieriger Flug ohne Instrumente ist, wird ohne sie zum Blindflug. Das gilt nicht nur für das Verständnis von „Krisen“ aller Art sondern auch für den Weg, den wir als Gesellschaft hinter und vor uns haben. Wer die grobe Richtung kennen will, muss nach den Zahlen fragen. Besser: nach Werten.

Was besagten Weg anbelangt, so ist es, was seine Beschaffenheit betrifft trotz diverser „Krisen“ nach wie vor ein bequemer – echt existentielle Nöte (Nahrung, Kleidung, Wohnung, medizinische Notversorgung) sind selten. Das Problem derweil: den grössten Teil der leicht befahrbaren Strecke haben wir hinter uns. Nach einer der nächsten Kurven steht eine Wand. Die Chancen, nicht dagegen zu fahren und die Sache unversehrt zu überstehen sind gering. Der Grund auch hier: Werte. Allen voran Geld. Staatsgeld. Es vernichtet stets und zuverlässig Vermögen, ideelle Werte und liquidiert am Ende eine Gesellschaft.

Warum es so hart formulieren? Warum Liquidierung – Veräusserung, Auslöschung, Vernichtung – sagen anstatt sozial verträglich und leicht verdaulich von Paradigmenwechsel, Wertewandel, Haushaltsdefiziten und Staatsverschuldung sprechen? Von Dingen, die behoben, umgekehrt, korrigiert werden können oder gar Naturgesetz im Wechsel der Zyklen sind? Deshalb, weil nicht repariert werden kann. Deshalb, weil die gängigen Worte eine Wahrheit suggerieren über die wir längst hinausgeschossen sind. Die Wahrheit nämlich, dass Schulden nicht per se schlecht sind, vorausgesetzt, ihnen stehen reale Werte – Vermögen oder dauerhaft erzielbare Einnahmen – für Schuldendienst und Schuldentilgung gegenüber. Das ist nicht mehr der Fall. Vermögen und Werte, die Generationen aufgebaut haben und die Halt boten, sind grösstenteils dahin. Viele Sozialsysteme sind de facto pleite. Wie Renten- und andere Versprechen der Zukunft eingehalten werden wollen, bleibt bei Kostenwahrheit ein Rätsel. Nicht lösbar.

Was noch da ist, wird für aktuelle „Krisen“ zweckentfremdet, ansonsten begegnet man Engpässen und Risiken mit neuen Risiken, löst Probleme, indem man sie auf nach der Wahl vertagt und bis dahin neue schafft. Wo einst Vermögensbildung, Werterhalt und Versorgungssicherheit Leitsterne für staatliches und privates Investieren und Handeln waren, zählt heute nur noch eins: Liquidität. Staaten und Unternehmen, allen voran die Finanzindustrie, schnappen danach, wie ein ersaufender Hund nach Luft. Untereinander leiht man sich längst nichts mehr. Gegenparteirisiko bei Gegenparteien, die bereits bei Kreditantrag pleite sind und die teilweise erst in 75 Jahren geboren werden, ist ein Witz aus alten Tagen.

In die Bresche gesprungen sind die Zentralbanken, die Unternehmen und Staaten via Druckerpresse am Leben erhalten. Gefördert werden so Firmen, die Kurspflege betreiben und sich aufführen wie Hedgefonds anstatt zukunftsgerichtete Ivestitionen zu tätigen und Staatsapparate, die via Zielgruppenmassage und Günstlingswirtschaft das eigene Sende- und Wirkungsgebiet noch weiter in einst Privates hineinbohren.  Es ist die Diktatur des Kurzfristigen. Die Behauptung, es brauche stets wachsende Schulden und mehr Kredite um Wachstum zu erzeugen, ist Schwachsinn. Es ist nicht die Wirtschaft, nicht der Rest freien Marktes, sondern das das System der Profiteure aus Politik, Grosskonzernen und Banken, das sofort kollabierte, kappte man die Liquiditätszufuhr.

Das ist es, vereinfacht gesagt, worauf wir als Gesellschaft stehen und was uns als Fundament für unsere wirtschaftliche Zukunft dienen soll. Es ist tragisch und hat in der Vergangenheit noch nie ein gutes Ende genommen. Aber es ist nicht zwingend tödlich. Man könnte bei aufziehendem Sturm den Kopf einziehen, den Kragen hochschlagen, weitergehen, ausharren. Neu anfangen. Die Betonung liegt auf könnte. Denn: Wir sind nicht mehr stark genug. Wo Flüssiges herrscht da, wo Festes sein sollte, fault’s. Wo Geld verwässert und Werte aus falschen Gründen liquidiert werden, verwässern in der Folge auch ethische und moralische Werte, der Mensch selbst. Auch hier: Diktat der kurzfristigen Ich-Optimierung.  Oder wie Sebastian Brant, Verfasser der Satire „Das Narrenschiff“ 1494 treffend schrieb: „Wer Gaben nimmt, der ist nicht frei, Geschenk bewirkt Verräterei.“ Machen wir weiter so, riskieren wir, eines Tages tot am Grund eines Sees von wertlosem Geld mit dem Beton unseres Ego-Titanentums an den Füssen zu erwachen und uns zu fragen, warum verdammt noch mal wir uns nicht früher um die Sache mit dem Flüssigen und dem Gewicht und der Kraft gekümmert haben.

Wie sind wir dahin gekommen? Auf dem Karren des Staats. Wir haben die Geschenke, die mit einstigem Vermögen, später mit Falschgeld finanziert wurden angenommen. Wir sind der Heilslehre von Funktionären und Predigern windelweicher Visionen auf den Leim gekrochen und haben ihnen im Zweifel fraglos geglaubt,  Demokratie und mit ihr die Politik seien eine Art permanent installierter Jahrmarkt der Freiheiten zu unserem Besten. Das Leben endloser Spass, ein Fest des Habens. In Wahrheit war und ist’s ein Hexensabbat – ein seit Jahrzehnten währendes Schindludertreiben mit dem, was uns zu Menschen macht: Freiheit.

Bereitwillig wurde die Mär adoptiert, die da sagt, der Staat und die ihm nahestehenden Budenbetreiber dieses Rummels, könnten die Menschen vor den Risiken und Mühen dessen, was Leben ist, schützen, wir bräuchten nicht länger Produzenten von Freiheit und Träger von Verantwortungen, Entscheidungen und damit möglicher Schuld zu sein, sondern könnten uns aufs Konsumieren vorgefertigter Werte und Waren beschränken. Wir könnten die Schallmauer von Angst, Zweifel, Erleiden und Erschaffen mit Staates Hilfe umgehen und trotzdem die Erfüllung des Hindurch erleben. Fortan bräuchte nicht mehr gedacht,  gefragt, gescheitert, geforscht und gesucht zu werden, weil es reiche zu fühlen und ansonsten der Führung zu vertrauen. Das Leben eine Pret-à-Porter-Show: Arbeit, Wirtschaft, Familie, Konsum, Information, Bildung, Gesundheit, Kultur, Geld, Karitas, Alter, Invalidität, Krankheit – alles ab Stange, extraglatt und bügelfrei. Sorge dich nicht, wir sorgen! Zahle den jährlich etwas ansteigenden Eintritt und ein Leben in Sicherheit ist dein. Dass der Handel seit Jahrhunderten immer derselbe ist, dass vordergründige Sicherheit immer nur gegen Freiheit zu haben ist, wurde von den einen nicht erwähnt, von den anderen ignoriert oder verdrängt. Auch nicht thematisiert wurde die Tatsache, dass eine immer grössere Zahl der Kirmesbesucher längst begriffen hatte, dass einem, wenn  man nur gelobte, dazubleiben oder zumindest widerzukommen, der Eintritt zu Lasten der anderen erlassen wurde.

Was dabei herauskommt ist Leben im zweiten Gang, ein temporärer Kick, Almosen-Freiheit, ein System, das den Menschen Erlebnisse verspricht und sie nichts mehr erleben lässt und damit ums Leben prellt. Eine Gesellschaft von unsicheren, verletzlichen, weichen, auf das Eigene des anderen schielenden, verkrampften unruhigen und misstrauischen Menschen. Lebensliebe und – freude sucht man vergebens. Sie sind zur frenetischen Gelächtererruption neiderfüllter Minderwertigkeiten verkrüppelt. Dankbarkeit zu „Menschenrechten“.  Die Weite des Seins zur Enge des Events. Humor, dieser Menschenkitt, der einst einfach oder geistvoll Kurzfristiges mit Ewigem vernichtete, Generationen und Schichten durch das Benennen des Trennenden verband, zu schadenfreudig hämischer Gesinnungs-Pornographie. Einst Halt bietende Werte wie Heimat, die allem Sinn zuordnet, Familie, Loyalität, Leistung, Treue, Höflichkeit, Disziplin, Anstand und Durchhaltewillen werden in die obrigkeitlich in Verruf gebrachten braun getünchten Hinterhöfe der mit Hilfe unzähliger Henselmännchen gereinigten Welt verbannt. Wer nicht dort oder anderswo an den einsamen und wüsten Randbezirken der korrekten Gesellschaft ausgesetzt werden will, meidet sie.

Was heute gerne und von allen Seiten und je nach Anlass als „unsere freiheitlichen Werte“, als „unsere liberale Gesellschaft“ oder als „unsere demokratischen Prinzipien“ versprüht wird ist leer, Aussenschicht, Etikett. Der Mensch allein, endlos raffend sich selbst darstellend und dabei sich selbst und dem anderen immer fremder werdend. Der einzige Wert, den wir noch haben, ist der versiffte Gesinnungsbrei des Politischen, der farblos aus dem Fleischwolf delegierter Verantwortung trieft und in jeden Bereich dessen einsickert, was einst das einzige eigene Leben war.

Gibt es vielleicht doch die Möglichkeit einer Umkehr? Gegenfrage: Gibt es auch nur einen einzigen Politiker, der den Staat beschneiden, mitunter seinen eigenen Job abschaffen will? Sieht es danach aus, als würden unsere Staaten ihre Ausgaben ernsthaft einschränken wollen? Und noch wenn: Würden die Banken solche Vorhaben unterstützen? Geben die Zentralbanken Signale, die darauf schliessen lassen, dass sie bereit sind, den Grossbanken zu schaden? Whatever it takes? Wollen die Millionen, die in irgendeiner Form staatliche Leistung in Anspruch nehmen, auf diese verzichten. Wollen die Regulierungs-Profiteure aus den verschiedensten Industrie-Zweigen auf ihre Vorteile verzichten? Eher nicht.

Und trotzdem gibt es Hoffnung. Täglich mehr. Menschen, die längst wach sind oder sich gerade erst den Flugsand des Kurzfristigen aus den Augen wischen. Menschen, die sich weder finanziell noch ideell länger zufriedengeben wollen mit dem Künstlichen, dem Manipulierten, dem Nicht-Verdienten und von Staates Wegen Isolierten innerhalb der Umzäunung. Die nach dem Leben greifen und sich nicht länger zufriedengeben, mit dem kupfergestreckten Kleingeld des Lebens, das auf dem Jahrmarkt der Freiheit im Umlauf ist. Menschen, die erkannt haben und erkennen, dass, will man die totale Entblössung von Bindungen und Eigentum überwinden, irgendwie der Stromkreis mit dem Langfristigen wieder geschlossen werden muss.  Die sich sehnen nach der Tiefe und dem Frieden des Seins anstelle des lärmenden Rummels an den Schweinetrögen wertloser Geschenke. Menschen, die bereit sind, die „geschützte“ Zone staatlichen Lebens zu verlassen, den Zaun zu überwinden. Noch wird nicht geschossen, bloss gestraft: Wer Vermögen bildet zahlt Steuern darauf, wer spart kriegt keine Zinsen oder zahlt auch hierfür. Bargeschäfte, die Freiheits-Transaktion schlechthin, werden wo immer möglich beschränkt. Massnahmen in Richtung totales Verbot sind längst aufgegleist. Jenseits des  Geldes gilt heute wieder als „staatsfeindlich“, wer selber denkt.

Tun wir’s trotzdem. Bilden wir Vermögen – ideell und finanziell. Es sind die grössten Feinde des totalen und totalitären Staats. Es sind Fluchtrouten, die geld- und wertmässige Befähigung zu handeln. Nutzen wir jedes Schlupfloch, jede Möglichkeit zur Flucht. Denn: Was im Bereich des Kreditgeldsystems möglich ist – Schuldenschnitt, Währungsreform, ein rasches Ende mit Schrecken – läuft in Sachen Freiheit nicht. Scheinfreiheit ohne Verantwortung ist Freiheit auf Pump. Schuldenschnitte sind hier nicht vorgesehen. Irgendwer zahlt immer. Wenn nicht wir, dann jene, die nach uns kommen. Schlagen wir den Kragen hoch, gehen wir weiter, harren wir aus – um uns selber und anderen einen Neuanfang zu ermöglichen. Wo und wann auch immer.

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