Kritik an Mustafa Kemal Atatürk ist in Deutschland zwar nicht strafbar, aber man muss auch hier mit Bedacht seine Worte wählen, oder darauf achten, wo man jemandem zustimmt. Am Sonntag hatte ich mit meinem privaten Facebook-Profil ein „gefällt mir“ zu folgendem Posting gemacht:

Screenshot vom Posting:

Eigener Screenshot. https://www.atam.gov.tr/ataturkun-soylev-ve-demecleri/adana-esnaflariyla-konusma

Zur Übersetzung, siehe unten.*

Kurze Zeit später schrieb mir ein türkischer Kumpel, dass das zwar ziemlich mutig sei und er dies akzeptiere, aber ob das nun andere türkische Kollegen so sehen würden, das bezweifle er doch schon sehr stark. Ich schrieb ihm zurück, dass mir das egal ist und ich mich bezüglich türkischer Geschichte jederzeit erklären kann.

Eine deutsche Freundin fragte mich, weshalb ich jetzt doch türkeikritische Postings like, obwohl ich doch in meinem Buch noch davor warne. (Sie ist eine der Wenigen, die mich auch real kennt.) Ich stimmte ihr zu und ich gebe auch zu, dass ich nun doch schon am Zweifeln war.

Fast gleichzeitig kontaktierte mich noch ein Verwandter und erklärte mir ziemlich direkt, dass ich offenbar nun vollkommen „übergeschnappt“ sei und fragte mich gleichzeitig, ob denn meine Eltern von diesem Post wüssten. (Dabei geht es nicht darum, ob man volljährig ist. Selbst wenn ich um die 50 Jahre alt wäre, müsste ich mir so einen Spruch gefallen lassen. Ich kann das eigentlich gar nicht wirklich erklären, es ist einfach bescheuert. Dass das Posting gar nicht von mir war, hatte natürlich keine Relevanz.) Sinngemäß sagte er mir: „Du kannst meinetwegen Tayyip kritisieren, aber selbst dann auch nur in absolut kleiner Dosis und zwar in noch viel kleinerem Maß als es die CHP tut. Wir, als christliche Minderheit in der Türkei, sollten absolut überhaupt gar nicht auffallen, schon gar nicht durch politische Partizipation, egal in welcher Form auch immer! Um Gottes Willen, du kannst doch nicht allen Ernstes auch nur ein einziges negatives Wort über den Republikgründer verlieren! Mensch Junge, werde endlich erwachsen! Wir haben alle noch irgendwelche Verwandten in der Türkei! So dumm kannst du doch nicht sein?!“ Es ist übrigens der selbe Verwandte, den ich schon in zwei anderen Kapiteln erwähnt hatte und der mich vermutlich von weiteren „Dummheiten“ abhielt. Das Wort `Atatürk´ wird in manchen Situationen stets vermieden, weil der Mann und der Begriff zugleich sakrosankt sind, egal wie man zu ihm steht. Es ist erklärbar mit einer Art Stockholm-Syndrom oder Furcht oder einfach mit Desinteresse oder sonst etwas, also bei meinen Leuten jedenfalls. Das ist leider auch verständlich, denn diese Menschen mussten damals wie heute auf solche Dinge achten wie z.B. das richtige Anfeuchten einer Briefmarke wo Atatürk drauf ist usw. Ich will das an dieser Stelle auch gar nicht vertiefen.

Ich habe das „gefällt mir“ entfernt und damit hat sich das Thema erledigt.

Aber: Zur Türkei oder zu Themen rund um Türken und Minderheiten in der Türkei und anderswo habe ich ja immer wieder mal etwas geschrieben und auch publiziert. Aber zumeist immer in einem gewissen Rahmen. Also Selbstzensur trifft es schon irgendwie, wie es mir letztens erst jemand gesagt hatte. Nun denn: Keine weiteren Kommentare hierzu oder ähnlichen Themen und selbstverständlich keinen Artikel zum ersten türkischstämmigen Oberbürgermeister einer deutschen Stadt. Nur soviel: Weder ich noch andere haben irgend etwas gegen seine Herkunft, im Gegenteil, das spricht ja eigentlich für ihn. Nur sein Umgang und damit seine Einstellung zu gewissen Sachverhalten sollten etwas näher betrachtet werden.

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* Die Übersetzung stand mit dabei und ist recht gut.

>>Heute werden so manche Kemalisten Atatürk gedenken. Es ist der Todestag des Geschichtsrevisionisten und Faschisten, dem Gründer der heutigen Türkei.

Bevor auch dieses Jahr so manche Deutsche mit einer eher geringeren Vorliebe zum Islam diesen Mann als Gegenpol zu Erdogan und dessen Schergen mitfeiern und ihn zum Demokraten verklären, ein Zitat, das eine seiner faschistischen Überzeugungen offenbart.

Atatürk war kein Demokrat, sondern nur ein Nationalist, der die Bedeutung der Moderne für den nationalen Fortschritt erkannte. Demokratische Grundwerte galten nach seiner Vorgabe nicht universell, ohne Ansehen der Person, sondern unter der Bedingung des Bekenntnisses zum Türkentum. Ihm ging es um die Verleugnung der eigenen Identität durch Unterwerfung dieser, nicht wie bis dahin unter der Religion, sondern, das Grüne in rot, die Nation.

Er war Nutznießer des Genozids an den Armeniern. Die Toten waren der Humus auf dem Boden der neuen Türkei, ihre nunmehr herrenlosen Hinterlassenschaften waren sein Startkapital.

Doch auch er selbst hat Massenmord und Genozid gegenüber den Griechen und Dersim-Kurden zu verantworten. Er war kein Demokrat.

Fußnote zum Verständnis:

Der Osten der Türkei ist indigen armenisches und aramäisches, griechisches Land. Die armenische Besiedlung der Region geht auf ganze 5000 Jahre zurück. Die Türken, Enkel der Seldschuken wanderten im 10.Jh. n.C. kriegerisch aus der zentralasiatischen Steppe gen Westen, ermordeten und nahmen sich Land und Leute. Im 14. Jh. gründeten sie das Osmanische Reich. 1923 folgte die Gründung der heutigen Türkei.

Diese Äußerung Atatürks ist aus 1923, im Jahr der Gründung, wenige Jahre nach dem Armenier-Genozid:

"Die Armenier haben unsere Handwerkskünste besetzt und führen sich auf, als wären sie die Eigentümer dieses Landes. Zweifellos gibt es kein größeres Unrecht und keine größere Unverschämtheit.

Armenier haben kein Anrecht auf dieses fruchtbare Land. Das Land gehört euch. Den Türken. Dieses Land ist türkischen Ursprungs und wird ewig türkisch bleiben."

Das Zitat ist echt. Jedenfalls gehe ich davon aus, da es auf der Seite des türkischen Staates wiederzufinden ist. vgl. Screenshot.<<

Hier ist die Textstelle markiert, so dass sie gegengeprüft werden kann.

Eigener Screenshot mit der konkreten Textstelle https://www.atam.gov.tr/ataturkun-soylev-ve-demecleri/adana-esnaflariyla-konusma

Persönliche Anmerkung zum FB-Posting: Es ist egal, ob er Demokrat war oder nicht. Er hätte sich auch zum Kaiser krönen lassen können. Wichtig sind letztlich nur seine jeweiligen Taten oder Untätigkeiten. Das Negative überwiegt bei ihm jedenfalls.

Mehr sollte ich dazu auch nicht mehr schreiben...

Nachtrag:

Forderung nach einem Atatürk-Platz: https://sitzungsdienst-hamburg-mitte.hamburg.de/bi/vo020.asp?VOLFDNR=1012184

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