"Früher war alles viel besser!" Ein Spruch, den wohl alle Jugendlichen hassen, wenn er ihnen von den Altvorderen seufzend gepredigt wird. Sie können sich dabei so gar nicht vorstellen, ihn jemals selbst zu verwenden, da er vollkommen unverständlich scheint. Was, bitteschön, soll früher besser gewesen sein? Auch Hans ging es einst so. Heute erwischt er sich jedoch des öfteren dabei, selbst genau diese Gewissheit zu spüren, dass diese Weisheit wohl von Generation an Generation weitergereicht wird. Einige Beispiele:

In den 70iger Jahren des vorigen Jahrhunderts hatten Autos noch eine aus so starkem Blech gebaute Karrosserie, dass man (siehe Foto) ungetrost sogar sein Kind aufs Dach setzen konnte. Nicht, um damit bei der Fahrt Platz im Auto zu sparen natürlich - dies blieb dem Vernehmen nach anderen Familienmitgliedern vorbehalten. Aber es ging. Heute bekommt man ja schon einen halben Herzinfarkt, wenn der Kotflügel von einem gerade die ersten Gehversuche unternehmenden Kind auch nur zu scharf angesehen wird. Dass das auch weniger Sicherheit wegen der schlechteren Knautschzone bedeutete und der Spritverbrauch wegen des Gewichts wesentlich höher war blendet Hans da freilich genauso aus wie die Rostanfälligkeit der damaligen Fahrzeuge wenn er sagt, dass die Autos damals halt besser waren.

In seiner Jugend gab es dann noch diese Telefone, bei welchen man zunächst auf eine freie Leitung warten musste, bevor das präzise und geduldige Bedienen der Wahlscheibe dazu führte, dass mit ein wenig Glück kein Besetztzeichen zu hören bekam, sondern tatsächlich die gewünschte Stimme am Rohr hatte. Die Telefonschnur war dann meist viel zu kurz, als dass man sich in einen Winkel zurückziehen hätte können, um ungestört flirten zu können. Die Alternative, nämlich die Telefonzelle, hat zwar bedeutet, die neugiereig lauschenden Eltern und Geschwister samt der anschließenden komischen Blicke vom Hals zu haben, dafür war es aber eine kostspielige Arbeit, wenn ununterbrochen Münzen nachgeworfen werden mussten; und besonders heimelig war es halt auch nicht, besonders im Winter. Es war mühsam. Heute, wo all diese Schwierigkeiten von damals dank der technischen Fortschritte längst überwunden sind, erwischt sich Hans mit einem Anflug von Sentimentalität immer öfter dabei, die Zeit der analogen Telefonie zurückzuwünschen: die allzeitige Erreichbarkeit über mindestens ein Handy, diese mahnende Displayanzeige mit den versäumten Anrufen auf dem Festnetzapparat im Büro ... Sicher: er könnte wahrscheinlich - so sicher ist er sich gar nicht bei seinem Smartphone - die Handys abschalten und vielleicht wäre es sogar in Ordnung, wenn er die Leute, die ihn im Büro nicht erwischt haben, nicht zurückrufen würde. Doch wer weiß. Früher jedenfalls war es besser: die Welt drehte sich auch weiter, wenn man nicht erreichbar war - und man konnte sich viel besser den Dingen widmen, die man gerade anstellen wollte.

Auch das Essen war damals viel einfacher: wenn man heute eine Speisekarte aufschlägt, dann kommt man sich schon fast vor wie beim Chinesen. Nur halt, dass man nicht mangels Aussprechbarkeit der Speisen Nummern wählt: es sind die vielen Buchstabenkombinationen, welche unheilschwanger bei jedem Angebot dabeistehen und zu welchen man versucht ist, nach diesen zu bestellen: "Ich hätte bitte gerne einmal diese Nachspeise, bei der nur ein ACG ist". Früher wusste der Wirt einfach, dass man etwa keine Erdnüsse (übrigens E) verträgt und hat extra für einen Palatschinken gezaubert, in welchen die Nussfülle durch nicht auf der Speisekarte angebotenes leckeres Obst mit einer Kugel Vanilleeis ersetzt wurde. Heute scheint es nur noch eine Frage der Zeit, dass eine durchschnittliche Speisekarte die Stärke eines Telefonbuches - ja, die gedruckte Form davon gibt es ja noch vereinzelt - bekommt: von allen verwendeten Zutaten wird dann das Kleingedruckte abgebildet samt den bislang nur von Beipackzetteln zu Medikamenten Warnhinweisen und Wahrscheinlichkeiten des Eintritts von unerwünschten Nebenwirkungen. "Fragen Sie Ihren Arzt oder Apotheker" fehlt dann nur noch. "Ja, früher war das besser!", seufzt Hans.

Damals, in den 80er Jahren, war Hans stolz auf seinen Walkman. Dieser war, auch wenn er schon bessere Zeiten gesehen hatte, unverzichtbarer Bestandteil seines Alltags und selbst der Umstand, dass dieser seine Musikkassetten zum Fressen gern zu haben schien, schmälerte nicht seine Freude. Geduldig fuzelte er das Band aus der Tonkopfmechanik und ordnete den Bandsalat. Schnell noch einen Bleistift zu Hilfe nehmen, das Tape wieder in die richtige Spannung drehen und schon konnte das Musikvergnügen weitergehen. Ganze Nächte verbrachte er damit, romantische Songs aufzunehmen und fluchte jedesmal, wenn der Radiosprecher wieder mal hineinquatschte. Die Mühe lohnte allerdings: denn auf dem Schuilweg im Bus genoss er es, die neu erworbenen Musikschätze mit seiner ersten großen Liebe zu teilen: ein Kopfhörer für sie, einer für ihn und dabei einfach die Nähe und den Körperkontakt genießen während gemeinsam den zärtlichen Rhythmen gelauscht wird. Heute scheinen Jugendliche mit solch billigen Vergnügen nicht mehr zufrieden zu stimmen zu sein: Musik wird einfach downgeloadet mit dem neuesten Smartphone und Anbandeln funktioniert meist über Chats und Apps. Ja, früher ....

Jede Zeit hat ihre Höhen und ihre Tiefen, ihre Vorzüge und ihre Nachteile. Wie heißt es doch so schön: für einen Regenbogen brauchst Du Wassertropfen und Sonnenschein zugleich - fehlt eins von beiden, so wird es nichts mit der Farbenpracht. So ist es auch mit den Dingen, die sich im Laufe unseres Lebens verändern. Wobei man auch niemals übersehen sollte: einerseits verändert sich im Zuge der Jahre die Perspektive auf so manche Dinge und bekommen unsere Bedürfnisse andere Prioritäten; andererseits haben wir auf alle Entwicklungen auch selbst Einfluss und haben es somit zumindest ein Stück weit selbst in der Hand, die nostalgisch verklärt als besser bewerteten Dinge in unserem Leben zu behalten. Um dann vielleicht draufzukommen, dass es doch ein Gutes hat, dass sich was veränderte...

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Bernhard Juranek

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