bedeutet das die volle Auflösung jeglicher Privatsphäre (no border at all)?

Experimente dazu liefen seit Anfang der 1960er Jahre, insbesondere – soweit mir bekannt, und wo ich daran teilnahm – in London. Aber theoretisch mag es schon seit den 1920er, 30er, 40er Jahren in Form von schriftlichen Aufzeichnungen, Skizzen, teilweise evtl. schon limitierte Publikationen, Konzepte dazu gegeben haben.

Um diese Sozialexperimente durchzuführen, lädt man einfach experimentierfreundige – meist jüngere (20-40jährige, aber manchmal wollen auch 50, ja 60jährige gerne teilnehmen und werden willkommen geheissen) Leute ein - aus dem Umfeld, wo die Flyer oder Informationen kursieren... Man zahlt – quasi als Therapieform angesagt – auch einen kleinen Beitrag für Unterbringung und Essen (bescheiden, viel Tee, viel Reis …).

Mein erstes längeres aber sehr eindrucksvolles Experiment dieser Art machte in 1970, in London, in einer größeren Wohnung, normales Wohnhaus, im 4. Stock, Nähe Hydepark. Es dauerte 48 Stunden, alle Teilnehmer-Personen damals (ca. 15, etwa gleich viel weibliche wie männliche) mussten die gesamte Zeit in "einem Raum" verbringen (wer ausstieg, konnte nicht mehr einsteigen, – es kam aber m.E.n. auch nie vor, alle waren doch zu neugierig wie es weitergehen würde). Alle 3 Stunden gab es etwa ein halbe Stunde Pause für Nahrungsaufnahme und Toilettenbesuch, evtl. mal Duschen. Nach 40 Stunden waren 4 Stunden Schlaf vorgesehen. - Es gab etliche solcher Gruppenexperimente, manche (selten) auch wo körperliche Gewalt als Emotionsverstärker erlaubt war, und solche wo nur die laute Stimme und das Ganz-Nahe-Kommen als Emotionsverstärker erlaubt war. (Wo Gewalt möglich war, gab es schon mal auch gebrochene Rippen, gebrochene Arme, und eine Menge großer blauer Flecken, auch Kratzspuren, die man trocknen ließ oder notdürftig verband.) Soweit sogut, man (ich) konnte es noch als emotionale und sportliche Übung ansehen. - Für manche wurde es schwierig, als dann mal für sechs Stunden der Toilettengang nicht zugelassen war, halt ein großer Kübel in der Ecke des quadratischen Raumes (etwa 6 mal 6m) postiert wurde, und eben von allen „Notdüftigen“ frequentiert wurde. Aber nach der 30igsten Stunde war das dann auch immer weniger ein Problem, ja wurde auch kaum angesprochen. Heiser waren fast alle, den es ging manchmal sehr laut zu, aus einer Kehle oder vielen Kehlen herausgeschrien… Emotionen! Trinken musste man in den Pausen viel, denn bald schwitzten alle mehr oder weniger, es trocknete am Leib, ohne dass man dem Aufmerksamkeit gab, und so ging es auf und ab. Als etwa nach 40 Stunden alle aggressiven Emotionen (mittels x raffinierten "Therapie-Übungen";) oder Unduldsamkeiten herausgeschrien oder auch leise wie am Totenbett ausgehaucht waren, wurden die letzten Stunden immer „paradiesischer“… Natürlich war man schon lange nackt oder halbnackt, und natürlich war nun jede Seele mehr oder weniger blank gelegt, und man hatte dann auch schon vergessen, wer genau den letzten Wutanfall bekommen hatte, und worum es dabei ging; - es war ja alles das nebensächlich geworden, man konnte Distanz und Nähe offen zeigen, bekam es auch gezeigt, und akzeptierte es auch. Sicher gab es auch Stars, die viel Zuneigung bekamen und Übriggebliebene, die kaum Nähe bekamen… aber es schien unwichtig.. Im Paradies hatten alle wenigstens mit dem kleine Finger gut geduldete Berührung mit dem Nebensitzenden, – es gab ja nur einen dicken Teppich im Raum, und sonst nichts; alle lagen oder saßen irgendwie, aber nun so bequem wie es einem einfiel… Es wurde nun ganz klar, man war nicht gleich(artig), aber jeder war dabei(!!), irgendwie angedockt, - wenn auch „verbunden“ zuviel Aussage dazu wäre. Aber man konnte nun ungeniert jede – auch noch so intime Frage stellen, man konnte auch ungehemmt, ein Abwinken bekommen, „das liegt mir nun gar nicht nahe, sorry!“; und auch das war unwichtig, und trübte nicht das „Dabeisein“… Man könnte sagen, es war ein größere Gruppe, wo es eigentlich „no border“ gab. (An drei oder vier solchen Marathon nahm ich teil, und es darf wohl nicht verschwiegen werden, dass bei zweien davon – am Ende je eine Person in die Psychiatrie eingeliefert werden musste… (- deren weiteres Schicksal kenn ich nicht, aber auch kaum jemand von den Teilnehmern, so vermut' ich: Wie überhaupt, viele nach 6 oder 8 Wochen praktisch vergessen hatten, wer wo teilgenommen hatte, es gab auch so gut wie kein „Matura-Treffen“ danach, - nie, aber evtl. befreundeten sich einige und trafen sich als Freunde, evtl. wurde mal da oder dort ein Paar daraus, - deutlich machten diese dies nie; - offenbar war der Bedarf sich weiter und wieder zu öffnen nicht mehr gegeben, meines Wissens bei keinen der Teilnehmenden…).

Ich fand das damals und auch heute noch als einen tolle Erfahrung, - mochte den Trainer sehr, und fand alle mehr oder weniger erträglich, manche auch sehr sympathisch, und eine Bekanntschaft hielt lange…, aber insgesamt muss ich diese Situation nicht immer haben, und schon gar nicht mit allen beliebigen Leuten…

Und ich war dankbar, dass diese ersten „Experimentierer“ alle recht gesunde, intelligente, oft hübsche jüngere Menschen waren, und der Trainer ein sehr erfahrener, durch nichts aus der Ruhe zu bringender ehemaliger Drogenabhängiger aus Chicago, der dann selbst durch seine Therapie-Entwicklungen einer der berühmtesten Therapeuten wurde. Er mag damals so ca. 35 gewesen sein, hatte offenbar schon früh mit den Drogen begonnen, dann bald mit der Therapie, und 1970 war er schon ein alter Hase („Esalen“ als Therapiezentrum in Kalifornien war dabei sich zu etablieren, „Joy“ von Will SCHUTZ kam gerade heraus). - Interessant ist dies heute, weil ich mir die Frage stelle, was meinen die Engagierten heute mit „NO BORDER“?

Meint man eine Art „Sozialismus“ (also postpostMarx, nun via Marcuse, Horkheimer, Adorno, Habermas …), meint man „no border überall“… - No border, no nation, ist ja geläufig, und kommt nun oft leicht ablehnend über die Lippen, da ja „Nation“ in der Geschichte schon überstrapaziert wurde; aber was eigentlich meint man heute - etwa in Chemnitz damit?… Was also ist eigentlich das Konzept der Leute, die Transparente mit „NO BORDER ...“ hochhalten, - was bedeutet das zu Ende gedacht?

Am 5. September 2018 sagte bei Markus LANZ im ZDF jemand, der als „alter Bekannter“ von LANZ angesprochen wurde, – er wäre nun der AfD beigetreten, ja bereit dort Funktionen zu übernehmen, – und dies mit dem Hauptargument: „Ich lasse ja auch nicht meine Wohnungstüre offen, ich habe eine Klingel und sehe mir zuerst an wer da klingelt, bevor ich ihn evtl. hereinbitte…!

No border, no home – gilt also nicht, zumindest nicht so allgemein... - Und so sehr ich z.B. außer guten Bekannten auch öfter (couchsurfing) ausländische Gäste hatte und habe, die dann bei mir übernachten, habe ich doch vorher – zumindest via Mail – diese Personen akzeptiert (genaugenommen habe ich defacto nie jemand zurückgewiesen)... Dennoch würde ich sagen es war keine allgemein offene Türe; Couchsurfer sind ja schon eine Vorauswahl, Bekannte auch. (Z.B. habe ich einen Sportpartner aus China, tatsächlich einmal für 6 Monate frei bei mir einquartiert, - aber ich kannte ihn ja als Sportskumpel.) – Die 70er waren eigentlich sehr locker (von heute aus gesehen), aber dennoch war meine Wohnungstür gewöhnlich zu, und man braucht einen Schlüssel.

Wie kann man also in einer sich doch immer weiter globalisierenden Welt, sinnvolle „Grenzen“ setzen, wo und wie?? #

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Claudia56

Claudia56 bewertete diesen Eintrag 07.09.2018 11:22:31

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