Heute auf dem Weg zu meinem Barista mit Herz sah ich, wie ein Ladenbesitzer mit dem Besen eine Taube vor seiner Türe wegkehrte. Er kehrte sie Richtung Straße. Ich hatte die apathisch dasitzende Taube zuvor schon gesehen, sah, wie ein E-Scooter an ihr vorbeiflitzte und das arme Tier im starken Luftsog herumwirbelte und auf den Schnabel fiel.

Ich stellte mich schützend vor die Taube, an der die Passanten vorbeigingen, als wäre sie nicht existent. Ich wollte schnell den Kaffee fertigtrinken, da kam auch schon der Mann mit dem Besen.

Erst jetzt blieben Passanten stehen. Kalt und herzlos wurde geurteilt: "Die stirbt ohnehin schon. Kehren Sie sie auf die Fahrbahn!"

Ich schüttete meinen Kaffee im weiten Bogen auf die Straße, lief zornig zum Auto und holte Handschuhe. (Ich hatte schon einmal einer Taube geholfen.)

Das Tier wehrte sich verzweifelt, als ich es anfasste, wollte wegfliegen, konnte aber nicht.

Während der Mann mit dem Besen beteuerte, ein Tierfreund zu sein, setzte ich die Taube in einen Karton, der im Kofferraum lag, gab Gas und fuhr davon.

Ich rief unterwegs meine Tierärztin an und bekam folgenden Rat: Das Tier ruhig und dunkel halten, nicht zu kalt. Wasser zu ihm hinstellen mit Weißbrot oder Semmel darin oder aufgeweichte Körner. Hat das Tier keine äußeren Verletzungen, könnte ich es auch versorgen. Im Falle einer Krankheit bräuchte es sowieso einen Laborbefund.

Die Tierärztin tippte auf eine Gehirnerschütterung. Ferndiagnose. Ich hingegen hatte Angst, es könnte Gift gefressen haben und würde nun entsetzlich leiden.

Ich nahm die Taube mit nach Hause, musste unterwegs aber noch verschiedene Dinge besorgen. Auf halbem Weg begann es im Kofferraum zu poltern und rumoren. Die Taube unternahm scheinbar Flugversuche und stieß mit Kopf und Flügel gegen andere Kartons und den Kofferraumdeckel.

Von wegen sterben! Der Vogel war plötzlich putzmunter. Nichts mehr mit Apathie!

Ich unterbrach das Einkaufen und fuhr sofort nach Hause. Ich öffnete den Kofferraum. Die Taube saß froh und gesund am Rand des Kartons und spähte ins Innere des Autos. Dann wendete sie den Kopf, sah die offene Kofferraumtür und - wusch, weg war sie!

Wie ein Adler... genau so habe ich es schon einmal erlebt. Damals saß eine völlig benommene, wie betrunken wirkende Taube die ganze Nacht hindurch in meinem Kofferraum und war am nächsten Morgen wieder topfit.

Ich schickte der Tierärztin eine SMS - sie freute sich mit mir.

Viele Fragen bleiben offen. Hatten beide Tiere eine Gehirnerschütterung? Wie konnte sich die heutige Taube so schnell erfangen? Es dauerte kaum eine Stunde. Hatte das etwas mit der Autofahrt zu tun, die ihren Magnetsinn auf den Kopf stellte? Ich entführte das Tier schließlich aus seiner gewohnten Umgebung.

Und dann diese enorm wichtige Frage: Würde die Taube vom Wiener Westrand in die innere Stadt zurückfinden? Wenn nicht, wie würde es ihr jetzt ergehen, einsam, ohne ihre Freunde? Futter? Unterschlupf?

Das Tier war recht hübsch, relativ groß, noch jung, mit einer hellen Zeichnung und es sah sehr sauber aus. Ich hatte in der Aufregung nicht kontrolliert, ob es einen Fußring trug.

Immer wieder finden Brieftauben nicht zurück und bleiben bei den "Stadttauben" hängen. Unsere Stadttauben sind nichts anderes als Nachkommen verwilderter Brieftauben.

Ich hoffe, meiner Taube geht es gut. Es dämmert draußen. Vielleicht ist sie schon in ihrem Bezirk zurück - per Luftlinie geht das viel schneller als mit dem Auto - und erzählt ihren Freunden von ihrem heutigen Abenteuer?

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Spinnchen

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berridraun

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Frank und frei

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