Mein Diesel ist 15 Jahre alt, verbraucht auf 100 km knapp über fünf Liter, steht an 10 von 14 Tagen in der Garage und wird praktisch nur überland bewegt. Ich fahre ihn guten Gewissens, und bis es soweit ist, dass ich ihn verschrotten muss, weil er von einem Benutzungsverbot betroffen sein könnte, geht noch so viel Zeit ins Land, dass er bis dahin ohnedies den Weg alles Vergänglichen hinter sich haben wird.

Gutes Gewissen? Ja, im Sinne einer ökologischen Gesamtbilanz. Ein Auto fünfzehn Jahre lang zu fahren erspart der Umwelt zwei bis drei Produktionszyklen mit Rohstoff- und Energieverbrauch bei Herstellung und Transport. Und wenn auch Teile schon im Recycling genutzt werden, verursacht deren Aufbereitung zusätzlichen Energieverbrauch, zusätzliche Emissionen … und ich glaube nicht, dass die dadurch entstehende Belastung in Summe geringer ist als die Belastung, die durch den Weiterbetrieb meiner alten Kutsche entsteht.

Ich frage mich also, wem das Anheizen von Produktionszyklen vor allem nutzen mag … und zähle hier die Antworten nicht auf, die auf der Hand liegen.

Gutes Gewissen auch, weil mein alter Kübel, vernünftig gefahren, mit fünf Litern auf hundert Kilometer über die Runden kommt. Weil er unter anderem noch nicht vollgestopft ist mit allerlei Technologie, die, wie man inzwischen weiß, nur im Labor fruchtet, aber dafür kräftigen Gewichtszuwachs bringt mitsamt höherem Verbrauch. Mein Beitrag zur CO2-Bilanz liegt also vergleichsweise niedrig, wenngleich es natürlich immer noch Verbrennung eines fossilen Energieträgers ist – es bleiben Flecken auf dem Gewissen, die allerdings quer über Diesel, Benzin oder Erdgas die gleichen wären.

Fragen auch … gerade erst wurde bekannt, dass moderne Benzin-Direkteinspritzer beim Verbrennungsvorgang praktisch gleich viele Feinstaubpartikel freisetzen wie Dieselmotoren, die seit jeher Direkteinspritzer waren. Der Unterschied: Der Diesel hat seit vielen Jahren einen Partikelfilter nachgeschaltet, der beim Benziner erst als Lösung verpasst werden muss, wenn ab 2018 für Neuzulassungen dieselben Grenzwerte für Diesel und Benziner gelten. Was bis dahin als Benziner auf den Markt kommt, darf mit Segen der EU eine zehnfach höhere Feinstaubemission in die Luft blasen als der Diesel – und tut es auch. Bis sich da die Flottenumstellung im Benzinerbereich auswirkt, gehen weitere zehn Jahre ins Land … aber wir haben ein Dieselproblem.

Gut, Feinstaub ist als Thema eh nimmer im Vordergrund, die Politik veranstaltet zurzeit mit Vorliebe Dieselgipfel – in wählbaren Kreisen ist man ja immer sehr schnell, Sündenböcke zu präsentieren und bei Bedarf eine beliebige Kuh durchs Dorf zu treiben.

Stickoxide sind in, und die FAZ berichtet von einer Studie, die Londoner Umweltmediziner durchgeführt haben, um den Nachweis der Gefährlichkeit von Stickoxiden zu führen. Man hat Asthmatiker einen genau festgelegten Bewegungszyklus in ein paar Londoner Straßenzügen absolvieren lassen, in denen ausschließlich Dieselfahrzeuge unterwegs sind – nämlich Busse und Taxis (was nebenbei für allfällige Dieselfahrverbote interessante Fragestellungen aufwirft …). Und danach hat man dieselben Asthmatiker den gleichen Bewegungszyklus im Hyde Park vornehmen lassen. Überraschung: Im Hyde Park fiel ihnen das Atmen signifikant leichter.

Vorsicht, Zynismus liegt in der Luft. Sachliche Kritiker der Studie werfen zweierlei ein: Zum einen wurde das komplexe Gemisch der Atemluft in beiden getesteten Arealen nicht weiter spezifiziert, es wurde von vornherein der Stickoxid-Anteil als Übeltäter definiert, der freilich im Hyde Park geringer ist. Zum anderen gibt es keine Kontrollgruppe von Asthmatikern, die einer Atemwegsbelastung ausgesetzt waren, wie sie für zeitgemäße Benziner typisch ist … was für eine seriöse Studie unerlässlich ist, die dem Diesel das Messer ansetzen will. So wissen wir nur, dass Luft in stark verkehrsbelasteten Regionen ungesünder ist als im Park.

Schlimm genug – und um das Lösungen zu finden, muss auch die Frage gestellt werden, ob die Fokussierung auf einen bestimmten Treibstoff nicht an effizienteren Möglichkeiten vorbeiführt. Ungesunde Luft ist, so darf angenommen wurden, zu allererst ein Problem von zu viel Verkehr und der Verbrennung fossiler Energieträger und erst sekundär eine Frage der Unterscheidung von Diesel oder Benziner.

Also Elektromobilität als Lösungsweg, als Alternative, die am Horizont aufscheint!? Viele sehen darin die Patentlösung – und übersehen den Rattenschwanz an Fragen, der damit Hand in Hand geht.

Zuerst muss der europäischen – und das heißt: der deutschen – Automobilindustrie der Vorwurf der Inkompetenz gemacht werden. Offenbar hat man lieber versucht, durch Tarnen und Täuschen dem Ende des Verbrennungsmotors noch einen Aufschub zu verschaffen (und das wird plausibel, wenn man nachschaut, wem Aktienpakete der Autohersteller gehören), als dass man frühzeitig die Umstellung auf alternative Antriebsformen aktiv betrieben oder wenigstens ins Auge gefasst hätte. Wenn heute wesentliche Schlüsseltechnologien der E-Antriebe noch in Versuchsgefährten präsentiert werden, während sie anderswo (und nicht von klassischen Autoherstellern fabriziert) schon auf der Straße sind, muss es nicht wundern, wenn der E-Antrieb sich vorerst eher beim Fahrrad als beim Auto durchsetzt – was übrigens unseren Städten sehr gut tut.

Bei zwei Kernproblemen des E-Antriebs gibt es zurzeit nur Glaubenssätze – das ist zum einen die Frage der Lade-Infrastruktur, vor allem in Ballungsgebieten, bei der sich Bauwirtschaft und EVUs als neue Ölscheichs vermutlich schon insgeheim die Hände reiben, und zum anderen die Frage der Entsorgung der Batterien, die einigermaßen begrenzte Lebensdauer haben, im Falle der Erneuerung für den Fahrzeughalter erhebliche Kosten bringen und deren ökologische Unbedenklichkeit vor allem von denen behauptet wird, die auch den sauberen Diesel propagiert und die Beseitigung von Atommüll in Aussicht gestellt haben: Irgendwelche künftigen Lösungen würde die Technik dafür schon finden …

Unübersehbar stehen die Interessen der EVUs momentan mit all ihrer Lobby-Power im Vordergrund. Niemand möchte darauf verzichten, die Kilowattstunden zu verrechnen, die jetzt noch an die Erdölwirtschaft gehen. Parallel dazu wird die Brennstoffzelle propagiert, der Wasserstoffantrieb, der den benötigten Strom für den E-Motor im Auto selbst produziert. Man tankt Wasserstoff wie heute Sprit, dafür kann ohne allzu großen Aufwand das bestehende Tankstellennetz umstellungsfreundlich umgerüstet werden, begleitend zu herkömmlichem Benzin … das Problem ist die Herstellung von Wasserstoff in den benötigten Mengen und mit einer Energie- und Ökobilanz, die nicht das Kind mit dem Bade ausschüttet. Und solange noch nicht ausgemacht ist, wie der Mix der unterschiedlichen Antriebstechnologien mittelfristig aussehen wird, werden auch die Investitionen in umwälzende Infrastrukturen vorsichtig ausfallen … darf man zumindest hoffen.

Und ein Hauptproblem der motorisierten individuellen Mobilität (hübsche, übliche Abkürzung: MIV) ist noch gar nicht angesprochen: Der Platzverbrauch. Der Philosoph Richard David Precht zieht mit seiner Utopie durch die Lande, dass schon eher bald Autobesitz ein Problemverursacher von gestern sei. Man buche künftig seine selbstfahrende Kabine dann, wenn man sie braucht, und zahle lediglich für die Nutzung. Weil die Cabs ständig im Umlauf seien, brauche man deutlich weniger davon als von Autos im Privatbesitz, die vor allem kostbaren Platz in der Stadt parkend vernichteten. Die Überzahl der Fahrzeuge seien schließlich Stehzeuge. Das hat was. Auch wenn Precht zum Beispiel nicht über Stoßzeiten spricht … vielleicht in der Utopie kein Problem, wenn eh 50 % der Arbeitsplätze der Digitalisierung zum Opfer gefallen sind.

Vieles geht aber heute schon, und wir haben es live erlebt, zumindest die älteren unter uns. Das Experiment hat den Praxistest hinter sich. Als Mitte der 1970er die OPEC ihre Fördermengen reduzierte und der Club of Rome das Ende des Wachstums prognostizierte, entstand binnen kürzester Frist eine vernünftige Lösung: der frei gewählte, verpflichtende autofreie Tag. Wir erinnern uns vielleicht noch an das Pickerl, das signalisierte, wann man eine Pause einlegte in der persönlichen MIV-Nutzung. Mit dem Kollegen mitfuhr oder die Kinder der Nachbarin mitnahm zur Schule.

Eine solche Maßnahme wäre sozial deutlich ausgewogener als generelle Fahrverbote für bestimmte Technologien, die ja doch primär jene treffen würden, die sich ein Umsteigen aufs neueste Modell nicht leisten können. Eine solche Maßnahme würde nicht nur den Schadstoffausstoß, sondern auch den Platzverbrauch in den Städten signifikant positiver beeinflussen als partielles Aussteuern von Sündenböcken. Eine solche Maßnahme würde die bewusste KFZ-Nutzung fördern und nicht zuletzt auch die persönliche Kostenrechnung ein wenig entlasten. Und wie immer gab es damals und muss es auch künftig bei solchen Regelungen Ausnahmen geben, wohlbegründet und -geprüft. Eine solche Maßnahme lädt BürgerInnen ein, einen solidarischen Beitrag zur Problemlösung zu erbringen und einen Teil der selbst verursachten Umweltbelastung zu reduzieren … praktische Solidarität, die dadurch erleichtert wird, dass es alle trifft.

Unterm Strich würde damit die MIV-Belastung nicht um ein Siebentel, aber doch um rund 10 % zurückgehen. Wir hätten dann an jedem Tag ungefähr so viel Verkehr wie in der Hauptferienzeit … schlecht? Und die Reduktion der Schadstoffe in den Emissionen läge mit ziemlicher Sicherheit über dem, was Nachrüstungen & Co. bringen.

Und wenn’s wirklich nicht reichen sollte, wenn der MIV trotz autofreiem Tag immer noch zu giftig wäre … dann ist das über den autofreien Tag leicht nachzudosieren … dann gibt es einen zweiten. Wir haben die Grenzen des Wachstums längst erreicht, und wir sollten mutige PolitikerInnen wählen und nicht jene, die uns immer noch einreden, im Wachstum läge die Lösung für alles …

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