Späte Abtreibungen – worauf niemand vorbereitet ist

Die vielen Untersuchungen, die während einer Schwangerschaft durchgeführt werden, sollen vor allem eines bestätigen: Es ist alles in Ordnung. Auf das Gegenteil ist niemand vorbereitet.

„Gehen Sie mal heim und geben Sie in einer Woche Bescheid“, diesen Satz hören viele werdende Eltern, wenn eine Untersuchungen während der Schwangerschaft auf unerwartete Komplikationen schließen lässt. Das ist für die Frauen und ihre Partner enorm belastend, sie fallen aus allen Wolken. Es ist auch für mich als Hebamme schwer, damit umzugehen. Egal, was die „mögliche Komplikation“ sein soll, muss man sich immer ins Gedächtnis rufen, dass die Frauen schon 14, 16 oder 20 Wochen schwanger sind. Das ist heftig, wenn beim Organscreening festgestellt wird, dass das Kind zum Beispiel keine Nieren hat und nach der Geburt auf jeden Fall sterben wird.

Familien werden für einen Spätabbruch oft zusätzlich noch stigmatisiert. Abtreibung ist in unserer noch immer katholisch geprägten Gesellschaft nach wie vor ein riesiges Tabu. Aber für die Paare ist das ein harter Entschluss. In meinen Augen müssen diese Familien, die vor der Entscheidung stehen, eine medizinisch indizierte, späte Abtreibung vorzunehmen, vielleicht noch liebevoller betreut werden, als jene dessen Kind auf natürlichem Wege verstirbt.

Mit der Diagnose körperliche oder geistige Behinderung stirbt ein Teil dessen was sich Eltern wünschen. Erwartungen, Wünsche und Träume sind auf einen Schlag weg. Sie waren doch bei der Untersuchung um Sicherheit zu bekommen, dass alles in Ordnung ist. Hinzu kommt, dass alle Tests Fehlerquoten haben und so gibt es auch in der Medizin falsch positive und falsch negative Ergebnisse. Es können also auch Kinder geboren werden bei denen eine Behinderung nicht diagnostiziert wurde oder Kinder abgetrieben werden die vielleicht völlig gesund waren.

Und dann gibt es noch eine kleine Gruppe von Menschen die ihre Kinder annehmen wie sie sind und sie als besondere Bereicherung in ihre Familie aufnehmen. Meine Aufgabe als Hebamme ist es, alle Familien in dieser Zeit zu unterstützen. Wie auch immer sie sich entscheiden. Denn eines haben alle gemeinsam. Sie trauern um ihre Kinder, sie müssen sich Verabschieden von Vorstellungen und Wünschen für dieses eine Kind. Ihre Schicksale und ihr Entscheidungen werden öffentlich diskutiert und bewertet.

Ich stelle mir selbst immer wieder die Frage, ab wann sich ein Leben auszahlt. Einige Monate im Bauch oder erst ein, zwei Jahre nach der Geburt? Wenn der Arzt sagt, dass der Säugling drei Wochen nach der Geburt sterben wird – hat es dann nicht das Recht, diese drei Wochen zu leben? Eine Entscheidung darüber halte ich für anmaßend. Genau so wie ideologisch angetriebene Diskussionen über Abtreibung.

Die Frauen werden von den ÄrztInnen von Untersuchung zu Untersuchung geschickt, weil man es eben untersuchen kann. Sie bekommen dann Prozentwerte, und Diagnosen von denen sie vielleicht noch nie vorher etwas gehört haben. Das verunsichert und macht Angst. Das sollte nicht passieren. Es gehört eine Aufklärung vor jeder Untersuchung, wo die Patientinnen erfahren welchen Sinn, Nutzen und Risiko sie hat.

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Spinnchen

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