Pränatale Selektion – Wie Gesellschaft, Politik und Justiz Vorschub leisten

„Würden Sie dieses Kind zur Welt bringen?“ steht auf der Titelseite des aktuellen „profil“. Gemeint sind Babys mit diversen Fehlbildungen, die in der Schwangerschaft entdeckt werden. Und genau diese Frage ist es, vor die Eltern, bei deren Ungeborenen eine Anomalie entdeckt wird, plötzlich gestellt werden.

Ich habe diesen profil-Artikel geschrieben und es haben mich zahlreiche Leserbriefe erreicht, deren Tenor lautet, dass durch derartige Beiträge „die Ausgrenzung von nicht perfekten, nicht privilegierten und nicht idealen Menschen nur verstärkt“ werde. Es waren viele LeserInnen dabei, die nicht nachvollziehen können und wollen, dass sich Mütter gegen das Leben mit einem kranken, beeinträchtigten Kind entscheiden, und die anklagen, dass die Betroffenen in mitfühlender und dadurch schuldmindernder Art und Weise dargestellt werden. In den meisten Fällen ging es den Leserbrief-SchreiberInnen um den Schwangerschaftsabbruch nach der Diagnose Down-Syndrom.

Aber: Kann man einer Schwangeren, die sich nach einer positiven Diagnose unweigerlich in einer emotionalen Notsituation befindet, wirklich anlasten, dass sie die Möglichkeiten, die das Gesetz bietet, nutzt? Ist es Angelegenheit der betroffenen Eltern, dafür zu sorgen, dass wir in einer bunten Gesellschaft leben, einer Gesellschaft, in der Menschen mit angeborener Behinderung ihren Platz finden? Oder braucht es hier nicht vielmehr einen breiten gesellschaftlichen Diskurs zum Thema Leben mit Krankheit und Behinderung?

Immer wieder kommt es vor, dass Eltern von Kindern mit Handicap mit den Worten bedacht werden – „das ist doch heutzutage wirklich nicht mehr nötig“. Auch ich wurde in Bezug auf mein Herzkind schon gefragt, ob der Herzfehler denn zu spät entdeckt wurde. Zu spät für eine Abtreibung. Nein – er wurde gerade rechtzeitig erkannt, rechtzeitig, um mein Kind zu retten!

Will man eine Gesellschaft, die das Leben in all seiner Vielfalt wiederspiegelt, ist dann nicht auch die Politik gefragt? Nach österreichischem Gesetz ist es erlaubt, Babys bis zu Beginn der Wehen zu töten, wenn „eine ernste Gefahr besteht, dass das Kind geistig oder körperlich schwer geschädigt sein werde“. Ob das Down-Syndrom unter diese Definition fällt, liegt im Ermessen der Ärzte. Im Wiener AKH hat man sich immerhin darauf verständigt, Babys mit einer Trisomie 21-Diagnose „nur“ bis zur 25. Schwangerschaftswoche abzutreiben.

Wir leben in einer Gesellschaft, in der Ärzte verklagt und verurteilt werden, weil sie Fehlbildungen bei Ungeborenen nicht erkannt oder die Prognose den Eltern „zu positiv“ dargestellt haben. Ärzte können in diesem Fall lebenslang, solange das Kind lebt, finanziell zur Rechenschaft gezogen werden. Wir leben in einer Gesellschaft, in der es – zwar mittlerweile selten aber immer noch - vorkommt, dass Kinder auf Grund ihrer Fehlbildungen nach der Geburt von ihren Eltern im Krankenhaus zurückgelassen werden. Während wir betroffen und schockiert nach Thailand blicken und uns medial über das Schicksal eines australischen Zwillings-Kindes mit Down-Syndrom ereifern, das von einer thailändischen Leihmutter geboren und von den „leiblichen“ Eltern auf Grund seines angeborenen Handicaps zurückgelassen wurde, übersehen wir, dass Ähnliches auch in Österreich passiert.

Es ist erst wenige Jahre her, dass ein Wiener Krankenhaus von Zwillingseltern verklagt wurde. Die Eltern wussten vor der Geburt, dass eines der Kinder eine Fehlbildung haben würde, aber man habe ihnen die Zukunftsperspektive „zu rosig“ ausgemalt, heißt es später in der Anklage. So, wie sie das „beschädigte“ Kind (Zitat Mutter) nach der Geburt erlebt hatte, konnte sie es jedenfalls nicht annehmen. Und so nimmt die Mutter den gesunden Zwilling mit nach Hause, den Kranken lässt sie im Krankenhaus zurück. Dieses Kind lebt mittlerweile bei einer Pflegefamilie. Die Klage gegen das Krankenhaus wurde nach einer Einmalzahlung des Spitals ruhend gestellt.

Der in diese Geschichte involvierte Arzt erzählte mir, dass die Hemmschwelle zu späten Schwangerschaftsabbrüchen und sogenannten Fetoziden – bei denen die Babys im Mutterleib durch eine Spritze ins Herz getötet werden, bevor ihre Leichen zur Welt gebracht werden – in den vergangenen Jahren deutlich gesunken sei. Die Angst vor den rechtlichen und finanziellen Konsequenzen sei einfach zu groß. Und so würden heute immer wieder Kinder abgetrieben, bei denen die Ärzte durchaus ein Potenzial zu einem erfüllten Leben, wenn auch mit Beeinträchtigung sehen, Kinder bei denen der Weg zum Schwangerschaftsabbruch zwar nach der Gesetzeslage legal, aber medizinisch nicht zwingend indiziert ist, Kinder für die es eben keine Fürsprecher mehr gibt.

Ich halte es für wichtig, in den Medien auf diese Situation aufmerksam zu machen und die gelebte Realität darzustellen. Wer die Nase rümpfen will, der soll das gerne und der soll das laut tun. Aber er soll seinen Unmut nicht gegen die betroffenen Eltern richten, sondern gegen die Gesellschaft, die das ermöglicht. Gegen die Politik, die das legitimiert und gegen die Rechtsprechung, die diesen Weg ebnet, ja geradezu herausfordert.

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