"Iss doch endlich normal!" Wenn Kinder nicht mehr essen wollen.

Eltern und Angehörige reagieren recht unterschiedlich, wenn sie befürchten, dass ihre Tochter, ihr Sohn oder die Partnerin/der Partner eine Essstörung hat. Die meisten Angehörigen macht die Krankheit jedoch hilflos, sie sind verunsichert. Was bedeutet die Essstörung für ihr Kind, für sie selbst, für ihre Beziehung zum Partner, für die Geschwister? Wie können und sollen Sie mit den Betroffenen umgehen?

Eine Essstörung ist für alle Beteiligten in der Familie belastend und problematisch. Besonders Mütter neigen oft zu Schuldgefühlen und sind mit Verzweiflung und Ohnmacht konfrontiert. Wichtig ist, erst einmal anzuerkennen, dass eine Essstörung eine ernstzunehmende psychosomatische Krankheit ist, die Suchtcharakter hat.

Das heißt, dass weder die Betroffenen selbst einfach „damit“ aufhören und wieder normal essen können, noch dass Sie als Mutter oder Angehörige/r sie/ihn „heilen“ können. Sie stehen der/dem Betroffenen zu nahe und sind persönlich zu stark betroffen, als dass sie ihr/ihm helfen können, aufzuarbeiten, warum es zu der Essstörung gekommen ist. Diese Aufgabe kann am besten in einer professionellen Therapie erfüllt werden, zu der sich aber nur die/der Betroffene selbst entschließen kann.

Normal oder doch schon auffällig?

Abnehmen an sich ist noch kein Anlass zur Sorge. Verliert eine etwas fülligere Person ein paar Kilos, verleitet das zunächst dazu, Komplimente zu verteilen. Doch was, wenn das anfangs noch gesunde Essverhalten kippt? Das macht es auch so schwierig, eine Essstörung im Anfangsstadium zu erkennen. Doch wann sollte man genauer hinschauen und die Situation hinterfragen? Ein Warnsignal ist es, wenn dem Essen plötzlich zu viel Aufmerksamkeit geschenkt wird und das mehr als sonst. Bedenklich wird es vor allem dann, wenn sich die Einstellung zum Essen grundlegend verändert, nicht mehr lustvoll gegessen wird und sich die betreffende Person auch in ihrem Wesen verändert. Häufig kommt es dabei zum sozialen Rückzug, der sich vor allem, aber nicht nur auf das Meiden von gemeinsamen Mahlzeiten bezieht. Häufig werden Essenszeiten nicht eingehalten oder Betroffene geben vor, bereits gegessen zu haben oder dann später mit anderen essen zu gehen.

Die Sprache der Essstörung verstehen

Wenn sich der Verdacht auf eine Essstörung erhärtet, fühlen sich Angehörige oft als ob eine unkontrollierbare Gefühlslawine über sie hinweg donnert. Die Situation ist von einem Nicht-Wahrhaben-Wollen geprägt. Die Lebenslage dementieren, doch anerkennen, beratschlagen und aufkeimende Gedanken wie „vielleicht ist das nur eine vorübergehende Phase“, „wie konnte es so- weit kommen“, „wieso ausgerechnet mein Kind“ wechseln einander ab. Häufig gesellen sich in das ambivalente Gefühlswirrwarr auch noch nagende Schuldgefühle. Die Frage nach dem Warum drängt sich schmerzhaft in den Vordergrund und überlagert zunächst den Mut zu handeln. Umso wichti- ger ist es, über die Krankheit Bescheid zu wissen, um sie verstehen zu lernen. Speziell für Eltern ist es wichtig zu erfahren, dass es bei Essstörungen nie eine alleinige Ursache gibt. Eine Essstörung kann als körperliches und seelisches Sprachrohr für eine Vielzahl von unterschiedlichen Missständen verstanden werden.

Das klärende Gespräch

Eine der schwierigsten Herausforderungen für Angehörige ist es, die Dinge konkret anzusprechen. Das bedeutet, sich einer bewussten Konfrontation auszusetzen – einerseits mit den eigenen Ängsten, andererseits mit dem Empfinden des anderen. Hinzu kommt die Unsicherheit, wie man die Situation überhaupt thematisieren kann.

Am ehesten kommt man mit den Betroffenen in Kontakt, wenn man ohne Vorwurf ausspricht, was man beobachtet und dabei unbedingt in der Ich-Form bleibt. „In letzter Zeit habe ich beobachtet, dass du immer weniger/mehr isst. Siehst du das auch so? Gibt es dafür einen Grund?“ oder „Ich habe gesehen, dass du dich nicht mehr mit deinen Freundinnen triffst. Was beschäftigt dich?“ Auch wenn man in solchen Situationen oft eine patzige Antwort bekommen wird, ist es wichtig, immer wieder Gesprächsangebote zu machen und das Thema nicht zu tabuisieren, nicht unter den Teppich zu kehren.

(Mit-)Leben mit der Sucht

Wer mit ansehen muss, wie ein geliebter Mensch immer weiter in den Sog der Sucht gezogen wird, der droht mitunter selbst den Halt zu verlieren und in eine Art Co-Abhängigkeit zu geraten. Co-Abhängigkeit beschreibt die Tendenz der Angehörigen, das eigene Tun von den anderen, speziell den Süchtigen, abhängig zu machen und sich nur noch auf diese Person und ihre Erkrankung zu konzentrieren. Eigene Impulse, Wünsche und Bedürfnisse werden zurückgestellt zum Wohle der Betroffenen. Was Co-Abhängige in ihrer Sorge nicht merken, ist, dass sie mit ihrem Verhalten die Sucht der Tochter aufrechterhalten. Sie stellen durch ihre überverantwortliche Haltung erst eine Situation her, in welcher es keinerlei Grund für Betroffene gibt ihr Verhalten zu verändern.

Die Verantwortung für die Genesung abgeben, loslossen

Viele essgestörte Mädchen und Frauen erleben es als erdrückend, wenn sie spüren, dass ihre Eltern nur noch für sie leben, weil sie sich dann ihrerseits verpflichtet fühlen, sich um sie zu kümmern und sich noch weniger trauen, ihren eigenen Weg zu gehen. Angehörige haben jedoch oftmals große Angst, die Verantwortung für die Genesung der Tochter abzugeben, weil sie befürchten, dass sie ‚abrutscht‘. Eine Mutter brachte dies treffend zum Ausdruck: „Wenn ich loslasse, habe ich Angst, es passiert etwas Schlimmes, aber wenn ich festhalte, wird alles nur noch schlimmer.“

Mut zur Selbsthilfe

Bei aller Verbundenheit zu der erkrankten Person dürfen Sie nicht auf sich und ihre eigenen Bedürfnisse vergessen. Manchmal brauchen Angehörige selbst therapeutische Hilfe, speziell dann, wenn der Betroffene Hilfe partout verweigert oder häufige Rückschläge erleidet. Das entlastet die schwierigen Beziehungen, die von der Krankheit geprägt sind und macht den Betroffenen letztlich auch Mut, selbst auf therapeutische Unterstützung zurückzugreifen. Entscheidend sei auch das Bewusstsein, dass nur der Betroffene selbst die Verantwortung für den Gesundungsprozess übernehmen kann. Je früher Betroffene fachgerechte Hilfe in Anspruch nehmen, umso größer ist die Chance, dass sie die Essstörung nicht mehr als Lebensbewältigungsstrategie brauchen, sondern wieder all ihre Ressourcen für ihr eigenes, selbstbestimmtes Leben zur Verfügung haben.

Das Institut sowhat bietet profesionelle Unterstützung für Menschen mit Essstörungen.

www.sowhat.at

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