″ÖBB-Fahrscheinkontrollen außerhalb von Zügen″

Die Fahrkarte ist der Beförderungsvertrag zwischen dem Fahrgast und dem Eisenbahnverkehrsunternehmen. Zur Kontrolle dienen Zugbegleiter, deren Aufgabe es ist, die vorgezeigten Fahrkarten zu kontrollieren und mittels Zangendruck zu entwerten. Da das eingesetzte Personal jährlich teurer wird sowie auch die Anzahl des Personals in den letzten Jahren massiv reduziert wurde, verkehren viele Züge entweder ohne Zugbegleiter oder nur in der Minimalbesetzung. Die Folge sind keinerlei Kontrollmaßnahmen, Vandalismus und auch Entgang von Einnahmen bei gleichzeitigem Steigen der Schwarzfahrer.

Um die Kontrollmaßnahmen gegenüber den zahlenden Fahrgästen zumindest in der ″Schmalspurversion″ rechtfertigen zu können, begann die ÖBB PV AG vor ca. zehn Jahren damit, an den Abgängen bzw. Ausgängen der Haltestellen entlang der Stammstrecke der Wiener S-Bahn zu kontrollieren. Während die Schwarzfahrer dabei erwischt wurden, wurden auch jene Personen bestraft, die Bekannte zum Zug begleitet haben und gar kein Passagier der ÖBB PV AG waren. Unschuldige wurden mit den üblichen Sanktionen mit Geldstrafen belegt, die dann noch mittels Inkasso eingetrieben wurden. Die Vorgangsweise sorgte immer wieder für Empörung, selbst die dafür zuständige Schlichtungsstelle bei der SCG mußte fernmündlich einräumen, daß die von der ÖBB PV AG gewählte Vorgangsweise eine rechtliche Grauzone bot.

Das Tarifwesen jedes Eisenbahnverkehrsunternehmens muß sich zwangsläufig mit den Bestimmungen eines dazugehörigen Materiengesetzes decken. Im konkreten Fall ist das Eisenbahnbeförderungsgesetz von Bedeutung, die hierzu alle Regelungen trifft und die Basis für den Tarif darstellt, bzw. müssen die tariflichen Bestimmungen ihre Deckung im dazugehörigen Materiengesetz finden.

Fahrscheinkontrollen in fahrenden Zügen waren bis dato nie das Problem, beim Antreffen eines Fahrgastes ohne Fahrschein war die Rechtslage hinsichtlich Schwarzfahrens in den meisten Fällen klar ersichtlich. Durch die massiven Einsparungsmaßnahmen wurden diese Kontrollen durch eine Schar von ÖBB-Mitarbeitern unter Beziehung der Exekutive bei den Ausgängen der Bahnhöfe und Haltestellen vollzogen. Die ÖBB PV AG rechtfertigte das Vorgehen damit, daß durch die Novelle des Eisenbahnbeförderungsgesetzes im Jahr 20131 dem Unternehmen die Möglichkeit dazu geschaffen wurde und beruft sich dabei auf die Gesetzesbestimmung, daß der Kunde seine Fahrkarte bis zum Verlassen des Bahnhofes bei sich tragen muß. Der Gesetzgeber hat beim Abfassen des Gesetzestextes aber verkannt, daß Bahnhöfe vermehrt zu Konsumtempel ″verkommen″ und daher ein Kundenverkehr ohne in Anspruchnahme der Eisenbahn erfolgt. In solchen Fällen werden kann gutgläubige Personen rasch zum Schwarzfahrer deklariert, die erst gar nicht mit dem Zug gefahren sind.

Die Krux an der Geschichte ist allerdings, alsdaß das BMVIT bei der Gesetzesnovelle im Folgeparagraph festschreibt, daß für das Betreten der Bahnsteige kein Fahrschein notwendig ist. Diese Widersprüchlichkeit steht in der gleichen Novelle und in unmittelbarer Abfolge, und ist selbst im Begutachtungsverfahren keinem der 22 Befragten2 aufgefallen. Im Begutachtungsverfahren werden die Verfassungsdienste des Bundes und der Länder, weitere hoheitliche Stellen (Ministerien und Oberste Organe des Bundes) sowie betroffene Unternehmen wie ÖBB, SCG udgl. zur Stellungnahme aufgefordert. Gerade bei denLändervertretern erhärtet sich der Verdacht, als diese dieses Materiengesetz mangels Kompentenz erst gar nicht im Detail angesehen haben, ansonsten wäre dieser Widerspruch aufgefallen.

Mit Infrakrafttreten der Novelle begann die ÖBB Personenverkehr sowie auch schon davor mit den Kontrollen. Laufend gab es Beschwerdefälle, sodaß auch die SCG als Schlichtungsstelle eingreifen mußte. Die SCG orientierte sich vielfach am Gesetzestext, mußte aber zugeben, daß die Vorgangsweise nicht eindeutig Klarheit schafft.

Die ÖBB Personenverkehrs AG hat bei solchen Kontrollen zunächst die Exekutivorgane wie die Polizei zugezogen. Im Rahmen einer solchen Kontrollmaßnahme erfolgte auch die Fahrscheinkontrolle bei einem Universitätsprofessor, der sich intensiv mit den Beförderungsbestimmungen von Eisenbahnen auseinandersetzte und dabei infolge der Hinzuziehung der Polizei eine Maßnahmenbeschwerde beim Verwaltungsgericht Wien erwickte.3 Das Urteil besagt unter anderem, daß Fahrscheinkontrollen am Bahnhof bzw. am Bahnsteig durch Hilfsorgane wie die Mitarbeiter der ÖBB Mungos oder anders geartete ÖBB-Mitarbeiter unzulässig sind. Dasselbe gilt auch für Identitätskontrollen durch die Polizei, die diese Kontrollen unterstützen.

Da aber weiterhin Mitarbeiter der ÖBB-Personenverkehrs AG derartige Kontrollen trotz Urteil weiterhin abhielten, wurde der zuständige Vorstand der PV AG damit konfrontiert. Die VD Hackl hat auf die erste Anfrage gar nicht reagiert, bei der zweiten Anfrage unter Hinzunahme des CEO Matthä wurde die Anfrage an den ÖBB Kundenservice weitergeleitet. Es folgte (sehr) langes Schweigen, bis die ÖBB Personenverkehrs AG nach nochmaliger Anfrage reagierte und am 19. Oktober 2017 endlich wie folgt Stellung bezog:

″Eingangs möchten wir darauf hinweisen, dass sich die vorliegende Entscheidung des Verwaltungsgerichts Wien gegen die polizeiliche Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt durch Identitätsfeststellung und den Befehl zum Vorweisen einer Fahrkarte richtet und nicht gegen die Kontrollmaßnahmen der ÖBB-Bediensteten. Damit einher geht auch die unzulängliche Befassung des Verwaltungsgerichts mit dem Verhältnis der § 13 Abs 3 Z 1 zu § 14 EisbBFG zueinander sowie der Beschaffenheit der in § 14 EisbBFG angeführten Bahnsteigsperre. Die Analogie zu den Bahnsteigsperren der Wiener Linien wurde vom Beschwerdeführer ins Treffen geführt und vom Gericht übernommen. Aus dem Gesetz lässt sich jedoch nicht ableiten, welche Form und Beschaffenheit eine Bahnsteigsperre haben muss und ebenso wenig ob diese dauerhaft eingerichtet sein muss. So hat es das Gericht z.B. verabsäumt zu prüfen, ob die Sperre des Bahnsteigzugangs durch die die Fahrkartenkontrolle durchführenden Personen nicht ebenso als Bahnsteigsperre qualifiziert werden kann. Immerhin stellt die Kontrolltätigkeit eine Barriere dar und ist für außenstehende Personen klar erkennbar, dass entsprechende Kontrollmaßnahmen stattfinden. Im Übrigen möchten wir betonen, dass die ÖBB-Mitarbeiter keine Fahrgeldnachforderungen ausstellen, wenn von einer kontrollierten Person erwähnt wird, dass sich diese nur auf dem Bahnsteig befand und nicht mit einem Zug gefahren ist.

Abseits dieser rechtlichen Thematik hat sich die ÖBB-Personenverkehr AG grundsätzlich mit dem bestehenden Kontrollsystem intern befasst und mögliche Effizienzverbesserungen evaluiert. Im Zuge dessen wird die ÖBB-Personenverkehr AG ab Fahrplanwechsel die Fahrkartenkontrollen von den Bahnsteigen verstärkt in die Züge verlagern, um diese noch effizienter als bisher durchführen zu können.″

Natürlich wurde auch die Exekutive infolge der Beiziehung und des Urteiles durch das Verwaltungsgericht Wien einbezogen. Das Bundesministerium für Inneres hat die Presseanfrage an die zuständige Fachabteilung zur genaueren Abklärung weitergeleitet. Die Bearbeitung und Rückmeldung seitens der Landespolizeidirektion Wien dauerte rund sieben Wochen.

″Wir beziehen uns auf Ihr Schreiben an das Bundesministerium für Inneres vom 11. September 2017. Aufgrund der von Ihnen angesprochenen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichts Wien erfolgte Anfang 2016 eine Anpassung der Bezug habenden Dienstanweisung „Schwarzfahren-Art III Abs. 1 Z2 EGVG“. Seit diesem Zeitpunkt sind keine Fälle bekannt, wo es im Rahmen von ÖBB-Schwerpunktaktionen (Fahrscheinkontrollen) zu einem rechtswidrigen Einschreiten von Exekutivbeamten der Landespolizeidirektion Wien gekommen wäre. Die Entsendung von Polizeikräften zu Schwerpunktaktionen der ÖBB erfolgt nicht zur Unterstützung bei den Fahrscheinkontrollen, sondern zur Verhinderung von strafbaren Handlungen im Zuge dieser Schwerpunktaktionen. Sollten Ihnen anderslautende Vorfälle in Wien zur Kenntnis gelangen, werden Sie gebeten, uns diese ehestmöglich bekannt zu geben, um eine Überprüfung veranlassen zu können.″ Auf die Frage hin, ob die Möglichkeit zur Übersendung der Dienstanweistung besteht, meinte ebendiese Behörde wie folgt: ″Bezugnehmend auf Ihr Schreiben vom 15. November 2017 teilen wir Ihnen mit, dass die Übersendung der Dienstanweisung Schwarzfahren; Art. III Abs 1 Z 2 EGV nicht möglich ist, da es sich dabei um eine interne Anweisung handelt. Diese lautet auszugsweise: „Das Betreten eines Bahnsteiges der ÖBB setzt nicht den Besitz eines Fahrausweises voraus und besteht kein Recht des Beförderungsunternehmens zur Kontrolle der Fahrausweise beim Verlassen des Bahnsteiges. Ein Fehlen eines solchen Fahrausweises, oder die Weigerung, diesen vorzuweisen, kann daher nicht den Verdacht des Vorliegens einer Verwaltungsübertretung nach Art. III Abs. 1 Z 2 EGVG begründen und besteht in diesem Fall keine rechtliche Grundlage zur Identitätsfeststellung. Siehe § 14 Eisenbahn-Beförderungs- und Fahrgastrechtegesetz:

„ Bahnsteige können grundsätzlich ohne Fahrausweis betreten werden, ausgenommen es sind klar erkennbare Bahnsteigsperren eingerichtet“.“

Da es in Österreich keine sichtbaren bzw. eindeutig erkennbaren Bahnsteigsperren – im Unterschied zu den Wiener Linien – gibt, ist das Betreten der Bahnsteiganlagen problemlos möglich. Es ist auch davon auszugehen, daß mit dieser medialen Aufarbeitung der Problematik derartige Kontrollen nun der Vergangenheit angehören. Allerdings hat die Sache einen bitteren Beigeschmack. Was die Politik und die Behörden verbocken, dürfen einfache Bürger dann bei Gericht auf gut Glück richten.

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Isra Keskin

Isra Keskin bewertete diesen Eintrag 04.05.2018 17:48:37

Zaungast_01

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