Rechtsbruch und Rechtsstaat – ist das vereinbar?

Sagen wir, Sie fahren durch die Stadt, haben es sehr eilig, können aber keinen Parkplatz finden, außer in der Kurzparkzone. Nur müssen Sie leider länger weg als die Parkuhr es erlaubt. Sie entscheiden sich das zu riskieren, parken sich ein. Bekommen Sie einen Parkschein, dann zahlen Sie einfach. So sind die Regeln. Sie übertreten also bewusst Verwaltungsrecht und stehen für die Strafe ein. Ist dadurch der Rechtsstaat gefährdet? Sicher nicht. Es gehört zum Rechtsstaat, dass bei Übertretung von Gesetzen eine Strafe ausgesprochen werden kann, die man dann auf sich zu nehmen hat. Beim Zivilen Ungehorsam im politischen Aktivismus ist die große Mehrheit der Fälle eine Verwaltungsübertretung analog zum Falschparken. Wenn man z.B. unangemeldet eine Demo durchführt, oder einen Eingang blockiert oder sich an einer Fassade abseilt und ein Transparent entfaltet. In allen Fällen wird das Verwaltungsrecht bewusst übertreten, in allen Fällen ist bekannt, wer es war, in allen Fällen wird die Strafe bezahlt. Kein Problem für den Rechtsstaat.

Manchmal kommt es beim Zivilen Ungehorsam auch zur Besitzstörung. Aber auch die ist natürlich rechtlich im Detail geregelt. Sagen wir, Sie fahren mit dem Auto, finden keinen Parkplatz, und stellen sich auf die Schnelle bewusst in eine Einfahrt. Fertig ist die Besitzstörung, auch wenn überhaupt niemand konkret dadurch gestört wurde. Im Falle einer Klage des Besitzers, weil er Sie z.B. in seiner Einfahrt fotografiert hat, werden Sie vermutlich eine Unterlassung unterschreiben und die Gerichtskosten zahlen. Der Rechtsstaat ist nicht in Gefahr. Genauso wenig, wie bei Aktionen des Zivilen Ungehorsams, bei denen es zur Besitzstörung gekommen ist. Das wäre z.B. eine Demo auf Privatgrund oder eine Dachbesetzung einer Tierfabrik. In allen Fällen geht das Verfahren seinen normalen Weg. Kein Problem für den Rechtsstaat.

In seltenen Ausnahmefällen kommt es zur bewussten Übertretung des Strafrechts. Sagen wir, Sie gehen durch die Straßen und sehen einen Hund in einem geschlossenen Auto. Die Sonne scheint, der Hund hechelt verzweifelt, seine blau gewordene Zunge hängt heraus, jeden Moment stirbt er. Was macht man dann? Die Polizei zu rufen ist eine Option, die aber durchaus zu spät kommen kann. Würden Sie bei diesem qualvollen Tod eines Tieres zuschauen? Ich denke, oder vielmehr hoffe: nein. Sie schlagen die Scheibe ein, geben dem Hund frische Luft, retten ihn. Dabei begehen Sie aber eine Sachbeschädigung, ein strafrechtliches Delikt. Was passiert nun? Im schlimmsten Fall für Sie kommt es zu einem Verfahren. Aber wie auch immer das ausgeht, ein Problem für den Rechtsstaat ist weit und breit nicht zu sehen. Ähnlich bei Aktionen des Zivilen Ungehorsams, bei denen das Strafrecht übertreten wird. Sie sind im Grunde analog und wieder gibt es keine Gefahr für den Rechtsstaat.

Müssen Falschparker, Einfahrtparker und Hunderetter, um konsistent zu sein, den Rechtsstaat ablehnen, weil sie ein Gesetz übertreten haben? Sicherlich nicht. Genauso beim Zivilen Ungehorsam. AktivistInnen, die Zivilen Ungehorsam im klassischen Sinn leisten, werden zumeist nicht nur den Rechtsstaat grundsätzlich begrüßen, sondern ihn auch respektieren. Ja, mehr noch, sie werden der Meinung sein, durch ihre Aktion den Rechtsstaat sogar zu fördern. Martin Luther King hat das deutlich gemacht, wenn er meinte, er breche das Gesetz auf friedliche und offene Weise, mit allen Konsequenzen, weil er den Rechtsstaat respektiere. Deshalb müsse er offen ungerechte Gesetze übertreten, um darauf aufmerksam zu machen und das Recht zu korrigieren.

Tatsächlich, Gesetze sind nicht in Stein gemeißelt. Sie wechseln ständig. Dazu gibt es ein Parlament und die Landtage, die praktisch nichts anderes zu tun haben, als dauernd neue Gesetze zu beschließen und alte zu reformieren. Das System in der Gesellschaft ist im Fluss. Und der Zivile Ungehorsam dient dazu, bei dieser Ausgestaltung mitzuhelfen. Er macht auf Ungerechtigkeiten aufmerksam, er löst Diskussionen aus, er ermöglicht Althergebrachtes zu hinterfragen. Er ist notwendiger Teil einer lebendigen Demokratie und eines Rechtsstaates. Eine Tiernutzung, die heute legal ist, kann morgen schon verboten werden. Wenn Mensdorff-Pouilly heute noch Rebhühner aussetzen darf, könnte das im nächsten Jahr bereits behördlich untersagt sein, wenn unsere Aktionen eine entsprechende öffentliche Diskussion darüber auslösen.

Aber nicht nur die Gesetze sind im Wandel, sondern auch die Werte, und insbesondere die Werte von Rechtsgütern. Tiere waren bis vor 30 Jahren Sachen wie Tische. Seit 1989 gibt es § 285a im Allgemeinen Bürgerlichen Gesetzbuch (ABGB), der besagt, dass Tiere keine Sachen sind. Dieser Paragraph hat nach Meinung vieler damit ein Rechtsgut „Tiereswohl“ geschaffen. Ähnlich § 1332a ABGB, der Schadenersatz bei einer Verletzung eines Tieres nicht vom Sachwert des Tieres abhängig macht, sondern vom Gesamtschaden, der entstanden ist, wenn ein liebender Verantwortlicher für dieses Tier dessen komplette Heilungskosten bezahlt. Darüber hinaus verpflichtet die Verfassungsbestimmung Tierschutz sogar gesetzestreue BürgerInnen, zum Schutz des Lebens und des Wohlbefindens von Tieren einzugreifen, ihnen sozusagen Nothilfe zu gewähren.

Es ist ein anerkanntes Prinzip in der Rechtssprechung, dass man ein geringeres Rechtsgut verletzen kann, um ein höheres zu retten. Wer sagt, dass die Scheibe eines Autos nicht das geringere Rechtsgut ist, als das Leben des Hundes im Auto, das durch dessen Zertrümmerung gerettet wurde? Wer sagt dann aber nicht vielleicht auch, dass das Leben der 17 Rebhühner bei meiner Befreiung nicht vielleicht das höhere Rechtsgut war, als ihr Sachwert für Mensdorff-Pouilly?

Wie auch immer diese Fragen zu beantworten sind, der Rechtsstaat ist mit einer offenen Aktion dieser Art nicht gefährdet sondern respektiert. Das Problem wird dem Gericht überantwortet und das Urteil des Gerichts anerkannt. Das ist das bestimmende Element des Rechtsstaates.

Der Rechtsstaat wird durch ganz andere Dinge gefährdet. Z.B. durch Korruption und Bestechung, wenn jemand politisch Verantwortliche zur Jagd einlädt und sie daraufhin ihre Pflicht vergessen. Oder z.B. durch Repression, wenn Mächtige aus politischen Gründen ihre Position missbrauchen und die Polizei instrumentalisieren, um KritikerInnen mundtot zu machen, wie in der Tierschutzcausa. Der Rechtsstaat ist aber auch in Gefahr, wenn Firmen politischen Einfluss ausüben und Sonderkommissionen bestellen können, oder wenn sie eine Welle sogenannter SLAPP-Zivilklagen einbringen. Aber der Rechtsstaat ist auch in Gefahr, wenn politische Gewalt an der Exekutive vorbei ausgeübt wird, z.B. bei Buttersäureanschlägen auf friedliche AktivistInnen des VGT, wobei der Täter, obwohl von den TierschützerInnen festgenommen, nicht gerichtlich verfolgt wird.

Nein, Aktionen des Zivilen Ungehorsams sind ein fester Bestandteil unserer Demokratie und unseres Rechtsstaates. Zum Glück. Sonst hätten wir z.B. keinen Nationalpark Donauauen östlich von Wien. Der wurde nämlich im Dezember 1984 durch eine große Aktion des Zivilen Ungehorsams vor der völligen Zerstörung bewahrt. Und heute sind ausnahmslos alle der Ansicht, dass es damals richtig war, so gehandelt zu haben.

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Daniela Noitz

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