Stehen wir vor der größten Transformation des Schulbetriebs?

Im österreichischen Schulwesen gibt es einige wenige Schulbücher, die alters- und schulartenspezifisch, staatlich approbiertes (und so auch überprüfbares) Wissen vermitteln.

Beim Lehrpersonal ist das ganz anders. Da unterrichten an den verschiedenen Schulstandorten viele tausende Kolleg*innen den gleichen Stoff: Manche tun das sehr gut, sie kennen sich fachlich aus, sind ausgestattet mit vielfältigem didaktischem Rüstzeug, verfügen über Empathie für die ihnen anvertrauten jungen Menschen, andere machen das weniger gut, folgen einer langjährigen Routine, wirken uninspiriert, ausgebrannt, manche waren nie gut und sind einfach nur schlecht.

Spätestens mit der massenhaften Einübung in Homeschooling werden hinter einer lang gepflegten Behauptung prinzipieller Unveränderbarkeit ganz neue Szenarien denkbar: Was spricht eigentlich dagegen, dass – ähnlich wie bei den Schulbüchern – einige wenige und dafür höchst qualifizierte Lehrer*innen, bestens aufbereitetes fachliches Wissen auf höchstem Niveau via die digitalen Medien an allen österreichischen Schulen vermitteln? Sodass sich alle anderen Kolleg*innen auf das konzentrieren können, was nur am physischen Ort Schule verhandelt werden kann.

Und das ist bei Gott mehr als traditionelle Wissensvermittlung und ihre Überprüfung.

Genau dazu passen die massenhaften Rückmeldungen der Schüler*innen, die zur Zeit keinen Zugang zu ihrem Schulstandort finden: Das, was sie vermissen, das ist der soziale Ort Schule, das sind ihre Freunde, die Gemeinschaft, die Möglichkeit dazuzugehören und mitwirken zu können. Der “Stoff” hat im Vergleich dazu nur einen geringen Stellenwert – außer es geht um das Problem der Benotung, dessen Logik mit der Krise ohnehin noch einmal in eine veritable Krise geraten ist.

Was also spricht für bzw. gegen einen neuen Lehrer*innen-Typ, der sich um die zentrale Ressource der Gesellschaft, dem sozialen Miteinander, sorgt und ihr eine pädagogische Rahmung gibt? Der/die bereit ist, aus dicken und dünnen, großen und kleinen, aus armen und aus wohlhabenden Verhältnissen stammenden, früher oder später angekommenen, besser oder schlechter Deutsch sprechenden, mit diesem oder jenem Gender-Bewusstsein ausgestatteten, lustigen und ernsten, introvertierten und extrovertierten, jedenfalls unterschiedlichen jungen Menschen eine lebendige soziale Gruppe zu formen.

Deren Mitglieder neugierig sind aufeinander, die bereit sind, voneinander zu lernen, etwas gemeinsam zu unternehmen, Probleme zu lösen, dabei das digital vermittelte Wissen anzuwenden, sich auf ein Kunstprojekt einzulassen oder einfach Feedback zu geben; die in der Lage sind, einander zu ermutigen, zu trösten, Freude zu empfinden und vor dem Ausrasten zu bewahren; schlicht, die stark genug sind, bei aller Unterschiedlichkeit untereinander Vertrauen zu entwickeln, um der Welt einen Haxen auszureißen….

Die Rede ist von einem Lehrer*innen-Typ, der sich auf der Höhe der Zeit einer rasanten gesellschaftlichen Heterogenisierung und Pluralisierung weiß. Und der*die stark genug ist, Kompetenzen der fachlichen Vermittlung abzugeben, an diejenigen, die etwas besser können als er*sie (und in einem Medium, das wesentlich attraktiver ist als der überwuzelte Klassenraum). Während er*sie sich darauf konzentrieren kann, worum es im Leben wirklich geht: Um die Entwicklung einer Haltung bei den jungen Menschen, die stark genug ist, um sich voll Selbstvertrauen auf die eigenen Abgründe, auf die anderen und auf die Welt einzulassen.

Michael Wimmer schreibt regelmäßig Blogs zu relevanten Themen im und rund um den Kulturbereich.

Anhand persönlicher Erfahrungen widmet er sich tagesaktuellen Geschehnissen sowie Grundsatzfragen in Kultur, Bildung und Politik.

Weitere Blogs, Publikationen und Aktivitäten sind auf Wimmers Kultur-Service zu finden. Hier geht's auf die Website.

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