Vielleicht sollten wir nicht die Arbeitslosigkeit, sondern die Arbeit bekämpfen“

Bemerkungen zu Lisa Herzogs „Die Rettung der Arbeit – Ein politischer Aufruf“

Im Begriff der Arbeit vereinigt sich eine Vielfalt von Assoziationen zu dem, was Menschen umtreibt. Die Palette reicht von Mühe und Plage über Beruf und Berufung bis zu Betätigung und Beschäftigung. Und doch rankt sich spätestens mit dem Aufkommen des Industrialismus alles um die Zurichtung von Arbeit auf den Erwerb eines Entgeltes, die das Denken und Handeln moderner Gesellschaften dominiert. Um den Austausch von Arbeit zum Erhalt von Lohn werden die zentralen Werte der Leistungsgesellschaft verhandelt. Als solche sind sie Ausdruck der jeweiligen Kräfteverhältnisse zwischen Arbeitgeber*innen und Arbeitnehmer*innen. Ein solcherart zugeschnittener Arbeitsbegriff steht für eine hegemonial wirksame Sinnstiftung, wie sie von Institutionen außerhalb der Arbeitswelt (Kirchen, Parteien, Kultureinrichtungen, etc.) in immer geringerem Ausmaß geleistet werden kann.

Alles dreht sich um die Lohnarbeit

Dementsprechend leidvoll werden die aktuellen Wirkungen der Pandemie erfahren, die u.a. zu erhöhter (unverschuldeter) Aufkündigung von Arbeitsplätzen führen. Allein in Österreich werden mit der Erneuerung des Lockdowns bis zu 500.000 Arbeitslose erwartet; dazu kommen noch einmal 500.000 Menschen in Kurzarbeit (insgesamt wohl mehr als ein Viertel aller Erwerbstätigen). Da mögen die Betroffenen auch noch so vielen Tätigkeiten nachgehen, solange sie nicht an den Erwerb von Lohn und Einkommen geknüpft sind, kommt ihnen keinerlei gesellschaftliche Bedeutung zu (und wird auch von den Ausübenden nur zu leicht als eine zeittötende Ersatzhandlung erlebt). Verschärft wird der Verlust von Lohnarbeit durch eine (durch die Gesundheitskrise noch rascher um sich greifende) digitale Revolution, die immer weitere Teile menschlicher Arbeit auf die Maschine zu übertragen vermag, wodurch das Wiedererreichen von Vollbeschäftigung und damit die Ermöglichung von Lohnarbeit für alle Erwerbsfähigen immer unwahrscheinlicher erscheinen lässt.

Vor allem Künstler*innen, von denen viele bereits vor der Krise mit prekären Lohnerwerbsverhältnissen zu kämpfen hatte, reagieren zuletzt auf diesen massenhaften Verlust beruflicher Realisierungschancen mit der Forderung nach einem bedingungslosen Grundeinkommen. Damit sollen sie aus den Zwängen einer sie benachteiligenden, weil auf Erwerbsarbeit fixierten Gesellschaft entbunden werden, um sich vom Kampf um Lohn befreit ausschließlich ihrer künstlerischen Tätigkeit widmen zu können. Sie nehmen damit Utopien einer Post-Arbeitsgesellschaft aus dem 19. Jh. auf, die bereits Karl Marx von einer klassenlosen Gesellschaft haben sprechen lassen, in der Menschen von der existentiellen Not, sich in entfremdende Lohnarbeitsverhältnisse zu begeben, befreit sind und frei wählen können, welchen Tätigkeiten sie nachgehen wollen: “heute dies, morgen jenes zu tun, morgens zu jagen, nachmittags zu fischen, abends Viehzucht zu betreiben, nach dem Essen zu kritisieren, wie ich gerade Lust habe.“

Die digitale Revolution frisst den durch Lohnarbeit erworbenen Lebenssinn

Seine moderne Entsprechung findet diese Utopie darin, was Menschen an Arbeit zu leisten gezwungen waren, nun auf die Maschine abgeben, um sie auf diese Art in eine aristokratische Position zu hieven, in der sie lustvoll und ohne Erwerbszwang selbstgewählten Tätigkeiten nachgehen können, während Maschinen den Job der ehemaligen leibeigenen Bediensteten bei der Verrichtung des Lebensnotwendigen übernehmen. Befürworter*innen der Überwindung einer kategorialen Trennung zwischen Lohnarbeit als dem „Reich der Notwendigkeit“ und der Freizeit als dem „Reich der Freiheit“ können sich u.a. den Schwiegersohn von Karl Marx Paul Lafargue vor Augen führen, der sich aufgrund seiner begüterten Herkunft in der Lage sah, mitten in der Hochzeit der kapitalistischen Ausbeutungsverhältnisse von Industriearbeiter*innen ein „Lob der Faulheit“ zu singen.

Tätig sein außerhalb der Logik der (Lohn-)Arbeitswelt

In meiner persönlichen Situation als Rentenempfänger fühle ich mich von der Infragestellung der Zurichtung des Arbeitsbegriffs auf Lohnerwerb unmittelbar angesprochen. Mit dem Ausscheiden aus dem aktiven Erwerbsleben stellt sich auch für mich die Frage nach sinnstiftenden Tätigkeiten, die sich nicht in Ausübung einer Lohnarbeit beschränkt und sich nicht in materiellen Gegenleistungen erschöpft. Als Empfänger einer gesicherten Alimentierung kann ich es mir zumindest theoretisch leisten, mich auf einen wesentlich breiteren Arbeitsbegriff zu beziehen, der keiner ökonomischen Begründung bedarf. Ein solcher weiß sich auch frei, mittels erbrachter Leistungen im Konkurrenzkampf mit allen anderen Erwerbstätigen bestehen zu können: Als aus dem Arbeitsprozess Entlassener muss bzw. kann ich im Anerkennungsraum der Arbeitswelt nichts mehr werden. Also bin ich mit meinen Tätigkeiten auf eine Form der Privatheit zurückgeworfen, die sich nur sehr schwach auf eine kollektive Sinnstiftung zu beziehen vermag. Ich kann tun, was ich will, freilich, ohne dabei noch einmal auf einen Bedeutungshaushalt zugreifen zu können, der über meine eigene Befindlichkeit hinausweist.

Umso wichtiger erscheint es mir, noch einmal darüber nachzudenken, ob und wenn ja in welcher Form sich mein Tun nicht in naiven Selbstverwirklichungsphantasien erschöpfen muss, sondern – ungeachtet des Verlusts der Zuschreibung als Beitrag zur Arbeitswelt – einen sinnstiftenden Beitrag zum Gemeinwesen darstellt und damit politisch interpretiert werden kann.

Arbeit als Akt des Politischen

In diesem Zusammenhang ist mir die kleine Streitschrift der politischen Philosophin Lisa Herzog „Die Rettung der Arbeit“ in die Hände geraten. Vor dem Hintergrund der umfassenden, durch die Neuen Technologien hervorgerufenen gesellschaftlichen Umwälzungen, die in alle Lebens- und Arbeitsbereiche der Menschen hineinreichen, bricht sie eine Lanze für die Beibehaltung der Anerkennung von menschlicher Arbeit als zentrale Verbindlichkeit gesellschaftlichen Zusammenlebens. Sie stellt sich damit all denen entgegen, die seit vielen Jahren am Horizont ein „Ende der Arbeitsgesellschaft“ herauf dräuen sehen (der deutsche Soziologe Ralf Dahrendorf hat bereits zu Beginn der 1980er Jahre diese Entwicklung vorhergesagt). Dabei beschränkt sie sich freilich nicht darin, die Arbeitswelt in ihrer gegenwärtigen (auf strukturelle Ungleichheit gerichteten) Form zu verteidigen, sondern in dem sie versucht, ihr neue Facetten des Politischen abzugewinnen.

Allen Überlegungen voran setzt sie auf die Errungenschaft gesellschaftlicher Arbeitsteilung, wie sie nur in der Ausdifferenzierung des Arbeitsmarktes zur Gewährleistung der vielfältigen Aufgaben gegeben ist. Im Unterschied zu Marx sieht sie die Freiheit nicht dadurch gewährleistet, dass Menschen „alles“ machen können, wann immer sie Lust haben, sondern auch in Zukunft gegenseitige Abhängigkeiten das Zusammenleben bestimmen werden. Für Herzog liegen die Vorteile, die Arbeit aufzuteilen auf der Hand. Darüber hinaus bildet Arbeitsteilung die notwendige Voraussetzung dafür, dass sich Menschen unterschiedlicher Fähigkeiten und Begabungen ergänzen und unterstützen, um so ein kooperatives Zusammenwirken zu gewährleisten.

Unterschiedliche Erwartungen an Arbeit: die ökonomische, die selbstverwirklichende und die vergemeinschaftende Facette

Dies vorausgeschickt nutzt Herzog drei große Brillen, um Arbeit auf neue Weise verhandeln zu können. Da ist zum einen die ökonomische Brille und damit der bis heute eindeutig dominierende Blick auf menschliche Arbeitsleistung: Individuell gilt es, mit Hilfe von Lohnarbeit den Lebensunterhalt zu sichern; kollektiv eine Leistungsideologie aufrecht zu erhalten, die eine hinreichende Anzahl von Menschen motivieren soll, sich unter das Joch der Arbeitsgesellschaft zu begeben, um so das für sie und ihre Familien notwendige Einkommen zu lukrieren.

Die zweite, schon wesentlich kleinere Brille sieht Arbeit als Mittel der individuellen Selbstverwirklichung, die Beruf zu einer Berufung werden lässt. Eine wichtige Voraussetzung dafür ist eine qualifizierte Ausbildung, deren Realisierung über Routine-Tätigkeiten hinausweist (dazu hat sich zuletzt ein breite Management-Diskurs entwickelt, der Kreativität, Eigenverantwortung oder Problemlösungskompetenz als zentrale Arbeitsressourcen verhandelt). Von einem solchen Arbeitsbegriff fühlen sich vor allem Menschen mit künstlerischen (und damit nicht unmittelbar am Arbeitsmarkt nutzbaren) Begabungen angesprochen. Viele im Kunstfeld Tätige geraten so in einen oft unausgesprochenen Deal, wonach sie bereit sind, ein geringeres Ausmaß an finanziellen Gegenleistungen für ein größeres Ausmaß an persönlichen Freiheiten bei der Ausübung ihrer Arbeit zu tauschen. Dazu gehört auch die Kritik an einem ökonomischen System, das das Gros der arbeitenden Menschen für ihre Bereitschaft, sich entfremden zu lassen, bezahlt, während sie selbst zwar mit einem besonderen Grad der Unsicherheit zurechtkommen müssen, dabei aber auf einen gewissen Autonomiestatus beharren können. Dass sie dabei Gefahr laufen, ganz schnell an den Rand der Gesellschaft gedrängt zu werden, erfahren viele Künstler*innen mit ihren Selbstverwirklichungsansprüchen spätestens in diesen Tagen wieder, wenn sie sich unversehens am unteren Ende der Anspruchsleiter wiederfinden.

Ein Blick durch die letzte Brille zeigt das Bild der Arbeit als ein soziales System. Erst in der sozialen Dimension zeige sich nach Herzog ihr öffentlicher Charakter und die damit verbundene Notwendigkeit ihrer politischen Gestaltung. Erst jenseits von einem ökonomischem Gegenwert und jenseits aller Ansprüche auf Selbstverwirklichung erschließt sich in einer komplex vernetzten Welt der Bedarf an kollektiver Sinngebung. Nach Herzog ist es ihr sozialer Charakter, der Mitgliedern der Gesellschaft das Gefühl gibt, einen Wert zu repräsentieren, weil sie etwas zur arbeitsteiligen Vergemeinschaftung beizutragen vermögen.

Der Kampf zwischen arbeitenden Menschen und selbstlernenden Maschinen ist in vollem Gang

Gerade in Bezug auf ihr Kernthema, der Auswirkungen der Digitalisierung auf die Arbeitswelt, bleibt Herzog kursorisch. Sie bezieht sich einerseits auf die Ermöglichung neuer Kommunikationsformen, die neue Verbindungen schaffen würde. Und andererseits auf die Übertragung menschlicher Routinen auf die Maschine, die mehr freie Lebenszeit für andere, selbstbestimmtere Aktivitäten erlauben würde. Eine diesbezügliche Umverteilung von Zeitressourcen auf alle Bevölkerungsgruppen aber ergäbe sich nicht automatisch, sondern müsste politisch erkämpft werden. Radikalere Interpretationen der aktuellen Automatisierungswelle als eine ungeheure Machtasymmetrie, der den Maschinen als in Echtzeit Lernende eine uneinholbare Dominanz gegenüber den notwendig nachjapsenden Nutzer*innen erlauben würde, bleiben in ihren möglichen Auswirkungen auf die Machtverhältnisse innerhalb der Arbeitswelt unerwähnt. Aber auch die Hoffnungen, die aktuelle Welle der Rationalisierung würde a la longue zu neuen Berufsbildern und damit zu einer Kompensation der verlorenen Arbeitsplätze führen, bleibt weitgehend undiskutiert.

Über den Widerspruch der Marktwirtschaft: Im Unternehmen Hierarchie – in der Gesellschaft Demokratie

Herzog stellt die marktwirtschaftliche Produktionsweise nicht in Frage; die als alternativlos vorgeführte kapitalistische Produktionslogik wird keiner grundsätzlichen Kritik unterzogen. Sehr wohl aber macht sie – in Anlehnung an den US-amerikanischen Ökonomen Ronald Coase auf einen Widerspruch aufmerksam, der für sie darin besteht, dass zwar zwischen den Unternehmen der marktwirtschaftliche Konkurrenzgedanke dominiert (zu den wachsenden Monopolisierungstendenzen vor allem im Digitalbereich hat sie wenig zu sagen), dass aber innerhalb der Unternehmen nicht das Prinzip von Angebot und Nachfrage herrscht, sondern die Hierarchie. In seiner „Theorie der Firma“ weist Coase auf die ökonomischen Vorteile dieser Organisationsform hin; zugleich wird deutlich, dass hier die Grundlagen für ein strukturelles Demokratiedefizit des beherrschenden (Lohn-)Arbeitsbegriffes liegen: Dieses repräsentiert eben nicht nur die ungleichen Machtverhältnisse innerhalb der Unternehmen, die dem Management erhebliche Verfügungsgewalt gegenüber ihren Belegschaften einräumen.

Als zentrale Erfahrung der arbeitenden Menschen weist die Verweigerung demokratischer Mitsprache weit über die Unternehmen heraus und lässt die Gesellschaft in zwei ungleiche Teile zerbrechen: In den Bereich der lebenserhaltenden Arbeitswelt, in dem hierarchische Machtstrukturen überwiegen und den öffentlichen Raum, der so zu einer demokratischen Spielwiese reduziert wird. Auf diese Weise zwischen Stand- und Spielbein jonglierend erscheint es nur zu logisch, dass das Prinzip der Demokratie vor allem für diejenigen, die von unternehmerischer Hierarchisierung besonders betroffen sind, als Luxusgut für all diejenigen, die es sich leisten können, relativiert bzw. abgewertet wird. Die Bemühungen um eine Demokratisierung der Arbeitswelt haben daran grundsätzlich nicht zu rütteln vermocht und stehen überdies in diesen Tagen mit dem Argument der internationalen Konkurrenz und den damit verbundenen Effizienzerfordernissen unter wachsendem Druck.

Auch Herzog ist sich bewusst, dass die durch die Digitalisierung beschleunigte Rationalisierung der Produktionsweise zu einer nachhaltigen Verringerung der Belegschaften in den betroffenen Unternehmen führen wird. Was mit diesen freigesetzten Menschen passieren soll, darauf hat sie mit Ausnahme einer notwendigen Ausweitung des Weiterbildungsangebotes nur wenige Vorschläge parat. Dafür spricht sie sich für neue Formen einer von der Lohnarbeit unabhängigen Besteuerung (Maschinensteuer) aus, um den Staat auch in Zukunft mit den Mitteln auszustatten, um handlungsfähig zu bleiben.

Arbeit als Medium des Zusammenhalts und der gesellschaftlichen Vertrauensbildung

In ihren abschließenden Überlegungen setzt Herzog noch einmal zu einer grundsätzlichen Kritik am „homo oeconomicus“ an, um ein Plädoyer für ein an solidarischer Vergemeinschaftung orientiertes Menschenbild zu skizzieren. Dafür möchte sie die Welt der Lohnarbeit als einen Ort der sozialen Integration positionieren, in dem Solidarität und gegenseitiges Vertrauen die Grundlage bilden. Die Voraussetzung dafür wäre freilich eine „aktive Stärkung partizipativer und demokratischer Organisationsformen“ auch im Bereich der Arbeitswelt, um sie die „fragile Balance zwischen Demokratie und Kapitalismus“ zugunsten der „überwältigenden Mehrheit der Bevölkerung“ zu befestigen. Die neuen Kommunikationstechnologien sieht sie durchaus als eine Chance, die bestehenden Macht- und Entscheidungsstrukturen zu unterlaufen, wenn es darum geht, die Mitsprache- und Mitwirkungschancen der (Lohn-)arbeitenden zu erhöhen. Herzog ist sich bewusst, dass es hierfür beträchtlicher politischer Anstrengungen bedarf; die Antwort auf die Frage, wer dafür der geeignete politische Akteur sein könnte, bleibt sie leider schuldig.

Exkurs: Die Universitäten entscheiden wesentlich mit, welcher Arbeitsbegriff künftig handlungsleitend sein wird

Wie schwierig sich die Überwindung des „homo oeconomicus“ erweisen könnte, zeigt sich in einer Kontroverse um die Organisation universitärer Ausbildung: So kursiert in diesen Tagen eine Novelle des Studienrechts, wonach Studierende gefordert sind, den wachsenden Effizienzerfordernissen am Arbeitsmarkt zu entsprechen und auf dieser Grundlage ihr Studium zu „optimieren“. Während die Vorsitzende der Universitäts-Konferenz Sabine Seidler diese Entwicklung begrüßt, hat der Rektor der Universität für angewandte Kunst Gerald Bast eine Minderheitenposition eingebracht, der sich gegen eine Zurichtung der Studierenden ausschließlich auf die aktuellen ökonomischen Erfordernisse eines im Umbruch befindlichen Arbeitsmarktes ausspricht. Er spricht sich für den Erwerb von Kompetenzen aus, die über das herrschende Lohnarbeitsregime hinausweisen und damit einen Arbeitsbegriff antizipieren, der sich nicht in weiteren Beiträgen zur umfassenden Ökonomisierung möglichst aller Lebens- und Arbeitsbereiche erschöpft. Stattdessen knüpft er an ein von Herzog vorgetragenes Menschenbild, das die soziale (und damit politische) Natur des Menschen in den Vordergrund rückt. Dass dabei das Prinzip des lebensbegleitenden Lernens aber auch der regelmäßige Umgang mit künstlerischen Phänomenen dazugehört, das steht für Bast außer Zweifel.

Voraussetzungsloses Grundeinkommen: Die Wahl zwischen „exit“ und „voice“

Mit seinen Äußerungen dämpft Bast auch die Hoffnungen weiter Teile der Künstlerschaft auf ein voraussetzungsloses Grundeinkommen. Herzog zitiert in diesem Zusammenhang den Sozialphilosophen Albert Hirschmann, wonach eine solche Form der lebenssichernden Alimentierung zwar „exit“ aber nicht „voice“ ermöglichen würde. Folgt man den Wirkungen der kulturpolitischen Fördermaßnahmen der letzten Jahre, die allesamt darauf hinausgelaufen sind, Künstler*innen unter einen Glassturz zu stellen, um sie damit gesellschaftspolitisch unwirksam zu machen, so würde die Gewährung eines Grundeinkommens diese ausgrenzenden Tendenzen noch einmal signifikant verstärken. Mit der Infragestellung ihrer Teilnahme an der Weiterentwicklung der Arbeitswelt würden Künstler*innen unfreiwillig von einer bürgerlichen Teilhabe ausgeschlossen. Dies beträfe auch ihre Mitwirkung an der Weiterentwicklung der Arbeitswelt (inklusive dem Kampf um die Verteilung künftiger Maßnahmen zur Produktivitätssteigerungen durch die Digitalisierung sowie zur weiteren Ausdifferenzierung des Sozialversicherungssystems). In den entscheidenden gesellschaftspolitischen Fragen würde so ihre Stimme nicht mehr gehört werden (eine Erfahrung, die viele Künstler*innen in der aktuellen Krise schmerzhaft machen müssen, selbst wenn sie behaupten, etwas zu ihrer Lösung beizutragen zu haben).

Es ist die Neufassung der Arbeit, die über unsere Zukunft entscheidet und nicht deren Abschaffung

Was ich aus der Lektüre von Lisa Herzogs Rettungsversuch der Arbeit gelernt habe, das ist einerseits die überragende Bedeutung, die Arbeit als Gestaltungsanspruch in einer arbeitsteilig organisierten Gesellschaft für die individuelle ebenso wie die kollektive Sinnstiftung hat und wohl auch weiterhin haben wird. Aber auch, dass wir angesichts der umfassenden Transformation der Arbeitswelt durch die Digitalisierung gut beraten sind, „Arbeit“ und über die bestehenden Konzepte der „Lohnarbeit“ hinausgehend neu zu fassen. In ihrer Anpassung an die aktuellen Realitäten beschränkt sie sich nicht auf individuelle Existenzsicherung und Selbstverwirklichung. In ihr ist auch der Anspruch an Vergemeinschaftung aufgehoben, und damit der Schlüssel, der grassierenden Spaltung der Gesellschaft wirksam entgegen zu wirken.

Sich aus ihren Zwängen befreien zu wollen, ist nachvollziehbar. In der Einschätzung unumkehrbarer Arbeitsteiligkeit aber bildet „Arbeit“ und nur sie den zentralen Kitt des sozialen Zusammenhalts. Es gilt also nicht, die Arbeit abzuschaffen, sondern sie begrifflich auszuweiten und demokratisch zu organisieren. Es ist dies die wohl wichtigste Voraussetzung, um diejenigen, die als Arbeitslose aus der öffentlichen Wahrnehmung verschwinden (oder mit Hilfe eines von einem voraussetzungslosen Grundeinkommen gestützten Sonderstatus selbst herausdrängen) noch einmal hereinzuholen und damit an der Weiterentwicklung der Gesellschaft aktiv zu beteiligen.

Der persönliche Vorteil: Auch ich als Pensionär könnte mich nochmals als Mitwirkender einer Arbeitsgesellschaft begreifen, deren Erfolgskriterien sich nicht darin erschöpfen, wer wo wie viel verdient, sondern welchen Beitrag er oder sie für ein sinnstiftendes Zusammenleben einzubringen vermag.

Michael Wimmer schreibt regelmäßig Blogs zu relevanten Themen im und rund um den Kulturbereich.

Anhand persönlicher Erfahrungen widmet er sich tagesaktuellen Geschehnissen sowie Grundsatzfragen in Kultur, Bildung und Politik.

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Frank und frei

Frank und frei bewertete diesen Eintrag 08.11.2020 15:32:50

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