Von wegen Ingregration I:Über die Integration der Unintegrierbaren oder Warum Österreich an einer Form der Integration leidet, die alle staatlichen Integrationsanforderungen ad absurdum führt.

Angesichts der entscheidenden Rolle, die der FPÖ spätestens seit den 1990er Jahren im politischen Geschehen Österreichs zukommt, erscheint es mehr als verwunderlich, dass erst in diesen Tagen erstmals von einer unabhängigen Wissenschafterin den Anfängen der Freiheitlichen Partei nachgegangen wurde. In ihrer jüngsten Veröffentlichung „Anton Reinthaller und die Anfänge der Freiheitlichen Partei Österreichs“ (https://www.degruyter.com/downloadpdf/j/vfzg.2018.66.issue-4/vfzg-2018-0033/vfzg-2018-0033.pdf) weist Margit Reiter, Dozentin für Zeitgeschichte an der Uni Wien nach,dass die Gründung der FPÖ 1956 wesentlich mit dem Wiedereintritt von Nationalsozialisten in die politische Arena verbunden ist.

Zentrale Figur dieser Phase der Erneuerung rechtsradikaler Machtansprüche war Anton Reinthaller, der sich bis zu seinem Tod 1958 vom nationalsozialistischen Gedankengut nie distanziert hat. Als Nazionalsozialist der ersten Stunde wurde er 1938 Minister für Land- und Forstwirtschaft im Anschlusskabinett Arthur Seyß-Inquart, im April 1938 deutscher Reichstagsabgeordneter bis zum Kriegsende im Mai 1945; seit 1939 Unterstaatssekretär in Berlin wurde ihm 1941 der Ehrentitel SS-Brigadeführer verliehen. Nach 1945 wurde er sowohl in Deutschland als auch in Österreich vor Gericht gestellt und bekannte sich als führender Funktionär eines Unrechtsregimes in allen wesentlichen Anklagepunkten als nicht schuldig.

Dank mehr als milder Urteile sah er sich nah einer kurzen Phase des Durchtauchens in den ersten Jahren nach der Gründung der Zweiten Republik in der Lage, den „Verband der Unabhängigen“ als Verein zur Verteidigung arisierten Vermögens auf deutschnationalen Kurs zu bringen und auf die Bitte vieler „Ehemaliger“ die Funktion des ersten FPÖ-Obmanns einzunehmen. Reiter weist in ihrem Beitrag nach, dass sich der damalige Bundeskanzler Julius Raab Reinthaller zu diesem Schritt sehr ermutigt und die FPÖ-Parteigründung sehr begrüßt hat. Immerhin sah Raab in der neuen FPÖ eine Chance, in einer möglichen Koalition mit ihr seinen ungeliebten Koalitionspartner SPÖ los zu werden. Darüber hinaus konnte er auf die allgemeine Stimmungslage der damaligen ÖVP beziehen, deren Mitglieder dezidierte Gegner der Integration von jüdischen Menschen, die die Vernichtung durch die Nazis überlebt hatten, waren. Sein Parteifreund Leopold Kunschak sollte bereits Ende 1945 als Parlamentspräsident den Kurs vorgeben: „Ich bin und ich war immer Antisemit. Die polnischen Juden sollen draußen bleiben“ (https://derstandard.at/1362108251435/Der-Anschluss-und-der-Judenhass-einer-OeVP-Ikone).

Der Beginn der FPÖ als herausragende Integrationsleistung von Nationalsozialisten in die österreichische Normalität.

Reiters Darstellung der Geschichte der politischen Neuorganisation von Nationalsozialisten nach Ende der alliierten Besatzungszeit macht verständlich, warum die FPÖ bis heute mehr ist als ein Sammelbecken all derer, die sich der Gefolgschaft konservativer ebenso wie sozialdemokratischer Kräfte verweigern. Seit ihrer Gründung verdeutlichen Aussagen führender FPÖler auf immer wieder neue Weise die Kontinuität ihres nationalsozialistischen und damit antisemitischen und ethnisch-rassistischen Gedankenguts. Dieses konnte all die Jahre durch ein nach außen hin gern gezeigtes liberales Erscheinungsbild nur sehr mangelhaft kaschiert werden. Die gegenwärtige Dominanz rechtsradikaler Burschenschafter innerhalb der Partei mehr als 70 Jahre nach Ende nationalsozialistischer Herrschaft macht die Auswirkungen dieses Integrationsprozesses nur allzu deutlich (https://derstandard.at/2000063481709/Stille-Machtergreifung-der-Burschenschafter).

Auf dieser Grundlage ist es nur zu logisch, dass sich die FPÖ in der aktuellen Regierungskonstellation als treibende Kraft der gesellschaftlichen Spaltung zu profilieren sucht. In einem neuen Kreuzzug gegen jeglichen Zuzug wendet (bei der sie in der komfortablen Lage ist, einmal mehr weite Teile des konservativen Lagers in Geiselhaft zu nehmen) legen es ihre Repräsentant*innen darauf an, ihren rassistischen Intentionen ein modernes ethnisch-kulturelles Kleid zu verpassen, um so die soziale Verungleichung immer weiter zu verschärfen. Auf der Grundlage der Wiederbelebung einer völkischen Hierarchisierung (Der Parteivorsitzende Strache sprach in dem Zusammenhang bereits 2016 von einem möglichen „Bürgerkrieg“ aufgrund des Zuzugs „kulturfremder Asylanten“ ( https://diepresse.com/home/politik/innenpolitik/5107257/Strache_Mittelfristig-ist-Buergerkrieg-nicht-unwahrscheinlich) werden all denjenigen, die es trotz permanenter Verschärfungen der Migrations- und Asylgesetzgebung geschafft haben, nach Österreich zu gelangen, immer weiter zugespitzte Integrationsleistungen abverlangt (https://www.fpoe.at/artikel/integration-ist-in-erster-linie-eine-bringschuld/). Die jüngste Entscheidung, die auf Grund von in Österreich erbrachter Arbeitsleistungen zustehenden Familienbeihilfen nach ethnisch-kulturellen Kriterien zu staffeln, ist dafür nur einer unter vielen anderen Belegen: (https://derstandard.at/2000090031465/EU-Kommission-droht-Oesterreich-wegen-FamilienbeihilfeStreichung-der).

Österreichische Integrationspolitik auf den Punkt gebracht: Extremisten rein, Ausländer raus.

Die herrschende politische Normalität in Österreich, die kein Problem mit rechtsextremistischen Kräften in entscheidenden öffentlichen Funktionen (mehr) hat basiert auf einem umfassenden Integrationsimperativ, der mittlerweile alle politischen Bereiche durchdringt. Offen bleibt dabei freilich die Frage, um welche spezifischen Gegebenheiten es sich handelt, in die sich Menschen, die nach Österreich kommen, eigentlich integrieren sollen und wer diese definiert. Der damalige Integrationsstaatsekretär Sebastian Kurz hat dazu bereits 2013 eine sogenannte „Wertefibel“ (https://derstandard.at/1363708994866/Sebastian-Kurz-praesentiert-Werte-fuer-Neo-OesterreicherInnen) vorgestellt, die seither den Maßstab für jegliche Integrationswilligkeit abgeben sollte. Schon bei einem ersten Durchblättern wird deutlich, dass in diesem Dokument in erster Linie zivilisatorische Grundprinzipien verhandelt werden, deren universelle Gültigkeit in Form der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte (https://www.amnesty.de/alle-30-artikel-der-allgemeinen-erklaerung-der-menschenrechte) – zumindest pro forma – längst außer Streit stehen. Spezifisch österreichische Wertvorstellungen - so es solche überhaupt gibt - lassen sich darin jedenfalls nicht erkennen und schon gar nicht einüben.

Typisch österreichisch hingegen erscheint mir der mit der FPÖ-Parteigründung angedeutete Integration anti-demokratischer, anti-semitischer und ausländerfeindlicher Kräfte, die sich in der aktuellen Regierungskonstellation täglich besser aufgehoben wissen. Diese lange Tradition der Integration von politischen Positionen, die den Grundprinzipien der Zweiten Republik (und übrigens auch der Kurz’schen „Wertefibel“ diametral entgegen stehen (Nur ein Beleg dafür ist der jüngste Beitrag in der FPÖ nahen Zeitschrift „Zur Zeit“, in dem völlig unverhohlen rechtsextremes Gedankengut vertreten wird (https://kontrast.at/zur-zeit-fpoe-faktencheck/)) führt zwangsläufig zur Frage, ob gerade in Österreich die Frage der Integration nicht ganz anders gestellt werden muss: Denn wo liegen eigentlich die (politischen) Grenzen der Integration?

Immerhin lässt sich das Thema „Integration“ aus zeitgeschichtlicher Sicht auch als eine Integrationsgeschichte rechtsradikaler Kräfte lesen, die die Geschicke Österreichs bis heute wesentlich bestimmen (Zu erinnern ist an dieser Stelle nicht nur an Julius Raab sondern auch an Bruno Kreiskys Versuch 1970/71 mit der FPÖ unter dem ehemaligen SS-Obersturmbannführer Friedrich Peter die ÖVP ein für alle Mal von den Schalthebeln der Macht zu vertreiben oder an die kurze Phase einer kleinen Koalition mit der FPÖ zum Machterhalt der SPÖ 1983 – 1986. Und natürlich dürfen wir Wolfgang Schüssel nicht vergessen, dem es Jahr 2000 fast schon in der Manier eines Taschenspielers gelungen war, die rechtsradikale Haider-FPÖ als Koalitionspartner zu gewinnen. Er erfüllte sich damit 50 Jahre nach der Gründung der Nazi-Wiedergänger-Partei FPÖ den politischen Traum, den sein Vorgänger im Kanzleramt Julius Raab bereits 1956 geträumt hatte).

Wem in diesem Zusammenhang die trockene politische Analyse nicht genügt, dem empfehle ich, sich nochmals den Film von Peter Patzak „Kassbach – ein Portrait“ (https://derstandard.at/3058790/DVD-Kassbach) aus dem Jahr 1978 anzusehen, der unmittelbar sinnlich erfahrbar macht, welche charakterliche Verwerfungen in Gestalt eines ganz normalen Alltagsfaschisten diese Form der Integration hervorgebracht hat.

Da ich nicht annehmen will, dass im Rahmen der aktuellen Integrationspolitik Zuwander*innen zugemutet werden soll, sich die Wertvorstellungen einer rechtsradikal dominierten FPÖ und ihr nahestehenden Kräfte als Teil der österreichischen politischen Realität zu eigen zu machen (und damit so zu werden wie der idealtypische FPÖler in Gestalt des Wiener Gemüsehändlers Kassbach), entsteht hier ein Widerspruch, der auch bei größtem Anpassungswillen derer, die sich da integrieren sollen nicht aufgelöst werden kann.

Und wir lernen, dass die Integration von Nationalsozialist*innen mit Hilfe des Vehikels der FPÖ jegliche weitere Integrationserwartungen in ihr Gegenteil verkehrt. Fortsetzung folgt.

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