„In China fällt ein Reissack um.“ Ein Satz so leer und bequem, dass man ihn glatt aufs Kopfkissen sticken könnte – direkt neben „Alles wird gut“ und „Ich bin nicht verantwortlich“. Wer so spricht, hat das perfekte Mantra des saturierten Mitteleuropäers gefunden: bloß keine Anteilnahme, bloß keine Komplexität. Der Reissack ist das Ventil für geistige Erschöpfung – der Seufzer der Überforderten, die sich einbunkern im Kokon des Irrelevanten.
Denn das Leben ist anstrengend. Klimakrise? Krieg? Wirtschaft? Ach bitte, das ist alles zu viel, da fällt ja gleich ein Reissack um! Der Satz ist zur Schutzimpfung gegen Realität geworden. Statt zuzugeben, dass man einfach müde ist – von Nachrichten, moralischen Ansprüchen, der endlosen moralischen Selbstoptimierung – sagt man es lässig: „Pff, Reissack.“ Damit macht man sich zum König im Reich der Gleichgültigkeit.
Dabei hat der Reissack mehr Rückgrat als sein Spötter. Er steht für Arbeit, Nahrung, Überleben – Dinge, die jene gern ignorieren, die glauben, Empathie sei ein Lifestyle-Abo. Während andere schwitzen, säen, schleppen, perfektionieren wir unsere Ironie und nennen das dann Selbstschutz.
Und wenn der Reissack fällt? Dann liegt er da wie unser Bewusstsein – ausgelaugt, leer, aber immerhin ungestört. Man könnte ihn wieder aufstellen. Doch das wäre ja anstrengend. Also lächeln wir müde, nuckeln am Latte, und sagen trotzig: „Reissack in China.“ Klingt gesünder, als zuzugeben, dass längst wir selbst umgefallen sind.
In Wahrheit fällt der Reissack ja nicht einfach um – wir kippen ihn selbst um, jeden Tag, aus purer Erschöpfung. Von globaler Erwärmung bis Krankenkasse: Alles zu groß, zu laut, zu kompliziert. Da bleibt nur ein Zynismus‑Mantra. Statt zu begreifen, dass ein Sack Reis in China auch ein Symbol für menschliche Arbeit, Abhängigkeit und Weltzusammenhang ist, heben wir achselzuckend das Handy und googeln Wellness‑Tipps gegen mentale Überlastung.
Der Reissack steht heute nicht mehr in China, sondern in jedem Wohnzimmer – überfüllt mit Informationen, Rechnungen und halb gelesenen Push‑Nachrichten. Kein Wunder, dass er kippt. Und wenn er fällt, rieselt heraus, was wir längst verdrängt haben: Verantwortung, Mitgefühl, Tiefe. Alles, was Zeit kostet und nach echter Aufmerksamkeit schreit.
Vielleicht ist es Zeit, den Reissack wieder aufzustellen – nicht als Witz, sondern als Spiegel. Denn wer immer noch sagt, „Was kümmert mich der Reissack in China“, gesteht vor allem eines: dass ihn schon sein eigener zu Boden drückt.