Wir Menschen lachen ja gerne. Gerne auch über Alltägliches oder besser gesagt: Die Absurditäten des Alltags, immer auch ein bisschen über uns selbst. Schön vor Augen halten uns dies beispielsweise Kabarettist*innen, die pointiert all das aufgreifen, was wir als gegeben hinnehmen, was wir tabuisieren oder was wir einfach nicht so stark öffentlich diskutieren. Kabarett ist also immer auch ein Spiegel, ein augenzwinkernder Hinweis auf oftmals unbewusste Verhaltensweisen oder unhinterfragte gesellschaftliche Vorgänge. Eine besondere Kategorie ebendieser Reflexionen stellt das „politische Kabarett“ dar, das als solches eigentlich gar nicht sauber abzugrenzen ist vom Rest – denn kritisches Hinterfragen stärkt per se das Bewusstsein, insofern ist jegliche Selbst- und Fremdbetrachtung eine politische Handlung im weiteren Sinn und also das Kabarett ein Ort zur Übung und Auslebung ebendieser.

Warum ist das Politische im Kabarett so wichtig und welche Funktion erfüllt es? Zunächst: es lassen sich im satirischen Rahmen so manche Missstände und Fehlentwicklungen leichter an- und aussprechen als im ernsthaften Dialog. Vielfach fehlt auch das passende Gegenüber für einen solchen. Der vorangestellte Hinweis auf den Scherzrahmen schützt und mildert die (Selbst-)Kritik ab. Darin liegt seine Stärke: es darf in Wunden gewühlt, Rassismen und Sexismen als Stilmittel der Übertreibung genutzt werden und so kann abseits einer political correctness das thematisiert werden, was bei uns emotional geankert ist. Wie beschrieb es Sigmund Freud? „Der Witz ist der Versuch des Unbewussten sich selbst zu entlarven“. Kennen wir aus den alltäglichen Versprechern, den sogenannten Fehlleistungen, wo das Unbewusste eine Kontrollschranke überspringt und viel von dem was in uns schlummert „unbeabsichtigt“ zum Vorschein kommt. Das Kabarett hilft also über diese Hürde und thematisiert unser Innenleben auf offener Bühne.

Diese kontrollierten Entgleisungen können eine besondere Kraft entfalten und es lohnt sich, die dargebotenen Inhalte näher und durchaus ernsthaft zu betrachten. Ein Beispiel: Wenn der deutsche Kabarettist Volker Pispers über die Konzentration der Medienlandschaft in den Händen einer superreichen Elite spricht (↓), dann stützt er sich auf mehr oder weniger leicht nachprüfbare Fakten. Wir lachen dann über die ersichtliche „Diktatur des Kapitals“, die sich darin offenbart, dass einige wenige Familien den Großteil der deutschen Medienlandschaft kontrollieren und die Botschaften entsprechend ihrer Agenda steuern können. Es verhält sich in Österreich übrigens nicht anders, vielleicht ist es sogar noch stärker ausgeprägt (↓). Der Größe der Problematik angemessen stark und oft thematisiert wird es im öffentlichen Diskurs naturgemäß nicht.

Nach dem unterhaltsam vorgetragenen Befund folgt vielfach ein kurzer Moment der Bewusstwerdung, es bleibt einem mitunter das Lachen im Hals stecken weil man erkennt: da wird die Wahrheit gesprochen – und die ist eigentlich bestürzend und ärgerlich. Dann aber wirkt der Vedrängungsmechanismus (wieder) und das erlösende Lachen befreit von der Notwendigkeit einer Übertragung der Erkenntnisse in persönliche Taten. Denn unterstützen dürften wir diese Machtkonzentrationen, diese zutiefst undemokratischen Strukturen, durch unser Konsumverhalten nicht. Aber die halbinformativen „News“, die Zielgruppen-spezifischen „Inhalte“ sind leicht zu konsumieren und vermitteln zudem das Gefühl ein Teil des großen Ganzen zu sein. Aufgabe erledigt, die Sedierung und Unterhaltung der Massen funktioniert weitgehend reibungslos, unterstützt durch eine leichte Verfügbarkeit und ausgiebige private wie öffentliche Inserate.

Die Entfaltung des Potenzials – Aufgabe & Verpflichtung

Gute Scherze, starke Inhalte, wichtige Reflexionen – wunderbares politisches Kabarett? Ja und Nein. Um die Wirkung des Kabaretts tatsächlich in eine politische Kraft umzuwandeln bedarf es der individuellen und kollektiven Verantwortungsübernahme. Als Einzelpersonen müssen wir uns trainieren die angelernten Verdrängungsmechanismen zu überlisten. Sie sind nicht etwas biologisch determiniertes, sie wurden uns von Klein auf von Autoritäten beigebracht: stiller Gehorsam und Anpassung wird spätestens in der Schule erwartet, mit Nachdruck eingefordert und bei Nichtbefolgung auch bestraft. Wir müssen also tatsächlich von einer Neukonditionierung sprechen, von einer nachhaltigen Änderung unserer Reaktionsmuster. Die Akteur*innen auf Seiten der Kunst und Kultur sind vorhanden, würdigen wir sie entsprechend indem wir ihre Anregungen zur persönlichen Weiterentwicklung als solche tatsächlich erkennen und nutzen.

Gleichzeitig ist es auch Aufgabe der öffentlichen Kulturförderung, die kritische Kunst, innerhalb derer sich das politische Kabarett bewegt, entsprechend zu fördern und dadurch handlungsfähig zu machen. Vor allem die vielen kleinen Kultureinrichtungen und -Initiativen, die es in jeder Gemeinde, jedem Bezirk und jeder Stadt gibt. Solange die öffentlichen Budgets in den großen Kulturinstitutionen gebunden sind, die zweifellos einen wichtigen Beitrag zur Image-Erhaltung beitragen und für den Tourismus wichtig sind, wird die Prekarisierung der Kunstschaffenden im Kleinteiligen voranschreiten und ein niederschwelliger Zugang zur politischen Kraft der Kunst für das Volk verbaut. Was für ein gesellschaftliches Potenzial hier ungenutzt bleibt!

Ist die Kunst abhängig von privaten Zuwendungen, ist die Freiheit ihrer Inhalte und dadurch die Reinheit ihrer Botschaften gefährdet. Es ist eine historische Gewissheit, dass in der Kunst seit jeher eine politische Kraft steckt, sie schon immer ein Spiegel ihrer Zeit war – nicht nur im Kabarett, in den Theatern oder in der Musik. Wir können es auch schön an den Außenmauern der Wiener Secession, der seinerzeitigen Hochburg der Kritik an konservativen Verhältnissen, lesen: „Der Zeit ihre Kunst, der Kunst ihre Freiheit“. Diese Worte mahnen uns an das Bekenntnis und Versprechen, gerade auch im öffentlichen Interesse, hinreichend Räume für stetige Auseinandersetzung bereitzustellen, alternative Perspektiven und Gedanken zuzulassen. Denn nur eine kritische Gesellschaft ist eine offene Gesellschaft, ist eine freie Gesellschaft.

von Sebastián Bohrn MenaDieser Beitrag erschien zuerst auf "Políticas - Die linke Perspektive" unter www.politicas.at/kunst und facebook.com/politicasblog

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