Die immer wieder vorgetragene behauptung, die hure/prostituierte sei das älteste gewerbe der welt, verrät, meine ich, die unlust, eigenes etwas genauer unter die lupe zu nehmen. Weshalb die anfänge eines phänomens mal einfach so rückwärts bis in die erschaffung der welt verlagert werden – erschaffung der welt wahlweise verstanden als biblischer schöpfungsbericht oder als das, was die jäger taten, wenn sie nach der jagd entspannung suchten.

Ich denke ja eher, das älteste gewerbe der welt könnte der tausch/handel mit agrarischen oder anderen produkten z.b. keramik, textilien sein, aber … mi jodea?

Prostitution, so wie wir sie kennen, hat (vermutlich) ihre anfänge bei den ollen griechen.

Im ganz ganz alten orient jedenfalls gab es prostitution (immer dazugedacht: wie wir sie kennen) nicht, weder als heilige noch als kultische noch als profane. Zur vermeidung langatmiger ausführungen verweise ich auf den äußerst lesenswerten aufsatz von Julia Assante in Ugarit Forschungen 30 (1998), 5-96, welcher so endet:

„Why Mesopotamians were so tight-lipped about prostitution yet so open about sex (in early periods at least) is a subject for another study. Perhaps, Mesopotamians did not view the prostitute as exotic or set apart as moderns do, but as consonant with cultural practice. Such a notion would be compatible with the early literature evidence found in hymn after hymn (…), in which gifts are awarded for pleasurable sex. Whatever the case, prostitution was greatly understated. Finally, in answer to Brooks’ findings of 1941, there are no specific words for prostitution or prostitute in the languages of ancient Mesopotamia“ (und, wie sie in einer fußnote anmerkt, im alten Ägypten auch nicht.)

Dies verweist auf geschlechterverhältnisse, welche dem immer wieder aus dem Codex Hammurapi herausgelesenen strengen und allumfassenden und archaischen patriarchat womöglich überhaupt nicht entsprechen. Ein stellenweise immer noch zaghafter weil dem sehr traditionellen verständnis von „biblischem recht“ verhafteter ansatz, diese sicht aufzubrechen, findet sich in der monographie von Irene Strenge: Codex Hammurapi und die Rechtsstellung der Frau. Strenges untersuchung läßt sich dahingehend zusammenfassen, dass frauen zu zeiten Hammurapis mehr rechtssubjekt waren als die frauen in der BRD bis mindestens zum gleichberechtigungsgesetz aus dem jahr 1958 (wozu uns Wikipedia lapidar vermeldet: „aber erst seit 1977 darf die Frau ohne Einverständnis ihres Mannes erwerbstätig sein, und erst seit 1977 gilt das Partnerschaftsprinzip, nach dem es keine gesetzlich vorgeschriebene Aufgabenteilung in der Ehe mehr gibt“). Vor allem beinhaltete den vorliegenden eheverträgen zufolge die verehelichung einer frau nicht automatisch, dass damit ihre sexualität und prokreativität automatisch zur nutzung durch den ehemann übereignet worden sei. Wenn wir eheverträge aus dem alten orient genauer lesen, dann stellen wir fest, dass neben der möglichkeit, gemeinsam gewollte kinder zur welt zur bringen, ehefrauen das recht – nicht die pflicht! – hatten, sich zur erfüllung ihres kinderwunsches einer ‚leihmutter’ zu bedienen, mit welcher die ehefrau ein vertragsverhältnis einging; wie übrigens der ehemann das recht hatte, sich seinen kinderwunsch mit hilfe einer ‚kinderfrau’ zu verwirklichen, mit welcher wiederum er ein vertragsverhältnis einging. Aber dazu ein andermal mehr … als moderner midrash zu Hagar gewissermaßen.

Anders hingegen, ich deutete es bereits an, könnte es bei den ollen griechen ausgesehen haben. Von dort haben wir folgende kunde:

„Du (Solon) warst es, so heißt es, der von allem Menschen zuerst dies – beim Zeus! – demokratische und rettende Werk getan (…): da du die ganze Stadt voll junger Männer sahst, wie sie sich unter dem Zwang der Natur dorthin verirrten, wo sie nicht hin sollten, kauftest du Frauen und brachtest sie an öffentliche Orte, wo sie nun jedem zur Verfügung stehen“.  Diese den meisten wenig bis garnicht bekannte ‚stelle’ aus Athenaios’ deipnosophistai finden wir unter anderem bei Elke Hartmann: Heirat, Hetärentum und Konkubinat im klassischen Athen [248] und auch bei Tanja Scheer: Tempelprostitution in Korinth? – letzteres in der jüngst erschienenen vortragssammlung einer tagung der uni Oldenburg unter dem titel: Tempelprostitution im Altertum – Fakten und Fiktionen[256f].

Der zweite teil dieses titels ist programm, gilt es doch, allmählich die fiktionen und die fakten auseinanderzusortieren – soweit dies heute noch möglich ist. Dies sortieren ist, was die fakten (so wie wir fakten verstehen) anbelangt, schwierig, so dass wir womöglich sehr vieles der seite der fiktionen zuschlagen müssen. Dies gilt vor allem für die heilige, kultische oder sonstige tempelprostitution (und für die vorstellung vom fruchtbarkeitsdjumm, in welchem sich die bekannte welt seit mindestens dem neolithikum befunden haben soll, gleich mit). Mit profaner prostitution sieht es anders aus: die gab es, aber eben nicht im gegensatz zu oder als ausfluß von tempel-,  kultischer oder heiliger prostitution. Womit sich das attribut ‚profan’ gleich miterledigt hätte.

Seit wann und wo es sie gab ist schwer zu sagen, weshalb wir bei schriftlichen zeugnissen wie dem obigen zu Solon die neigung in rechnung stellen müssen, die legitimation sozialer phänomene aus der grauen vorzeit abzuleiten oder aber als import aus benachbarten weniger entwickelten weltgegenden darzustellen.

Zu den fakten rechne ich, wiederum auf das obige zitat gestützt, dass es bei den ollen griechen nicht als anstößig galt, die sexualität einer gekauften frau weiterzuverkaufen. Weiter rechne ich (auf hier nicht erwähnte quellen gestützt) zu den fakten,  dass es bei den ollen griechen als anstößig galt, wenn eine frau ihre sexualität selbst verkaufte – sie geriet dadurch nach allem, was wir so lesen können, in ein zwie-licht. Schließlich rechne ich zu den fakten, dass es im alten orient bis zu einem noch zu bestimmenden zeitpunkt eher üblich war, dass – wenn schon! – frauen ihre sexualität selbst verkauften – ohne dadurch in ein zwie-licht zu geraten (im heutigen jargon: marginalisiert zu werden).

So dass eine der spannenden fragen die ist, wo im laufe der zeiten das zwie-licht herkam.

Einer der alten texte, der als dokument für das allmählich einsetzende zwie-licht gelesen werden kann, wie es dann im weiteren laufe der zeiten auch für unsere kultur maßgeblich geworden ist, das ist die gute alte bibel. Und zwar erst einmal der TaNaCh, für christen das gute alte testament; findet sich doch in diesem gut versteckt die auseinandersetzung um die frage, was frauen selbst-bestimmt können oder besser aus gründen der ‚schicklichkeit’ nicht können sollten. Dazu gehört übrigens, nachzulesen im buch Ruth, die fähigkeit = berechtigung von frauen, miteinander verträge abzuschließen, in die männer eher als vertragsgegenstand denn als vertragspartner eingebaut sind. Das von Luther als „Lob der tüchtigen Hausfrau“ übersetzte ende des buches Sprüche (mishlei) hätte ohne die rechtsfähigkeit der frauen übrigens auch nicht geschrieben werden können! Und natürlich finden sich im TaNaCh und zwar auch an prominenter stelle, nämlich als stammmutter bis hin zu Jesche, frauen, welche ‚sona’ sind (die hure Rahab) oder ‚quedesha’/’sona’ (Tamar, ohne die es mit dem stamme Juda ja wohl ‚aus’ gewesen wäre) oder deren schicklichkeits-status zumindest späterhin leicht in zweifel gezogen werden konnte (was wiederum umfangreiche exegetische arbeit nach sich zog – in der rabbinischen literatur übrigens auch zu den matriarchinnen Sara und Rivka zu beobachten). Die zeitlich und örtlich je zutreffende übersetzung für ‚sona’ kennen wir bis heute nicht. Mein alter Gesenius verrät mir zu den radikalen 'sein-nun-hei' als übersetzung neben „huren“ und „Hurerei treiben v.Weibe“ auch, dass es nach Winckler, GI 2 271 eigentlich bedeutet habe, dass „d. Mann nicht im Stamme des Weibes lebte“; hier wartet also noch Forschungsarbeit.

Ruth kennen wir heute als musterbeispiel für eine konversion – und wahrscheinlich auch deshalb nicht ganz zufällig als trauspruch. Rahab gilt ebenfalls als eine frühe glaubenszeugin – und alle gehen davon aus, dass sie dann, nachdem sie mit Josua (zwangs-)verheiratet worden war, ihrem ‚abscheulichen gewerbe’ nicht mehr nachgegangen sei. Und Tamar, die kennen wir doppelt: einmal ist sie die verschleierte, bei deren anblick Juda ein gelüst, ein sexuelles, überkam, und die Juda dann nachweisen konnte, dass er, ihr über ihre verstorbenen gatten vermittelter schwiegervater, der erzeuger ihrer kinder gewesen war – und das andere mal ist sie die bedauernswerte schwester des Absalom, welche entweder der sexuellen gewalt ihres halb-bruders Amnon zum opfer fällt (na ja, king David und die neuentstehende verbindung von krone und altar… das ist eine lange geschichte… vielleicht ein ander mal) oder aber der durchsetzung von neuen inzest- und sonstigen regeln über heirat-bare und nicht-heiratbare frauen (was wiederum womöglich im wege der nachträglichen zuschreibung mit king David und der neuentstehenden verbindung von krone und altar zu tun haben könnte).

Allerdings liegen zwischen dem „alten“ und dem „neuen testament“ und dessen auslegung noch lange zeit welten. Während das sich formierende hellenistische christentum zunehmend davon ausging, dass frauen kein eigenständiges verlangen/begehren zu eigen sei, gingen die alten rabbinen immer noch vom gegenteil aus, hätten es allerdings gern gehabt , dass die frauen es nicht direkt äußern. Das liest sich bei Daniel Boyarin so:

„Female desire itself is not stigmatized, only open, explicit use of language to express the desire. He, on the other hand, is enjoined to use speech precisely for the purpose of arrousing her. He is required to use his speech to arouse her desire, for without that arousal he must not have intercourse with her. The gender assymmetry is not so much, then, in rights to sex, as in the rights to speech, who has control over the situation and who will ‘being taken care of’.” (Carnal Israel – Reading Sex in Talmudic Culture [129]).

Aber – auch im rabbinischen judentum hielten hellenistische unsitten einzug, denn:

“Once again it is clearly the case, however, that the gender relations are asymmetrical, that the position of women in sexuality is subordinate, and the position of men is dominant. The very consideration that he is supposed to show her is the marker of magnanimous but confining patriarchy. As the Talmud says explicitly in the continuation, ‘She is a mattress for her husband’.” [131]

Für die hellenistische seite hingegen war/schien klar: was eine frau nicht als eigenes hat, darüber kann sie auch nicht als eigenes bestimmen. Was kein widerspruch dazu ist, dass die person, welche eine frau besitzt, diese zur rund-um-benutzung verkaufen oder zeitweilig vermieten oder den ertrag aus der zeitweiligen vermietung einem tempel weihen kann. Es scheint also, als sei die prostitution die logische konsequenz aus der kombination von nicht-vorhandenen weiblichen begehren und (fremdem) eigentum am weiblichen körper gewesen. Womit gemeint ist: nicht die frauen prostitutierten sich – sie wurden prostituiert!

Weshalb womöglich der älteste beruf in diesem gewerbe der zuhälter war.

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Claudia Braunstein

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Peter Fuchs

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