Absence of evidence is not evidence of absence

Ich möchte eine kleine Geschichte erzählen, die mir wirklich so passiert ist:

Ich war 10, 11 oder vielleicht 12 Jahre alt und war mit einem Freund im Freibad bei uns im Ort. Ich schwamm eine Weile alleine im großen Becken, als sich mit der Zeit Bauchschmerzen bei mir einstellten. Diese Bauchschmerzen wurden immer schlimmer. Ich ging dann in das flache Warmwasserbecken und habe mich dort auf die Treppenstufen im warmen Wasser gesetzt. Inzwischen waren meine Bauchschmerzen so schlimm, dass ich nur noch gekrümmt da saß. Wie lange ich die Schmerzen schon hatte, daran kann ich mich heute nicht mehr genau erinnern, allerdings denke ich, dass es doch schon zwischen 30 und 60 Minuten so ging, mit einer langsamen Steigerung und Verschlimmerung der Bauchschmerzen.

Ich saß also gekrümmt im warmen Wasser und konnte kaum einen klaren Gedanken fassen, weil die Schmerzen mich völlig im Griff hatten. Ich wollte niemanden um Hilfe fragen, vielleicht weil ich zu schüchtern war. Wahrscheinlich aus einer Art Verzweiflung dachte ich mir, dass vielleicht ein Gebet zu Gott helfen könnte. Eigentlich wollte ich auch das nicht machen, weil ich mich schlecht dabei gefühlt habe, um Hilfe zu bitten, auch Gott.

Aber die Schmerzen waren inzwischen sehr schlimm und so fing ich also an zu „beten“. Im Prinzip war es ein sehr einfaches, naives „Gebet“. Ich habe kein Vater-unser aufgesagt, obwohl ich das natürlich schon kannte und konnte, aber das interessierte mich jetzt natürlich nicht. Soweit ich mich erinnere, habe ich still, aber intensiv gedacht: „Lieber Gott, bitte sorge dafür, dass meine Bauchschmerzen weggehen und endlich aufhören, es tut so weh.“ Und ich habe es auch noch mit einem Beweis oder einer Art Wette, oder wie man es nennen will verbunden: „Wenn es dich wirklich gibt, dann zeige dich und sorge dafür, dass meine Bauchschmerzen verschwinden.“

Dieses „beten“ dauerte vielleicht 1-2 Minuten und ich habe mir das mehrmals still gedacht. Soweit ich mich erinnere, habe ich zu diesem Zeitpunkt auch eine Art Gänsehaut bekommen.

Warum ich diese Geschichte überhaupt erzähle, ist der Punkt, der nun kommt: Meine starken Bauchschmerzen waren in weniger als 5 Minuten nach diesem „Gebet“ vollkommen verschwunden. Ich konnte mein Glück kaum fassen, bin aufgestanden, in die Umkleide gegangen und dann sofort nach Hause.

Es ist inzwischen über 20 Jahre her, aber ich kann mich noch erinnern, dass ich ziemlich verblüfft war, dass meine Bauchschmerzen direkt nach dem Gebet weg gegangen sind. Ich erinnere mich aber ebenfalls noch daran, dass dies meinen Glauben an Gott nicht wirklich gestärkt hat. Irgendwie hatte ich auch als 11 oder 12 Jähriger die Intuition, dass man dies nicht wirklich als Beweis für Gottes Existenz einstufen sollte, wobei ich nicht wirklich genau wusste und erklären konnte, warum dies kein guter Beweis ist.

Ich erzählte diese Geschichte auch den Zeugen Jehovas in unserem Ort, die unsere Familie und mich mehrmals besucht haben und sie waren begeistert von ihr. Das wundert mich auch nicht sehr, denn dies ist genau die Art von Erfahrungen, die sie (vielleicht mehrfach) mit „Gott“ gemacht haben. Sie beten zu „Gott“ und fühlen ein Kribbeln im Bauch oder bekommen Gänsehaut oder ähnliches. Dann denken sie, dass dies der heilige Geist ist, der in sie gefahren ist oder sie berührt hat. Zumindest deuten sie es so.

Ja, genau das ist das Problem, sie „deuten“ es so. Sie interpretieren es.

Wenn man Gänsehaut hat, dann kann es sein, dass Gott oder der heilige Geist einen berührt haben. Es könnte aber auch sein, dass das Fenster offen steht, man friert, oder man sich irgendwas im Kopf vorstellt und deshalb Gänsehaut bekommt.

Der Punkt ist einfach der, dass man nicht weiß, was die Ursache für die Gänsehaut ist. Warum denken die Zeugen Jehovas nicht, dass die Fee Lilliputt oder der Kobold Gnorm sie im Innersten berührt haben? Ganz einfach, weil dies nicht ihrem gelernten christlichen Glauben entspricht, also nicht ihren Wunschvorstellungen.

Ein Hindu mit Gänsehaut denkt vielleicht, dass er von Vishnu berührt wird.

Wenn ich die Zeugen Jehovas dann gefragt habe, ob sie sich denn vielleicht irren könnten, dass dies nicht der heilige Geist ist, sondern etwas anderes, dann kam als Antwort quasi jedesmal: Nein, da können wir uns nicht irren.

Der Witz ist der, dass es genauso gerechtfertigt ist anzunehmen, dass die Fee Lilliputt oder der Kobold Gnorm sie im Innersten berührt, wie der heilige Geist. Es macht keinen Unterschied. Es ist die gleiche nichtssagende „Erklärung“.

Sie denken, sie könnten sich nicht irren und wissen die Ursache für ihre Gänsehaut. Das Problem ist, dass genau das Gegenteil richtig ist, sie irren sich und wissen eben nicht, was die Ursache für ihre Gänsehaut ist.

Es kann wahnsinnig schwierig sein, die Ursache für etwas herauszufinden. In vielen Fällen gelingt es nicht einmal Wissenschaftlern nach Jahren von Arbeit, die Ursache für irgendein Phänomen oder irgendein Verhalten zu ermitteln. Diese Schwierigkeit ist den meisten Menschen nicht bekannt, weil sie sehen doch jeden Tag, was die Ursache für irgendwas ist. Leider gibt es Dinge, da ist die Ursache eben nicht so offensichtlich und dann muss man sich genau überlegen, wie man die wahre Ursache herausfindet.

Irgendwie habe ich schon als Kind geahnt, dass die Bauchschmerzen-Geschichte kein guter Beleg für die Existenz Gottes ist. Ich wusste nicht, warum meine Bauchschmerzen weg gegangen sind, genau genommen weiß ich es auch heute nicht und werde es nie sicher wissen. Aber aus Nichtwissen folgt nicht, dass „Gott es war“. Das wäre ein logischer Fehlschluss, nämlich ein „Argumentum ad ignorantiam“. Aus Nichtwissen folgt gar nichts, außer dass man es eben nicht weiß und vielleicht durch Forschung mehr erfahren könnte.

Hinzu kommt, dass man plausible Vermutungen anstellen kann, was damals passiert ist. Die plausibelste und wahrscheinlichste Annahme ist die, dass mich der mächtige Placeboeffekt, und nicht Gott, gerettet hat.

Den Zeugen Jehovas habe ich dies alles ausführlich, mit viel Geduld und in aller Ruhe erklärt. Sie haben es nicht verstanden bzw. konnten es nicht akzeptieren, da sie ja wissen, dass der heilige Geist sie berührt und sie sich in diesem Punkt niemals irren können.

4
Ich mag doch keine Fische vergeben
Meine Bewertung zurückziehen
Du hast None Fische vergeben
6 von 6 Fischen

bewertete diesen Eintrag

sisterect

sisterect bewertete diesen Eintrag 29.07.2019 21:45:05

Margaretha G

Margaretha G bewertete diesen Eintrag 17.12.2017 18:22:41

Spinnchen

Spinnchen bewertete diesen Eintrag 17.12.2017 15:01:47

Markus Andel

Markus Andel bewertete diesen Eintrag 17.12.2017 13:55:44

5 Kommentare

Mehr von Rhacodactylus