Gewichtskritik am Gabentisch – muss das sein?

Die Feiertage stehen vor der Tür, und viele Menschen freuen sich auf das Zusammensein mit ihren Lieben ungefähr so wie ein Pinguin auf das Eintreffen einer Ölpest. Sie – also die Menschen, nicht die Pinguine – ahnen aus leidvoller Erfahrung, dass das eine oder andere Familienmitglied das Zusammenkommen um den Christbaum dazu nützen wird, um an Figur und Gewicht des anderen rumzunörgeln.

Die Kritik trifft Menschen aller Körpertypen. Die Runden fragen sich mit Grauen, ob Oma ihnen beim Griff nach dem Vanillekipferl wieder vor versammeltem Clan auf die Finger klopfen wird, welche Diätshakes Cousine Carla ihnen als „gut gemeinten Fingerzeig“ unter den Christbaum legen wird, und ob Onkel Otto den ganzen Stefanitag damit verbringen wird, die Geschichte des Stiefenkels der Frisöse seines Busfahrers wiederzugeben, der mit dieser brandneuen Diät ja garantiert schon vier, nein, mindestens fünf Kilo abgenommen habe und sich fühle wie ein ganz neuer Mensch.

Die Zierlichen fürchten dafür, von der versammelten Familie mit starkmajonäsigem Kartoffelsalat zwangsgemästet zu werden, und dass Erbcousin Erni wieder seine Suada von wegen „echte Frauen haben Kurven , so findest du nie einen Kerl, ich als Mann kann dir das ja sagen“ ablässt. So oder so, die Feier wird zur Frustorgie, die Betroffenen schmieden noch vor der Bescherung erste Fluchtpläne, und an Genuss beim Festessen ist nicht einmal ansatzweise zu denken.

Das Traurige an der Chose ist, dass hinter dem Genörgel oft so etwas wie eine gute Absicht haust. Leider wollen die selbst ernannten Gewichtspolizistinnen und Polizisten nicht erkennen, dass sie mit ihrer Kritik so gut wie nie eine „heilsame Verhaltensänderung“ herbeiführen. Das einzige, was sie schaffen, ist, dem bekrittelten Menschen das Weihnachtsfest gründlich zu versauen.

Wie man sich gegen die Kommentare wehrt, hängt von Situation zu Situation und von Familie zu Familie ab. Ein freundlicher, aber entschiedener Satz in Richtung „Meine Figur, mein Leben, meine Angelegenheit“ kann in manchen Fällen ein erster Schritt sein zu mehr Weihnachstfrieden … (Wer Inspiration zum Thema Selbstliebe und neue Sichtweisen auf unsere Körper sucht, findet sie u.a. hier).

PS: Was aber, wenn man das Gefühl hat, ein geliebter Mensch habe im letzten Jahr extrem ab- oder zugenommen, und man sich wirklich Sorgen macht? (Und damit meine ich jemanden, mit dem man ein wirkliches Naheverhältnis hat, nicht Stiefcousine Steffi, die man seit ihrer Matura vor zweieinhalb Jahren nicht mehr gesehen hat und deren Lebenssituation man nicht kennt).

Zu Weihnachten macht man am besten gar nichts, außer zuzuhören, beobachten, und für den Menschen eine möglichst liebevolle Atmosphäre erschaffen, in der er oder sie das Gefühlt hat, geborgen und angenommen zu sein, egal, wie er oder sie aussieht. Im neuen Jahr kann man dann mal mit einer Beratungsstelle für Essstörungen reden, und sich informieren, ob man im konkreten Fall Hilfe anbieten soll oder nicht, und wie man es gegebenenfalls am besten macht. Aber das hat in der Regel Zeit, und zwar bis nach den Feiertagen …

In diesem Sinne: frohes und genussvolles Feiern an alle!

(Foto (c) Rhea Krcmárová)

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Silvia Jelincic

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fischundfleisch

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