Zum heutigem Tag / zu diesem Jahr

Auszug aus dem noch unveröffentichen Roman von Karl Bednarik (1915–2001) »Die Aplatas oder Die Heiligkeit des Lebens»

(1997, alle Rechte bei © Rosi Grieder-Bednarik, Zitat nur mit Angabe des Urhebers des Textes)

»Es waren keine Zeitungen erschienen. Angeblich war Generalstreik. Kein F- und kein J-Wagen fuhr, auch der 4er kreuzte nicht den Rochusplatz. Die Leute schien das wenig zu bekümmern.

Die Erregung, in die am Vortag die Stadt geraten war, war noch nicht ganz abgeflaut. Aber das Leben mußte weitergehen. Augenblicke des erstarrenden Schreckens gehen vorbei, die Leute kriegen Hunger, wollen essen und müssen sich bewegen. Vielleicht bewegen sie sich ein bißchen anders als sonst, vielleicht bleiben sie auch öfter stehen, um einige Worte mit anderen zu wechseln, müssen dann die verlorene Zeit wieder aufholen.

Der Tod des Greislers Bartl war klarerweise beredenswert. Es hatte ja einen erwischt, den im Grätzl viele gekannt hatten. Ein paar tausend Erschossene, so wurde erzählt, hat es gegeben, man wußte ja nichts Genaues. Das ist gewiß arg, aber in einer Millionenstadt fällt das kaum ins Gewicht. Etwas Besonderes ist es, wenn man einen Erschossenen persönlich gekannt hat, wenn man die Witwe weinen sieht. Man kann kondolieren, sie trösten, sie jedenfalls beäugen. Da gibts natürlich viel zu reden.

….

Joschi im Fieber. Er hat am Morgen der Mutter Geld gegeben, Berge von Geld. Die Hosentaschen ausgebeutelt, da waren neben aufgerolltem Spagat, seinem Taschenfeitel und einem ausgeglühten Stein, der aussah wie ein Stück von einem Schwertknauf, die Münzen herausgekollert, große und kleine, ein ganzer Haufen.

„Bub, wo hast du denn das Geld her, du wirst doch um Gottswillen kein Dieb sein!“

„Nein, ehrlich verdient!“ Er berichtete, überließ das Geld der Mutter, ging freiwillig wieder ins Bett, das Fieber war über Nacht nicht gefallen, die Mutter machte ihm einen kalten Umschlag, bevor sie einkaufen ging. Den Stein hielt er fest. Die Augen geschlossen, sah er vor sich den Haufen Münzen, sah, wie er immer mehr und mehr wurde und zu einem riesigen Berg anwuchs. „Ich schenk dir alles, Mama,“ sagte er, „nur den Stein möchte ich behalten! Das Geld hab ich nicht gestohlen. Gestohlen hab ich den Stein, ich möcht ihn behalten.“

[Joschi verschläft im Fieberwahn von Alpträumen geplagt 3 Tage.]

„Am 15.Juli hats überhaupt nur einen toten Wachmann gegeben“, sagte Wenzel, „aber fünfundachtzig tote Zivilisten! Abgesehen von ein paar Bürgerlichen, wie unserem neugierigem Greisler, sind nur Arbeiter erschossen worden! Nicht einmal unterm Kaiser hats sowas gegeben.“

Strobel: „Die Rote Fahne meldet 150 Tote und 1500 Verwundete!“

„Die Fünfundachtzig sind nur die, die gleich tot waren. Wie viele in den Spitälern gestorben sind, weiß keiner.“

„Und die christliche Reichspost hat den Mut von bemerkenswerter Zurückhaltung der Organe zu reden!“

„Dafür melden sie über hundert verletzte Polizisten! Jeder Wachmann der einen Tippel von einem Stein oder ein blaues Auge von einer Faustwatschen hat, gilt als Verletzter. Wir haben sogar Schwerverletzte selber versorgt, damit sie nicht der Polizei in die Hände fallen.“

„Hunderte, die in die Spitäler gekommen sind, haben Bauch- und Kopfschüsse, Schüsse in den Rücken, von Dum-Dum-Geschoßen zerfetzte Lungen, zersplitterte Knochen.“

„Die Wiener Neuesten Nachrichten, das Hitlerblattl, hat geschrieben: Schwere Blutopfer der Polizei. Insgesamt drei Pferde getötet!“

Bitteres Lachen klang auf. „Die Rösser san ihnen halt wichtiger als Arbeiter. Die kosten mehr!“«

Über den Autor

Karl Bednarik am 18. 7. 1915 in Wien geboren, lebte bis zu seinem Tod am 14. 1. 2001 in 1220 Wien/Stadlau. In einer Arbeiterfamilie aufgewachsen war ihm eine höhere Schulausbildung verwehrt, nach der Grundschule absolvierte er eine Ausbildung zum Buchdrucker. Sein Wunsch war jedoch, als freischaffender Künstler zu leben, seine Talente Malen und Schreiben machten ihm die Entscheidung schwer. Nach autodidaktischen Studien und drei Semestern an der Akademie der bildenden Künste startete er eine vielversprechende Karriere als Maler. Daneben übte er verschiedene Berufe aus, um den Lebensunterhalt für seine wachsende Familie zu sichern. Immer öfter kamen dazu schriftstellerische Arbeiten für verschiedene Zeitschriften, für Rundfunk und Fernsehen und im Laufe der Zeit 15 Bücher, die seinen Ruf als Schriftsteller festigten.

Karl Bednarik war Sozialdemokrat und Freimaurer.

Der Entwicklungsroman »Die Aplatas oder Die Heiligkeit des Lebens» beschreibt sehr authentisch (aufbauend auf autobiografischen Kindheitserlebnissen) ein Jahr im Leben einer Wiener Arbeiterfamilie – 1927, das Jahr in dem der Justizpalast brannte. Eine der handelnden Personen ist der 12-jährige Joschi, der den Justizpalastbrand hautnah erlebt.

Wenn Sie dieses Kapitel nachlesen wollen, wenden Sie sich an mich, mit 12 Seiten ist es zu lang, um an dieser Stelle abgedruckt zu werden. Der Roman ist im Nachlass des Schriftstellers Karl Bednarik und wartet noch darauf, von einem Verleger entdeckt zu werden. Der gesamte Nachlass liegt im Literaturarchiv der ÖNB.

1
Ich mag doch keine Fische vergeben
Meine Bewertung zurückziehen
Du hast None Fische vergeben
6 von 6 Fischen

bewertete diesen Eintrag

Markus Andel

Markus Andel bewertete diesen Eintrag 16.07.2017 17:29:29

1 Kommentare

Mehr von Rosi Grieder