„Brbrrm!“ machte der Dichter im Bett seiner Schwester. Er dachte an Matchboxautos. Die Lampe fiel vom Nachtkästchen auf den Holzboden und gab von dort mehr Licht.

Jetzt begann sein Buch. Sagen wir, das Buch handelt von einer Gemischtwarenhandlung, dachte der Dichter. Ein schönes Thema wäre auch das Unrecht auf Erden, aber stinkfad. Und vor allem: keine Handlung.

„Dann eben die Gemischtwarenhandlung.“ sagte der Dichter. Aufschreiben und erzählen war sein Beruf. Das wusste er jetzt und machte sich eifrig Notizen in seinem kleinen, schwarzen Notizbuch.

„Vielleicht wird unser Buch auch in andere Sprachen übersetzt, auf Griechisch oder Latein zum Beispiel.“ sagte der Dichter, blickte dabei kurz zum Plafond und dann über seine rechte Schulter zum eierschalenfarbenen Kopfende des Betts. Es war jetzt schon seit einiger Zeit sein Bett. Oberhalb seines Kopfes klebte ein Bild von Lucky Luke, der den Dichter schon längere Zeit beobachtet hatte.

Es war einmal eine Welt, mitten im Universum, da war alles gemischt. Äpfel und Birnen, Karotten und Birnen, Innereien und Batterien, Katzen und Hunde, gehbehinderte Eulen und Backhendl, alles gemischt. Dann kam eine große Flut und alles war nass. Dann kam ein böser Wüstenwind und alles war staubtrocken. Dann kam der liebe, blöde Gott und alles wurde geordnet. Dann kam sein Sohn und wollte alles noch besser ordnen. Dann hat der so getan als würde er sterben und in Wirklichkeit ist er nach Paris gefahren, dachte der Dichter und schrieb es auf. Dann kam wieder einer. Weil er bis jetzt der Letzte war, sind seine Anhänger größenwahnsinnig oder beleidigt wie österreichische Fußballfans, haben keinen Humor und keine vernünftige Verwendung für Batterien.

„Manchmal glaub ich, Muslime sind alle Rapidler.“ sagte der Dichter.

„Dann wären ja die Rapidfans die Ausländer, und wir könnten mit der U4 ins Morgenland fahren. Dann wäre alles seitenverkehrt. Wie wenn man wieder auf die Welt käme, und diesmal können die Augen nicht wieder alles vom Kopf zurück auf die Füße stellen. Diesmal nicht. Diesemale press.“ sagte der Dichter leise, langsam und deutlich. Lautlos zog Lucky Luke an der selbstgedrehten Zigarette.

„Aber wenn sich dieses Mal alles umdreht, zum Beispiel sind die Birnen die Äpfel, und dann hat Eva gar nicht in einen Apfel sondern in eine Birne gebissen - von jetzt aus gesehen - und der Einstein hat relativ recht, aber es ist ihm relativ wurscht, weil er jetzt vielleicht auch in Paris ist und an den jungen Pariser Mädchen herumriecht, theoretisch.“ sagte der Dichter. Lucky Luke nahm einen tiefen Zug von seiner Zigarette.

„Muß man sich vorstellen: Inländer sind Ausländer und Ausländer sind Inländer - überall auf der Welt. Wir alle heißen Länder, weil es In und Aus nicht mehr gibt, na klar.“ sagte der Dichter und schrieb alles in sein kleines, schwarzes Notizbuch.

„Alles wäre wieder vermischt, wir könnten Birnen mit Äpfeln vergleichen und immer und überall hineinbeißen. Der einzige Ausländer wäre der liebe, blöde Gott. Und den hauen wir dann wirklich raus, weil er unsere Eva belästigt hat.“ sagte der Dichter und schaute zu Lucky Luke. Der schnippte seine Zigarette lässig weg.

„Jetzt hat mein Buch aber eine ordentliche Handlung. Eine neue Gemischtwarenhandlung. Und jetzt machen wir alle Handel mit Waren aller Art. Im Buch, meine ich.“ sagte der Dichter im Bett seiner Schwester. Lucky Luke schob sich den Hut aus der Stirn und hörte aufmerksam zu.

„Jeder Mensch, der auf die Welt kommt - durch seine Mutter oder durch eine Sternentür, vielleicht ist das aber eh dasselbe - hat auf seinem Konto 66,6 Millionen Quixis. Das ist die Weltwährung. Zwölf Quaxis sind ein Quixi. Ein Liter Milch kostet so zehn, elf Quaxis, also knapp einen Quixi. Viele Kinder, viele Quixis. Mit 66,6 Millionen Quixis pro Menschin kommen wir locker ein Leben lang aus.“ sagte der Dichter, stolz über seine Großzügigkeit. Lucky Luke drehte gelassen an der nächsten Zigarette.

„Wir heißen jetzt immer: wir. Wenn wer schuldig ist, haben wir Schuld, und wenn wer unschuldig ist, haben auch wir Schuld.“ sagte der Dichter mit feierlicher Stimme. Lucky drehte seine Zigarette weiter und blies sich eine Haarsträhne aus dem Gesicht.

„Jedes Menschin bekommt ein einziges Mal 66,6 Millionen Quixis, und die männlichen Menschinnen bekommen im Laufe ihres Lebens nur dann Quixis, wenn ein weibliches Menschin es erlaubt. Die haben nämlich die Zentralquixibankomatkartencodes, und wenn ein männliches Menschin was braucht, oder glaubt, dass es das jetzt braucht, dann schaut ein weibliches Menschin dem männlichen Menschin in die Augen, oder zwischen die Augen, auf diesen Punkt halt und…“ Jetzt schaute dem Dichter Lucky Luke in die Augen, sehr tief sogar, drehte aber gleichmäßig weiter an seiner Zigarette.

„…ja, das wär… das ist so ein neues, physikalisches Gesetz.“ sagte der Dichter und schrieb an den Rand seines Notizbuches: en passant. Er lernte nämlich gerade Französisch.

„Das Menschin. Mehrzahl: die Mädchen. Wir alle heißen dann ‚Mädchen‘. Auch der Bushido. Und auch der Osama Bin Laden, tot oder lebendig – wurscht. Sogar ein Innereienfleischhauer aus Süditalien. Der Putin. Alle Kärntner, auch ab 732 Höhenmetern. Auch du und ich heißen dann ‚Mädchen‘ …Lucky, da nutzt nix!“ sagte der Dichter. Lucky wollte seine frisch gedrehte Zigarette gerade anfeuchten.

„Zum weiblichen Menschin können wir ‚das Mädchen‘ sagen - und zum männlichen Menschin können wir auch ‚das Mädchen‘ sagen. Wir sind dann ganz gleich irgendwie, in der Sprache und in den 66,6 Millionen Quixis von Geburt an!“ sagte der Dichter, und in seinen Augen begann es zu glitzern. Lucky Luke leckte an seiner Zigarette, sie wurde zum ersten Mal etwas zu nass.

„Jedes Mädchen kann jedes Mädchen lieb haben und heiraten. Mein Mädchen heißt Franz und ist Fleischhauer. Mein Mädchen heißt Monika und ist Snookerbillardspielerin. Mein Mädchen heißt Josef und erzeugt Batterien. Mein Mädchen heißt Luck… und so weiter.“ sagte der Dichter. Er machte jetzt ein ernstes, sachliches Gesicht und wechselte das Thema.

„Die Chakren heißen dann Vibis, und wenn wir traurig sind, gehen wir nach Hause und machen ein Vibivubi oder Biwibuwi - das können wir aussprechen wie wir wollen. Wir können auch Brrm! Brrm! dazu sagen, und bei den Älteren von uns klingt es dann wie bei einer Corvette Stingray 454 Big Block. Schön, gell?“ sagte der Dichter und sah ganz andächtig zu Lucky Luke. Der rauchte.

„Jetzt braucht meine Handlung aber auch etwas Störendes, einen Widersacher, einen lieben, blöden Gott oder so irgendwas, weil zu dem sagen wir dann:

Um dich ist nicht schade,

du dumme, dicke Made

im Speck,

geh weg.

Duu du, duu du, dii da

da duu, da duu, da dii da

ga guck

ga gack.

Da duu, da duu, da dii da…“

Ab der zweiten Strophe hat er schon in der Art eines Kinderkanons gesungen. Er sang es noch einmal von Anfang an. Lucky Luke begann mit den Fingern leise mitzuschnippen und hielt seine Zigarette in der anderen Hand wie ein momentan nicht benötigtes Altsaxophon. Man hörte ein leises, tiefes „…duu du, duu du, dii da…“ Der Dichter wurde jetzt sehr müde. Die Lampe am Boden dimmte ihr Licht auf dunkles, warmes Rot. Lucky Luke ließ seine Zigarette fallen. Der Dichter sah ihn noch einmal mit halb geschlossenen Augen an und schlief im Bett seiner Schwester ein. Sein schwarzes Notizbuch lag neben ihm.

Gott, in seiner Not, erschien dem Dichter im Schlaf. Er trug eine venezianische Le Pierrot-Maske und sagte:

„Guten Tag, ich habe versagt. Nehmt als Entschädigung für mein dummdreistes Handeln diesen Sack voll Geld. Es sind 666 Millionen Euro drinnen, die hab ich mir vom Teufel einstweilen ausgebor…grrr… also gut, ich hab’s gestohlen. Niemand hat an mich wirklich geglaubt, und zum Schluss hab ich selbst nicht mehr an mich geglaubt. Dann hatte ich die wahnwitzige Idee, dem Teufel zu Fleiß ein Buch zu schreiben, mit 666 Seiten, ich meine, da wäre er doch neidisch geworden. Ich will auch nicht mehr schuldig sein, weil die Eva, die war so jung und so schön und so goschert… ja, und da wollte ich ihr nur ein bisschen Angst machen, dass sie wieder lieb ist zu ihrem Papa, und… du weißt eh, wie das ist.“

„Nein, weiß ich nicht, wie das ist, weil ich habe keine Eva, Trottel du“, schimpfte der Dichter im Schlaf, „aber den Sack will ich gerne annehmen und unter uns Mädchen dieser Welt verteilen. Also gib schon her den Sack.“ Gott hielt den Sack noch in der Hand und sagte:

„Dann braucht Ihr mich ja gar nicht mehr.“

„Nein, du kannst jetzt nach Jesolo fahren oder auf die Saualpe oder irgendwohin, wo der Pfeffer wächst.“

„Ja, aber der wächst doch jetzt überall, weil der Klimawandel und die Kontinentalverschiebungen…“

„Gott!“

„Ja?“

„Gib Ruh.“

„Hm.“

So gab der Gott Ruh - und der Dichter nahm den Sack an sich. Er ging damit zum neu asphaltierten Traisenweg, weiter nach Pottenbrunn, Traismauer, die Donau bis Aggsbach am rechten Ufer stromaufwärts, bei Ybbs am linken Ufer weiter, bis zur Quelle, weiter nach Berlin, ging immer weiter in den Norden und traf mitten im Norden, zwischen den Flechten, auf eine alte Frau.

---

Roul Starka

(aus dem Buch: Brbrrm! oder der liebe Gott und das Mädchen Physik)

0
Ich mag doch keine Fische vergeben
Meine Bewertung zurückziehen
Du hast None Fische vergeben
6 von 6 Fischen

bewertete diesen Eintrag

15 Kommentare

Mehr von Roul