„Verehrter Klaus Maria Brandauer, jahrzehntelang habe ich Sie bewundert. Die Bewunderung für den Künstler ist ungebrochen, doch seit Ihren letzten Fernsehauftritten liebe ich Sie darüber hinaus auch noch. Dankbar, dass es Menschen wie Sie gibt, und mit herzlichen Grüßen“

Diese Zeilen zu schreiben und abzuschicken war mir ein Herzensbedürfnis nach der vergangenen Sendung „Im Zentrum“. So kompromisslos menschlich und mit solcher Leidenschaft habe ich selten jemanden seinen Zugang dazu vertreten gesehen, was Menschen eigentlich ausmachen sollte. Der Mann war sichtlich den Tränen nahe, während er das grauslich eiskalte Gewäsch der unsäglichen Ministerin Edtstadler und die hilflos dummen Rechtfertungsversuche einer Sigrid Maurer anhören musste.

Screenshot ORF orf.at

„Gibt es eine moralische Verpflichtung, Menschen in Not zu helfen?“ war eine Frage, die vor kurzem auf Ö1 mit einem Theologen diskutiert wurde. Ich bekam eine Gänsehaut: Dass eine solche Frage überhaupt gestellt und öffentlich diskutiert werden muss, ist allein schon ein deutliches Indiz dafür, wie verrottet und rettungslos versaut die Gesellschaft ist, in der wir leben.

Ja klar, österreichische Hilfsgüter für Moria in Höhe von 50 Millionen werden kolportiert. Das mag glauben, wer will. Woran erkennt man, dass Sebastian Kurz lügt? Ganz einfach, er bewegt die Lippen. Und sollte doch etwas dran sein, erhebt für jeden mitdenkenden Menschen ein böser Verdacht sein finsteres Haupt: Zeug für 50 Millionen einzukaufen könnte für unseren Kanzler ja zum Beispiel auch ein feines Vehikel sein, seinen Freunderln in der Wirtschaft den einen oder anderen lukrativen Großauftrag zuzuschanzen – und nebenbei auch noch etwas politisches Kleingeld einzustreifen, das ihn als den großen Helfer dastehen lässt.

Nur: 50 Millionen für die Wirtschaft, aber 100 Kinder können wir uns nicht leisten? Auch wenn noch so viele österreichische Bürgermeister jeder Coleur deutlich wissen lassen: Wir haben den Platz, die Mittel und die Bereitschaft, bringt uns die Kinder! Echt jetzt? Armselige 100 unschuldige, von Gott und der Welt verlassene Kinder, und sämtliche xenophoben empathielosen „Wir sind das Volk“- und „Das Boot ist voll“-Plärrer machen sich in die Hose?

Wir könnten und können uns noch unendlich viel mehr leisten als ein paar Kinder. Aber es wäre zumindest ein guter Anfang, ein zaghafter Schritt auf einem richtigen Weg.

„Das sind unsere Leute! Wir leben mit ihnen auf derselben Welt! Denen muss man doch helfen!“ flehte Klaus Maria Brandauer beinahe. Und erntete nichts als politisch-strategisches Wischi-Waschi und klägliche Erklärungsversuche für ein Verhalten, das man nur als verbrecherisch bezeichnen kann und das einfach durch nichts, durch überhaupt gar nichts zu erklären oder zu rechtfertigen ist.

Es geht uns gut. Noch. Wer uns wirklich bedroht, sind aber nicht die Flüchtlinge aus Kriegsgebieten. Sind nicht die unvorstellbar Verzweifelten ohne Perspektive, die in irgend welchen dreckigen Lagern in Griechenland, Libyen oder sonstwo dahinvegetieren.

Wer uns bedroht, das sind nicht die vor unseren Grenzen. Nein, die wahre Bedrohung ist schon drin, hier mitten unter uns, sie sitzt in Ämtern und Würden, im Parlament, auf hohen Posten, in den Chefetagen der Konzerne und Banken, im Olymp der Reichen und Mächtigen, die bestenfalls auf uns herunterspucken, falls sie uns überhaupt wahrnehmen.

Wer uns bedroht, das sind nicht fleißige junge Leute, die aus ihren Lehrstellen geholt werden, um zurück in den fast sicheren Tod geschickt zu werden. Wer uns bedroht, sind nicht bestens integrierte Familien, die buchstäblich über Nacht aus ihrem Umfeld gerissen und ins Nichts gestoßen werden.

Wer uns bedroht, das sind die Hetzer und Hasser, die Angstschürer, die Verschwörungstheoretiker, es sind die Gruselgeschichten, die irgendein Kickl oder ähnlich unappetitliche Gestalten im Bierzelt grölen.

Nein, wer uns bedroht, das sind nicht die Flüchtlinge aus Kriegsgebieten, sondern die regierungsgestützten Steuerflüchtlinge, die uns Milliarden kosten. Milliarden, mit denen man sämtliche Obdachlose, sämtliche an der Armutsgrenze dahinwurschtelnde Alleinerziehende, sämtliche jeden Tag wieder um die nackte Existenz kämpfende Kleinunternehmer, sämtliche Mindestpensionisten, und ja, auch viele viele auf der Flucht befindliche Verzweifelte hundert Jahre lang problemlos durchfüttern könnte, ohne dass irgendeiner von uns Angst um seinen Job, sein Häuschen oder seinen Flachbildfernseher haben müsste.

Wer uns bedroht, sind jene, die sich das „christlich-soziale“ Mäntelchen umhängen und in Wahrheit nur zu Wirtschaftsbossen beten, denen der kleine Hackler, egal ob In- oder Ausländer, so von Herzen wurscht ist, wie einem jemand nur wurscht sein kann.

Wer uns bedroht, sind jene, die uns sowohl Löhne als auch Arbeitslosengeld kürzen, die Krankenversicherungen kaputtmachen, die Medien knebeln, Korruption auf höchster Ebene ungestraft lassen, uns Lüge um Lüge auftischen, und ausschließlich am eigenen Machterhalt und den eigenen fetten Pfründen interessiert sind.

Wer uns bedroht, sind nicht zuletzt wir Kleinen selber.

Die Gaffer, die anstatt bei einem Unfall Hilfe zu leisten, lieber ein Handy-Filmchen machen und den Profirettern den Weg verstellen.

Die selbsternannten Helden, die den Weltuntergang wittern und zum Therapeuten rennen, weil sie sich anderen zuliebe ein Stückerl Stoff vor den Mund hängen sollen.

Was uns bedroht, ist die Eiseskälte, die um sich greift und aus ehemals netten Leuten bösartige Monster macht, und die Liste der Beispiele ließe sich endlos fortsetzen...

Doch nur ein Wort noch zum Schluss, weils grad so schön passt, zum oben angesprochenen Thema „christlich-sozial“: Würde Jesus Christus, dieser Gutmensch, heute leben, er würde sich weinend abwenden von dem bigotten Lumpenpack, das Sonntag für Sonntag auf wohlgenährten Hintern scheinheilig frömmelnd die Kirchenbänke verstopft, während es billigend in Kauf nimmt, dass Menschen im Meer ersaufen, vor verschlossenen Grenzen in Schlamm und Dreck verrecken oder minderjährig und mutterseelenallein irgendwo im Chaos herumirren.

Dieser kompromisslos menschliche Jesus Christus, und da bin ich ganz sicher, würde die ganze herz- und seelenlose "christlich-soziale" Bande genau wie weiland die Händler aus dem Tempel mit nassen Fetzen aus seinen Kirchen verjagen.

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