Warum Journalisten und Andersdenkende in der Ukraine Angst haben

Anschläge auf kritische Journalisten und Verhaftungen Andersdenkender. Russisch an den Schulen nur noch als "Fremdsprache". Nazi-Kollaborateure als neue Helden. Nationalismus als neue Staatsdoktrin

Wie sich die Ukraine im Innern heute entwickelt, darüber erfährt man in deutschen Medien fast nichts mehr. Die Drei-Jahres-Bilanz der ukrainischen Nach-Maidan-Regierung fällt - was demokratische und soziale Fortschritte betrifft - so kümmerlich aus, dass die großen deutschen Medien über das Land am Dnjepr nur noch spärlich berichten. Nach der siegreichen Maidan-Revolution sollten in der Ukraine eigentlich europäische Zustände einkehren. Doch bei genauerem Hinschauen sieht man, dass die Ukraine von demokratischen Zuständen heute weiter entfernt ist, als vor dem Maidan.

Journalist Ruslan Kotsaba droht Prozess wegen Landesverrat

Ein anschauliches Beispiel für diesen traurigen Zustand ist der Fall Ruslan Kotsaba. Der aus dem westukrainischen Iwano-Frankiwsk stammende Journalist hatte im Januar 2015 über ein YouTube-Video zur Kriegsdienstverweigerung in der Ost-Ukraine aufgerufen. Er wurde daraufhin wegen "Behinderung der Streitkräfte" zu dreieinhalb Jahren Haft verurteilt. Am 14. Juli 2016 wurde Kotsaba nach eineinhalb Jahren Haft von einem Gericht im westukrainischen Iwano-Frankiwsk freigesprochen.

Am 1. Juli 2017 hat das Oberste Spezialgericht der Ukraine in Zivil- und Strafsachen den Freispruch für Ruslan Kotsaba jedoch wieder aufgehoben. Damit wurde einer Berufungsklage der ukrainischen Staatsanwaltschaft stattgegeben. Die Staatsanwaltschaft klagt auf Landesverrat worauf 13 Jahre Haft stehen. Die Klage soll vor dem Kiewer Berufungsgericht entschieden werden. Im Gebiet Iwano-Frankiwsk hatten sich die Richter für befangen erklärt.

Die Freilassung von Kotsaba im Juni 2017 war auch Resultat einer internationalen Solidaritäts-Kampagne. Der Fall Kotsaba war im Europäischen Parlament zur Sprache gekommen und in Deutschland hatte die Deutsche Friedensgesellschaft/Vereinigte Kriegsdienstgegner sowie die Organisation Connection e.V. in mehreren deutschen Städten Veranstaltungen mit Uljana Kotsaba, der Ehefrau des inhaftierten Journalisten durchgeführt.

Zur Zeit arbeitet Ruslan Kotsaba beim Fernsehkanal NewsOne in Kiew. Am 13. November 2017 kam er zu einer Solidaritätsveranstaltung in das Kommunikationszentrum Wasserturm in Berlin-Kreuzberg. Auf der Veranstaltung berichtete der Journalist, wie er 2014 auf beiden Seiten der Front im Krieg in der Ost-Ukraine gearbeitet hatte (Rede Kotsaba mit deutscher Übersetzung).

Außerdem berichtete er über die Fälle von drei Journalisten-Kollegen, die wegen ihrer kritischen Haltung zur Macht in ukrainischen Gefängnis einsitzen. Dabei handelt es sich um den 33 Jahre alten Journalisten Wasili Murawizki (hier seine Website) , der seit dem 1. August 2017 im Untersuchungsgefängnis von Schitomir einsitzt. Gegen Murawizki wird wegen Landesverrat ermittelt. Der Journalist arbeitete unter anderem für die Nachrichtenagentur "Russland heute".

Außerdem setzt sich Kotsaba für die Journalisten Dmitri Wasilez und Jewgeni Timonin ein. Wasilez ist seit November 2015 in Haft. Am 28. September 2017 wurde Wasilez und sein Kollege Timonin von einem Gericht im Gebiet Schitomir zu Freiheitsstrafen von jeweils neun Jahren verurteilt. Den beiden Journalisten wird vorgeworfen, sie hätten sich an der Gründung des Fernsehkanals Noworossija TV beteiligt, was Wasilez, der ein eigenes Programm im Kiewer 17. Kanal mit dem Titel "Informationskrieg" hatte, bestreitet.

Die Veranstaltung in Berlin hätte fast nicht stattgefunden

Stadtbekannte Berliner "Anti-Querfront"-Aktivisten hatten im Internet Stimmung gegen die Veranstaltung in Berlin-Kreuzberg gemacht. Ruslan Kotsaba wurde Antisemitismus vorgeworfen. Als "Beleg" diente ein Video aus dem Jahre 2011. Ulrich Heyden wurde vorgeworfen, dass er auch für RT deutsch arbeitet. Auch auf das Kommunikationszentrum Wasserturm wurde Druck ausgeübt.

Doch die Veranstaltung konnte dann doch noch stattfinden und war mit etwa 60 Teilnehmern gut besucht. Es ging los mit einem Statement vom Geschäftsführer der Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes in Berlin, Markus Tervooren, der erklärte, die im Netz laut gewordenen Vorwürfe gegen die beiden Referenten müssten aufgeklärt werden.

Der Brand im Gewerkschaftshaus von Odessa immer noch nicht aufgeklärt

Dann folgte der Vortrag von mir. Ich sprach über die Menschenrechte in der Ukraine. Der Text steht dem interessierten Leser im Folgenden überarbeitet und aktualisiert zur Verfügung.

Der Fall Ruslan Kotsaba ist für die Ukraine leider typisch. Nach der Freilassung müssen politisch Andersdenkende mit erneuten Anklagen rechnen. So wurden In Odessa am 20. September 2017 20 Anti-Maidan-Aktivisten freigelassen, die seit dem 2. Mai 2015 in Haft waren oder unter Hausarrest standen. Gegen zwei der Angeklagten wurde nach der Freilassung erneut Anklage erhoben. Mit dieser Taktik versuchen die ukrainischen Justizorgane offenbar politisch Andersdenkende mürbe zu machen und zur Emigration ins Ausland zu drängen.

Nach den Freilassungen in dem Gericht in Odessa kam es vor dem Gericht zu einer Schlacht mit der Polizei. Ultranationalisten versuchten den Abtransport der Freigelassenen zu verhindern. Auch das gehört inzwischen zu dem üblichen Vorgehen der Ultranationalisten, die immer wieder und oft erfolgreich Druck auf Richter ausüben. So stürmten am 30. November 2015 hundert Mitglieder des Rechten Sektors einen Saal des Manilowski-Gerichts in Odessa. Sie zwangen die Richter, die fünf Anti-Maidan-Demonstranten unter Kaution freilassen wollten, ihren Rücktritt zu unterschreiben. Das Urteil zur Freilassung wurde aufgehoben.

Der Tod von mindestens 42 Menschen, die am 2. Mai 2014 bei einem Angriff mit Molotow-Cocktails auf das Gewerkschaftshaus von Odessa starben, ist immer noch nicht aufgeklärt, geschweige denn gesühnt. Zwei Tatverdächtigen aus den Reihen der Ultranationalisten wurden kurzzeitig in Haft genommen, bald darauf aber freigelassen.

In einem im November 2015 veröffentlichten Untersuchungsbericht über die Aufklärung des Massakers von Odessa stellte eine Experten-Gruppe des Europarates den ukrainischen Behörden ein vernichtendes Urteil aus. Der vom Europarat eingesetzten International Advisory Panel äußerte Zweifel, ob die ukrainische Regierung den Brand im Gewerkschaftshaus von Odessa überhaupt aufklären will. Doch die Regierung in Kiew reagierte nicht auf den Bericht des Europarates.

Kritische Journalisten verfolgt

Die nationalistische Wende der Ukraine nach der Maidan-Revolution führte zu einer schwierigen Lage für Journalisten und politisch Andersdenkende. In der Ukraine herrscht zwar kein Faschismus - es erscheinen noch kritische Internet-Portale wie "Timer" und "Strana.ua", aber im Parlament sitzen Angehörige rechtsradikaler Bataillone und es gibt starke faschistische Gruppen, die vom Staat nicht verfolgt werden. Zahlreiche Journalisten, pro-russische, wie liberale, wurde erschossen. Die Täter wurden nicht gefasst.

Die "Friedensstifter"-Fahndungsliste, Mai 2014

Trotz internationaler Proteste existiert die halblegale "Fahndungsliste" Mirotworez (Friedensstifter), die im Mai 2014 auf Initiative von Anton Geraschenko, einem Berater des ukrainischen Innenministers initiiert wurde, immer noch. Auf der Website wurden Namen und Adressen von Personen veröffentlicht, die angeblich mit den Separatisten zusammenarbeiten.

Im Mai 2016 befanden sich auf der Liste Namen und Adressen von insgesamt 4.000 Journalisten. Der Großteil der Namen stammte aus einer gehackten Datei aus Donezk, in der Journalisten, die sich in der Stadt akkreditiert hatten, aufgelistet waren. Auf der Liste erschienen Namen von Journalisten der Medien AFP, Al Jazeera, Le Monde, BBC und Reuters. Als die ukrainische Menschenrechtsbeauftragte Valeria Lutkowskaja die Schließung der "Fahndungsliste" forderte, konterte ihr Initiator Geraschenko, wer die Bedeutung der Website nicht verstehe, sei "selbst eine Marionette in fremden Händen", eine Anspielung auf Russland.

Der Fall Oles Busina, April 2015

Der Russland-freundliche Journalist Oles Busina wurde, kurz nachdem seine Adresse auf der "Friedensstifter"-Liste aufgetaucht war, am 16. April 2015 vor seiner Wohnung erschossen. Auf der Website wurde der Tod von Busina mit den Worten "wurde liquidiert" vermerkt. Zu der Tat bekannte sich eine "Ukrainische Aufstandsarmee". Des Mordes verdächtigte Rechtsradikale wurden kurzzeitig in Haft und Hausarrest genommen, dann aber wieder freigelassen.

Der Fall Jelena Glischinskaja, April 2015

Die Journalistin Glischinskaja aus dem Gebiet Odessa wurde im April 2015 unter dem Verdacht des Separatismus verhaftet. Obwohl sie im Gefängnis ein Kind gebar, musste die Journalistin ihre Haft in einer engen Kammer zusammen mit Kriminellen absitzen. Und obwohl ihr Sohn krank war, gab es keine Hafterleichterung. Im Juni 2016 wurde Glischinskaja unter Vermittlung des Kremls gegen zwei in Russland in Haft befindliche Ukrainer ausgetauscht.

Der Mord an Pawel Scheremet, Juli 2016

Am 20. Juli 2016 wurde der westlich orientierte Journalist Pawel Scheremet durch eine ferngezündete Bombe in seinem Auto getötet. Der aus Weißrussland stammende Scheremet, der auch lange in Moskau gearbeitet hatte, war ein überzeugter Kämpfer gegen die Korruption in der Ukraine. Nur drei Tage vor seinem Tod hatte er auf einem Blog öffentlich kritisiert, dass rechte Freiwilligenbataillone Gerichtsverfahren gegen Geschäftsleute verhinderten, die wegen eines Korruptionsfalls in Zusammenhang mit einer Chemiefabrik im Raum Odessa und deren geplanter Privatisierung unter Anklage stehen.

Brandanschlag auf Fernsehkanal "Inter", September 2016

Am 4. September 2016 wurde der Fernsehkanal "Inter" mit Molotow-Cocktails angegriffen https://www.heise.de/tp/features/Kiewer-Fernseh-Kanal-Inter-wegen-Russlandfreundlichkeit-in-Brand-gesteckt-3314389.html . Die Journalisten im Gebäude flüchteten aufs Dach. Die Redaktionsräume der Enthüllungssendung Podrobnosti brannten völlig aus. Der Zaun um den Sender wurde mit Schmähparolen "russischer -" und "Putin-Sender" besprüht. Ukrainischen Nationalisten hatten dem Sender vorgeworfen, er sende Programme mit russischen Schlagerstars, welche den Beitritt der Krim zu Russland begrüßen

Verhaftung des Chefredakteurs Igor Guschwa, Juni 2017

Im Sommer traf die staatliche Repression Strana.ua, eines der populärsten ukrainischen Internet-Portale. In der Nacht auf den 22. Juni 2017 wurde die Redaktionsräume von 15 Mitarbeitern der ukrainischen Polizei und des Geheimdienstes SBU durchsucht. Der Chefredakteur Igor Guschwa und sein Sekretär, Anton Filipkowski, wurden verhaftet und in die Polizeizentrale verbracht. Am 27. Juni 2017 wurde Guschwa gegen eine Kaution in Höhe von 17.000 Euro freigelassen. Das Geld stammte von ukrainischen Geschäftsleuten, die das Internet-Portal schon länger unterstützen.

Regierungsnahe Medien veröffentlichten Fotos von einem mit 100-Dollar-Noten bedeckten Redaktions-Tisch. Bei den Banknoten solle es sich angeblich um Geld handeln, welches der Chefredakteur von führenden Mitgliedern der nationalistischen Radikalen Partei erpresst haben soll. Im Gegenzug hatte Guschwa angeblich belastendes Material gegen Dmitro Linko, einen Abgeordneten der Partei, und Oleh Ljaschko, dem Partei-Vorsitzenden, nicht veröffentlicht. Der verhaftete Chefredakteur bestritt die gegen ihn erhobenen Vorwürfe und erklärte, es sei genau andersherum gewesen. Er selbst sei unter Druck gesetzt worden.

Der stellvertretende Innenminister der Ukraine, Wadim Trojan (er war früher ein Leiter des Rechten Sektors, U.H.), erklärte, es seien "auf frischer Tat zwei Verbrecher" gefasst worden, welche von dem Rada-Abgeordneten Linko Geld erpressen wollten.

Der Berater des ukrainischen Innenministers, Anton Geraschenko, begrüßte die Verhaftung von Guschwa in einem ironischen Facebook-Kommentar. "Der Chefredakteur der Seite strana.ua, Igor Guschwa, wurde verhaftet. Wie kann das sein? Das ist doch ein Kampf gegen die freie Presse! Ja, das ist ein Kampf! Ein Kampf gegen das freie ungestrafte Lügen, gegen das Verbreiten von Unwahrheiten gegen Geld und gegen die Zerstörung des eigenen Landes. Den Ersten hat es erwischt! Ihm werden andere Händler der Verleumdung und Unwahrheit folgen."

Regierungskritische Journalisten in der Ukraine brachten die Verhaftung von Chefredakteur Igor Guschwa in Zusammenhang mit der Veröffentlichung von Dokumenten durch das Internetportal Strana.ua, in denen die Partei des ukrainischen Präsidenten - "Block Petro Poroschenko" (BPP) - der Korruption beschuldigt wird. Die belastenden Dokumente stammten von dem ehemaligen Abgeordneten des BPP, der 2016 ins westliche Ausland geflüchtet war. Mit den Dokumenten versuchte Onischtschenko nachzuweisen, dass der BPP mit Hilfe von Geldern des IWF Rada-Abgeordneten besticht, um sie politische gefügig zu machen.

In zwei Monaten Ausweisung von fünf ausländischen Journalisten, Juli/August 2017

Immer wieder sind von der Repression in der Ukraine auch ausländische Journalisten betroffen. Als im Juli und August 2017 gleich fünf ausländische Journalisten aus der Ukraine ausgewiesen worden waren, ermahnte der Beauftragte der OSZE für Pressefreiheit, Harlem Desir, die ukrainischen Behörden auf "unnötige Beschränkungen" der Arbeit ausländischer Journalisten zu verzichten. Diese Beschränkungen beeinträchtigen "den freien Informationsfluss" und verletzten "die Verpflichtungen der OSZE in Bezug auf die Freiheit der Medien". Wer waren die fünf Ausgewiesenen?

Am 30. August wurde Anna Kurbatowa, Korrespondentin des russischen Fernsehkanals Pervi, entführt. Nach zwei Stunden meldete der Geheimdienst SBU, die 29jährige Journalistin sei festgenommen worden. Die Journalistin wurde ausgewiesen.

Am 24. August verweigerte der ukrainische Geheimdienst SBU den spanischen Journalisten Antonio Pampliega und Manuel Angel Sastre die Einreise und verhängte gegen die beiden Journalisten ein dreijähriges Einreiseverbot. Die beiden Journalisten mussten stundenlang auf dem Kiewer Flughafen ausharren und durften diesen nicht verlassen. Den beiden Spaniern wurde "die Schädigung der ukrainischen Interessen" vorgeworfen. Pampliega hatte in den letzten drei Jahren aus den selbsternannten Volksrepubliken im Donbass berichtet. Die beiden Journalisten hatten auch in Syrien gearbeitet, wo sie sich ein Jahr lang in Gefangenschaft von Terroristen befanden. Pampliega bekam im Mai 2015 von der spanischen Zeitung El Mundo einen Preis für seine Reportagen aus Aleppo.

Am 14. August hatte der ukrainische Geheimdienst die Journalistin Tamara Nersesjan vom russischen Kanal WGTRK wegen "Schädigung der ukrainischen Interessen" verhaftet und ausgewiesen. Die Journalistin bekam ein dreijähriges Einreiseverbot.

Am 26. Juli verhaftete der SBU die russische Journalistin Maria Knjasewa vom Fernsehkanal "Rossija 1" wegen "einseitiger Berichterstattung" und wies sie aus.

Die Zurückdrängung russischer Sprache und Kultur

Entgegen dem auf dem Maidan erklärten Ziel, die Ukraine nach Europa, zu Demokratie und Freiheit zu führen, führt die ukrainische Regierung das Land in einen extremen Nationalismus. Das Hauptziel der Regierungspolitik ist die Abgrenzung gegenüber Russland, nicht nur militärisch und wirtschaftlich sondern vor allem auch kulturell. Der extreme Nationalismus führt jedoch nicht nur zu einer Verschlechterung der Beziehungen mit Russland sondern auch zu einer Verschlechterung der Beziehungen zu Polen, Ungarn und anderen Nachbarländern.

Nach Umfragen sprechen 34 Prozent der Ukrainer im Alltag Russisch, also nicht viel weniger als Ukrainisch. Zählt man nun die Maßnahmen auf, die sich allein im Jahr 2017 gegen die russische Kultur und Sprache in der Ukraine richteten, ergibt sich ein bestürzendes Bild. Es ist keine Übertreibung wenn man sagt, das Russische soll aus der Ukraine verbannt werden. Alle kulturellen Bande mit Russland sollen zerschnitten werden.

Soziale Netzwerke und Suchmaschinen von russischen Anbietern - vkontakte, odnoklasniki und yandex - werden abgeschaltet. Nach Angaben des Analyse-Unternehmens Gemius hat vkontakte in der Ukraine 5,4 Millionen und Odnoklasniki drei Millionen Nutzer. Der ukrainische Präsident begründete das Verbot mit den angeblichen "Cyber-Attacken Russlands" und der angeblichen "Einmischung Russlands in die französischen Wahlen".

Russische Musiker, die nach 2014 auf der Krim aufgetreten sind, oder die Vereinigung der Krim mit Russland gebilligt haben werden mit Einreiseverbot belegt.

Zahlreiche Bücher russischer Schriftsteller stehen auf einer schwarzen Liste.

Bücher von Tolstoi und Dostojewski wurden aus dem Schul-Lehrprogramm genommen, weil sie "russisch-imperiale" Sichtweisen enthalten.

Anfang September 2017 trat ein neues Schulgesetz in Kraft, nach dem ab 2020 nur noch auf Ukrainisch unterrichtet werden soll.

Friedensmärsche von russischen orthodoxen Gläubigen 2016 und 2017 wurden behindert. Ukrainische Politiker diffamierten die Märsche als von "aus Moskau gesteuerte Aktionen".

Am 25. November 2017 forderte der ukrainische Präsident Petro Petroschenko auf einer Golodomor-Gedenkveranstaltung ein Gesetz, mit dem diejenigen bestraft werden sollen, welche leugnen, dass es sich bei der Hungersnot 1932 um eine gegen die Ukraine gerichtete Maßnahme der Sowjetunion handelte. "Die Leugnung des Golodomor" sei "so unmoralisch wie die Leugnung des Holocaust", erklärte Poroschenko.

Behinderung kirchlicher Friedensmärsche

Bis zur Auflösung der Sowjetunion war allein das Moskauer Patriarchat für die orthodoxen Gläubigen in der Ukraine zuständig. 1991 spaltete sich unter Metropolit Philaret ein Kiewer vom Moskauer Patriarchat ab. Die ukrainische Regierung plant jetzt die nach wie vor im Land existierende ukrainisch-orthodoxe Kirche (UPZ) des Moskauer Patriarchats aufzulösen. Gegen ein entsprechendes Gesetz-Projekt demonstrierten Gläubige im Mai 2017 vor der Rada.

Offenbar um als Kirche mehr Profil zu zeigen und eine Auflösung zu verhindern, organisierte die UPZ des Moskauer Patriarchats im Juli 2016 und 2017 Friedensmärsche nach Kiew. Die Märsche starteten in Klöstern im Osten und Westen der Ukraine. Während 2016 30.000 Gläubige an den Märschen teilnahmen, gab es 2017 nach Angaben der UPZ/Moskauer Patriarchat 80.000 Friedens-Marschierer.

Der Anstieg ist insofern beachtlich, weil die Regierung und Nationalisten nichts unversucht ließen, um die Friedensmarschierer zu behindern. 2016 mussten die Friedensmarschierer am Stadtrand in Busse umsteigen, um zum geplanten Gebet im Stadtzentrum von Kiew zu fahren. Parlamentspräsident Andrej Parubi erklärte 2016 zu den Friedensmärschen, "der Feind arbeitet Pläne zur Destabilisierung der Situation im Land aus, indem man künstlich eine politische Krise und Unruhen auf den Straßen schafft."

Dass ausgerechnet Parubi vor einer Destabilisierung warnt, ist zynisch. Der amtierende Parlamentspräsident war 2014 Kommandant des Maidan und 1991 Mitbegründer der National-Sozialen Partei der Ukraine. Parubi spielte nach Meinung ukrainischer Oppositioneller auch eine Schlüsselrolle beim Massaker im Gewerkschaftshaus von Odessa am 2. Mai 2014. Am 29. April 2014 stattete er einem Camp von Nationalisten am Rande von Odessa einen Besuch ab und verteilte schusssichere Westen.

Die russische Sprache im Visier der ukrainischen Regierung

Jeder deutsche Blogger, Journalist oder Aktivist, der es im Februar/März 2014 wagte, auf die Ängste der russischsprachigen Bevölkerung in der Ukraine vor einer Zwangsukrainisierung hinzuweisen, wurde vom deutschen Mainstream ausgelacht und als notorischer Russland-Versteher und Putin-Freund in die Ecke gestellt.

Die von der Werchowna Rada am 23. Februar 2014, zwei Tage nach dem Maidan-Staatsstreich, beschlossene Abschaffung des Gesetzes über Regionalsprachen, welches die Sprachen nationaler Minderheiten unter besonderen Schutz stellte, wurde von den großen deutschen Medien als eine unbedeutende Episode dargestellt. Man verwies darauf, dass der damalige Parlamentspräsident Aleksandr Turtschinow die Abschaffung des Regional-Sprachengesetzes am 3. März 2014 auf Eis gelegt hatte. Vermutlich war Turtschinow damals von westlichen Beratern dazu gedrängt worden, denn im Südosten der Ukraine besetzten damals besorgte Bürger offizielle Gebäude aus Angst vor einer ultra-nationalistischen Politik der neuen Macht in Kiew.

Das unter Präsident Viktor Janukowitsch 2011 eingeführte Gesetz über die Regional-Sprachen sah vor, dass dann, wenn in einem Gebiet der Ukraine mehr als zehn Prozent der Menschen Russisch, Ungarisch, Rumänisch oder eine andere Minderheiten-Sprache sprechen, diese Sprache neben dem Ukrainischen einen offiziellen Status bekommt.

Im September 2017 trat in der Ukraine nun ein neues Schulgesetz in Kraft, das von der Intention her der Abschaffung der Regionalsprachen 2014 gleicht. Nach einer Übergangsphase wird ab 2020 an den Schulen nur noch auf Ukrainisch unterrichtet. Russisch kann man dann nur noch als Fremdsprache belegen.

Mit dem Kleinreden nationalistischer und faschistischer Tendenzen in der Ukraine und der großzügigen finanziellen Unterstützung der Regierung in Kiew haben sich Berlin und Brüssel mitschuldig gemacht, dass die Ukraine nun ein nationalistisches Sprachengesetz hat, welches die Spaltung der Ukraine in "Pro-Russen" und "Pro-Ukrainer" vertieft und den Krieg der Ukraine gegen die "Volksrepubliken" ideologisch füttert.

Scharfen Protest gegen das neue Schul- Gesetz aus Ungarn, Rumänien, Bulgarien, Griechenland, Polen, Moldau und Russland. Die Parlamentarische Versammlung des Europarates hat Mitte Oktober mit 82 gegen 11 Stimmen ihre Besorgnis über dieses Gesetz zum Ausdruck gebracht. Grundprinzipien würden verletzt. Poroschenko versprach, man werde eine Lösung finden.

Ungarn kündigte an, wegen dem Schulgesetz die Annährung der Ukraine an die EU zu blockieren. Immerhin leben in der Ukraine 140.000 Ungarisch sprechende Ukrainer und 400.000 Rumänisch sprechende Ukrainer.

Dieter Segert, Universitätsprofessor für Transformationsprozesse in Osteuropa, beschrieb den Irrsinn des neuen ukrainischen Schulgesetzes in einem Gastbeitrag für den österreichischen Standard als Versuch, kulturell gewachsene Verbindungen mit Russland zu zerbrechen:

Das Sprachengesetz ist Teil eines Bemühens der ukrainischen Nationalisten, die Spuren der historischen Zugehörigkeit des Landes zu Russland aufzuheben. Sie stoßen sich dabei insbesondere an der Tatsache, dass die heutige Ukraine nur zu verstehen ist, wenn man sie als Teil des sowjetischen Modernisierungsprozesses fasst. Ihre Grenzen - inklusive der eingeklagten Krim - sind einzig und allein nur in der Zeit ihrer Zugehörigkeit zur Sowjetunion so wie heute gezogen gewesen. Die Migrationsbewegungen im Zusammenhang mit der sowjetischen Industrialisierung haben das Land tief geprägt und auch die gegenwärtige ethnische Heterogenität erzeugt. Die Identität vieler älterer Ukrainer ist ebenfalls in dieser Zeit geprägt worden. Das mag man bedauern, durch Ignoranz kann man es allerdings nicht ändern.

Reinwaschung der Nazis und ihrer Helfer

Merkwürdig unbeachtet bleiben im Westen auch alarmierende Entwicklungen in der Post-Maidan-Intelligenzija. Immer wieder treten bekannte Vertreter aus dem ukrainischen Kulturbereich mit extrem nationalistischen Äußerungen an die Öffentlichkeit.

Im November 2016 erklärte der ukrainische Kulturminister Jewgeni Nischuk in einer Fernseh-Talk-Show, bestimmte Gebiete in der Zentral- und Ost-Ukraine seien "genetisch unrein". Gemeint waren die Gebiete mit einem hohen Anteil russischsprachiger Bevölkerung. Nach Protesten entschuldigte sich Nischuk. Er sei falsch verstanden worden.

Im April 2017 erklärte Oleg Skripka, Sänger der bekannten ukrainischen Rock-Gruppe Wopli Widopljasowa, man müsse alle Menschen, die wegen "einem niedrigen Intelligenz-Quotienten" kein Ukrainisch lernen können, "in ein Ghetto sperren", denn diese Menschen seien "sozial gefährlich". Nach Protesten entschuldigte sich der Sänger. Seine Äußerung sei "ironisch" gemeint gewesen.

Auf Protest in der jüdischen Gemeinde von Kiew stieß im April 2017 ein Theaterstück mit dem provozierenden Namen "Holocaust Cabaret". Für die Premiere des Stücks von Jonathan Garfinkel wurde in großen Lettern am Theater Bel'etage - direkt gegenüber der zentrale Synagoge von Kiew - geworben. In dem Schauspiel geht es um den ukrainischen KZ-Wächter John Demjanjuk, der 2011 in München wegen Beihilfe zum Mord an über 20.000 Menschen verurteilt wurde.

Der Oberste Rabbi der Ukraine, Mosche Asman, war über die provokative Fassadenwerbung entsetzt. Er postete, "das ist schrecklich. Und das in einer Stadt wo es Babi Jar gab." In Babi Jar wurden im September 1941 von deutschen Soldaten und ihren ukrainischen Helfern 33.000 Juden erschossen. Nach Protesten wurde der Schriftzug von der Theater-Fassade entfernt.

Dmitri Saratski, der in Kiew die Aufführung des Stückes organisiert, entschuldigte sich via Facebook bei allen, die sich durch die Werbung für das Theaterstück verletzt fühlten. Weiter führte Saratski aus, dass bei den Gerichtsprozessen gegen Demjanjuk in Israel und Deutschland "keine genaue Antwort auf die Frage gegeben wurde: Ist er (Demjanjuk, U.H.) schuldig für die schrecklichen Verbrechen, welche ihm vorgeworfen wurden." Soviel Mitgefühl für einen verurteilten Nazi-Kollaborateur war sicher Balsam für die Seelen der ukrainischen Nationalisten.

Wie sieht es mit den Menschenrechten in den "Volksrepubliken" und auf der Krim aus?

Bei mehrmaligen Besuchen in den international nicht anerkannten Volksrepubliken und auf der Krim hat der Autor dieser Zeilen den Eindruck gewonnen, dass es in diesen Gebieten zwar Probleme gibt - vor allem mit der Korruption -, dass aber von einer Repression gegen breite Bevölkerungsschichten keine Rede sein kann.

Was die Krim betrifft, gibt es keine brutalen Massenrepressionen gegen die Krim-Tataren, wie einige deutsche Medien berichten. Tatsache ist allerdings, dass die Sicherheitsstrukturen auf der Halbinsel Krim-Tataren verfolgen, die öffentlich gegen die Vereinigung mit Russland protestieren. Es gibt Verhaftungen und Gerichtsprozesse, und es gibt auch Verhaftungen von Mitgliedern verbotener, islamistischer Organisationen auf der Krim, wie Hizb ut-Tahrir. Der überwiegende Teil der Krim-Tataren mischt sich jedoch nicht in Politik ein.

In Lugansk und Donezk ist das Bild widersprüchlich. Der Autor dieser Zeilen hat im Februar 2017 im Zentrum von Donezk mit fremden Menschen auf der Straße Interviews geführt, wo teilweise auch eine Distanz zu den offiziellen Machtstrukturen herauszuhören war. Doch fast alle Menschen in der "Volksrepublik Donezk" fühlen sich als Opfer einer Aggression durch die ukrainische Armee und machen für die Zerstörung von Wohnhäusern Präsident Petro Poroschenko persönlich verantwortlich.

Die großen deutschen Medien berichten nicht mehr aus den "Volksrepubliken". Das hindert einige Journalisten aber nicht daran, über die "Volksrepubliken" die wüstesten Behauptungen aufzustellen. So behauptete die Journalistin des Deutschlandfunk, Sabine Adler, im Mai 2016, es gäbe in den "Volksrepubliken" Donezk und Lugansk 79 "Foltergefängnisse". Die Sprecherin für Osteuropapolitik der Grünen, Marieluise Beck, forderte, "Folter durch Separatisten" in der Ost-Ukraine international aufzuklären.

Die Journalistin Adler berief sich in ihrem Bericht über Folter in den "Volksrepubliken" auf einen bereits 2015 veröffentlichten Bericht ukrainischer Menschenrechtsorganisationen. Mit Sicherheit könne gesagt werden, dass im Sommer 2015 4.000 Menschen "in Geiselhaft" waren, zitiert Adler eine ukrainische Menschenrechtlerin.

Im Juli 2017 behauptet Sabine Adler unter der reißerischen Überschrift "Gulags mit Moskaus Billigung" von einem "Netz von Zwangsarbeiterlagern" im "besetzten Donbass". Die Journalistin behauptete, es gäbe in den "Volksrepubliken" 10.000 Zwangsarbeiter. Als einzige Quelle für diese Behauptung nennt sie einen Pawel Lisjanski, der die "Ostukrainische Menschenrechtsgruppe" leitet.

Einen Beweis für ihre Behauptung, dass es sich bei den angeblich tausenden Inhaftierten nicht um Gefängnisinsassen, sondern um Zwangsarbeiter handelt, die eigentlich schon lange hätten freigelassen werden müssen, bringt die Journalistin nicht. Adler hat weder offizielle Stellen in den "Volksrepubliken" noch in Moskau zu den angeblichen Zwangsarbeitern befragt, zumindest ist davon in ihren Texten nichts vermerkt. Die Auskünfte der "Ostukrainischen Menschenrechtsgruppe", einem nach Kiew übergesiedelten ehemaligen Häftling aus Lugansk und einem Häftling, den die Journalistin über Handy interviewt, scheinen für Adler ausreichend Beweis zu sein.

Folter in den "Volksrepubliken" gab es wohl schon. Allerdings war das eine Randerscheinung, die mit dem unorganisierten, spontanen Widerstand gegen die Anti-Terror-Operation der ukrainischen Armee 2014 zu tun hatte. Zumindest ein Kellergefängnis in der Maschinenbau-Universität von Lugansk, wo auch gefoltert wurde, ist aus dem Jahre 2014 bekannt. Dieser Fall von Folter wurde aber von den Medien in Lugansk im Januar 2015 öffentlich gemacht. Nachdem man 2015 in Lugansk und Donezk mit dem Aufbau zentral geleiteter offizieller Militärstrukturen begann, wurden keine Foltervorwürfe mehr bekannt.

Es gibt auch in den "Volksrepubliken" Fälle von Journalisten, die Probleme bekommen, weil sie gegen die neue Macht auftreten. Unterdrückung von Andersdenkenden sind in den "Volksrepubliken" aber eine Randerscheinung. In der Ukraine dagegen sind von der Gewalt des Rechten Sektors und der Freiwilligen-Bataillone sowie den Repression der staatlichen Sicherheitsorgane Millionen Menschen bedroht. Jeder der öffentlich eine Russland-freundliche Gesinnung zeigt, muss mit Repressalien und auch Gewalt rechnen.

Was kann der Westen tun?

Die ukrainische Führung steht im Land stark unter Druck. Präsident Poroschenko und seine Umgebung sind durch ihre angehäuften Reichtümer, ihre Offshore-Konten und die Korruption in Verruf gekommen. Die Anti-Korruptions-Maßnahmen staatlicher Stellen laufen zum großen Teil ins Leere. Die Popularitätsrate der beiden bekanntesten Politiker, Petro Poroschenko und Julia Timoschenko, liegen bei nur 15 bis 20 Prozent.

Von den USA gelenkte Politiker - wie Michail Saakaschwili - versuchen die Empörung in für Poroschenko ungefährliche Bahnen zu lenken. Es werden Proteste organisiert, die aber nicht mehr auf spontaner Empörung basieren. Demonstranten und Flaggenhalter werden bezahlt, wie das ukrainische Internetportal Vesti berichtete.

Die industrielle Substanz der Ukraine geht immer mehr zurück. Der Westen nimmt sich von dem Land das, was er gebrauchen kann, vor allem billige Arbeitskräfte. Das Land verarmt. Tausende Männer buddeln in westukrainischen Wäldern illegal nach Bernstein. Eine eigenständige wirtschaftliche Entwicklung, die sich an den nationalen Interessen der Ukraine orientiert, ist nicht sichtbar.

Das Volk ist müde von Revolution und Versprechungen. Es gibt zwei Lager: Überzeugte Nationalisten und eine große Gruppe von Schweigenden, die in einem bestimmten Moment mobilisierbar wären für eine konstruktive neue Richtung in der Ukraine, wie sie etwa vom ehemaligen ukrainischen Ministerpräsidenten Nikolai Asarow vertreten wird. Möglich scheint aber auch, dass Petro Poroschenko bei einer Zuspitzung der Wirtschaftskrise im Land von Ultranationalisten und Faschisten gestürzt wird.

Der Westen könnte das Abgleiten in Nationalismus und den Dauer-Kriegszustand in der Ukraine beenden, indem er von Kiew Verhandlungen mit den Separatisten und den Stopp der Zwangsukrainisierung fordert.

Quelle: Ulrich Heyden / Telepolis

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