Donna Leon und die tiefe Erkenntnis

oder: Es kommt nicht darauf an

Die weise Frau des italienischen Kriminalromanes, die im übrigen klug genug ist, ihre Romane nicht in italienischer Sprache erscheinen zu lassen, hat ihr Statement zum Thema Fremdenfeindlichkeit und politisch korrekte Sprache bereits im Jahr 2009 abgegeben*.

Es bedurfte dazu keiner Flüchtlingskrise wie wir sie kennen, denn in Italien gab es die Krise schon viel früher. Schon seit allerhand Jahren kommen Flüchtlinge aus Afrika übers Mittelmeer und sind und bleiben, dank Dublin, auch da. Und wenn sie nicht aus Afrika kommen, dann eben als Sinti und Roma aus dem Balkan. Die Einen wie die Anderen mit keiner großen Aussicht auf Bleiberecht, aber erst einmal sind sie da, haben Papiere oder auch nicht, sind kriminell oder auch nicht, halten sich aber jedenfalls irgendwie über Wasser, denn viel ist es nicht, was der italienische Staat ihnen anzubieten hat.

Man hat sich in Italien bis zu einem gewissen Grad abgefunden, schon 2009.

Donna Leon lässt ihren Commissario Brunetti im Fall eines toten Mädchens ermitteln, während sein Chef, Vice Questor Patta, gerade von einem Lehrgang über korrekten sprachlichen Umgang mit Minderheiten zurück gekehrt, Schulungen und letztlich eine Prüfung zum Thema anordnet.

Die Ermittlungen führen Brunetti in ein Zigeuner-Camp**, dessen Bewohner sich ihm wie eine schweigende Wand entgegen stellen. Unter welchen Umständen das Mädchen zu Tode kam, offenbart sich nur sehr zögerlich.

Auf dem Weg dahin werden jedoch viele Vorurteile offenbar. Immer wieder klingt an, dass das Mädchen ja "nur eine Zigeunerin" gewesen sei, was Brunetti entsetzt. Für ihn ist ein Kind ein Kind, egal welcher Herkunft, für seine Mitmenschen scheint das nicht so. Letztlich, als es daran geht, bei Verwandten sehr bekannter und einflussreicher Venezianer eine Hausdurchsuchung anzuordnen, zögert der Vice Questore. Und Brunetti antwortet ihm, dass es nicht darauf ankommt, ob man das Mädchen nun eine Zigeunerin oder Roma nennt, solange man sie nicht wichtig genug findet, in ihrem Tod zu ermitteln.

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Donna Leon lässt ihren Protagonisten hier eine wichtige Botschaft aussprechen: Es ist egal, welchen Dingen wir welche Namen geben und ob wir für eine sprachliche Umerziehung traditionelle Begrifflichkeiten ändern (Der Vice Questor rügt einen Mitarbeiter für den Kauf eines Mohrenkopfes.), solange das Denken in den Köpfen sich nicht verändert. Eine korrekte Sprache kann ich lernen wie eine Fremdsprache; sie allein ändert jedoch nichts.

Solange Menschen andere Menschen wie solche einer niederen Rangordnung begreifen, solange die einen den anderen vorschreiben wollen, wie sie zu leben haben, ob sie Kinder haben dürfen und wie viele und all der Dinge mehr, solange Menschen für sich feststellen, dass man auf die der niederen Rangordnung schießen darf, weil ihr Recht auf ein menschenwürdiges Leben an den Rändern von Europa endet, solange ist es nicht weit her mit allem, was da an Anstrengungen zur sprachlichen Befriedung veranstaltet wird.

Der Mensch hat seine Gedanken noch nie ohne sprachlichen Filter ausgesprochen. Instinktiv wusste er immer, dass es geschickter ist, manche Dinge nicht mit aller Deutlichkeit laut zu sagen. Fügen wir unserer Sprache neben vielen schon bestehenden Hemmschwellen noch eine weitere hinzu, ändert diese weder das Denken und Handeln, noch die Menschen selbst.

Die politische Korrektheit lässt die Menschen allenfalls(!) vorsichtiger werden in dem, was sie aussprechen; sie verinnerlicht aber kein neues Denken. Insoweit ist das Beharren auf allerlei Neusprech nichts anderes als eine weitere Regel, der wir uns zu beugen haben, ohne den Sinn wirklich zu übernehmen. Letztlich: Haben die Deutschen nicht schon einmal neue Sprachregeln übernommen (Sprache des Dritten Reiches) und sie hernach problemlos wieder abgelegt, immer begleitet von der wohlfeilen Behauptung "Wir konnten ja nicht anders."?

Ich weiß nicht, wie feindselig ein Neger oder Zigeuner es findet, wenn er so angesprochen wird. Aber ich weiß, dass beide Personengruppen es als höchst feindselig empfinden, wenn man auf sie schießt oder sie immer wieder weg schickt.

Nur darauf kommt es doch an.

*Das Mädchen seiner Träume

** Zu diesem Zeitpunkt weiß Brunetti noch nicht, dass es sich um Roma handelt.

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