Mit nicht mal zwanzig hatte ich meine erste Wohnung, die eigentlich nicht meine war, sondern die des Mannes, der meiner war und den ich hatte heiraten müssen, um mit einziehen zu können. So wollte es der Vermieter und unsere Eltern auch. Wir wollten das eigentlich nicht, aber wenn das der einzige Weg war, die Wohnung zu kriegen ...

Denn wir wollten weg von zu Hause, beide, und das Kind kam sowieso.

Kurze Zeit später war der Mann weg und die Wohnung gehörte mir und dem Kind. Wir hatten nun einen neuen Freundes- und Bekanntenkreis, der sich glücklich schätzte, jemanden mit einer eigenen Wohnung zu kennen. Da konnte man hingehen, wenn das Herz voll und die Geldbörse leer waren, und immer gab es Tee, den wir literweise tranken, und Leberwurstbrote mit sauren Gurken. Und da bei Tee und Leberwurstbroten zu sitzen und mit dem Kind zu spielen und mit den Großen zu reden, war immer noch besser, als nur mit dem Kind zu spielen, das zwar bald sprechen, mit dem man aber nicht reden konnte.

Manchmal feierten wir Feste, die wir nicht Feste nannten, sondern Feten, und die keinen Anlass brauchten. Bestenfalls den, dass man das Glück gehabt hatte, ein paar Flaschen Wein aus richtigen Trauben für ein Spottgeld aufzutreiben. Da gab es Gulaschsuppe, die ich am Tag zuvor in mehreren großen Töpfen angesetzt hatte. In der drängelten sich die Fleischbrocken nur so. Und jeder, der an solchen Abenden die Wohnung betrat, hob gleich die Nase und beteuerte, wie gut es da rieche.

Zusammen gedrängt in dem zwölf Quadratmeter großen Wohnzimmer saßen wir und kriegten rote Wangen von dem Wein, der so schlecht gar nicht schmeckte, löffelten die Gulaschsuppe und freuten uns über die Wärme des Kachelofens, in dem nun die Kohlen glühten, die die Jungs zuvor aus dem Keller geholt hatten. Wir hörten dem Gesang von E. zu, der seine Gitarre mitgebracht hatte, und fanden dessen Faible für mittelalterliche Minnegesänge sehr schön.

Wir sprachen albernes und wichtig sein sollendes Zeugs und manchmal gingen wir in die Küche, rührten die Gulaschsuppe um, ehe sie viel zu schnell alle wurde, redeten weiter albernes und wichtig sein sollenden Zeug und schafften es sogar, eine halbe Stunde lang zu flüstern und zu kichern bis das Kind eingeschlafen war, das dann -einmal eingeschlafen - der Weltuntergang nicht hätte wecken können.

Irgendwann in der Nacht legten wir uns schlafen. Kein Mensch wäre auf die Idee gekommen, mitten im Winter und um diese Zeit jemanden weg zu schicken. Wir lagen zu dritt auf der Couch im Wohnzimmer, auf dem Sessel, dem Boden, einer Matratze in der Küche. Überall halt, wo sich ein mannsgroßes Stückchen Platz auftreiben ließ. Wir lachten albern, wenn wir uns beim Rumdrehen berührten oder der Erste zu Schnarchen anfing. Und morgens gab es eine Warteschlange am Klo, das nebenan auf dem Wäscheboden in einem Bretterverschlag war.

Zum Frühstück tranken wir Tee und aßen Brötchen von gestern mit Marmelade drauf. Dazu dröhnte der Plattenspieler in Straßenlautstärke "Baby, du bist wie Dynamit!".

Wir waren ohne Band mit Mischpult und kalt-warmes Büffet auf eine Art glücklich, wie wir es im Leben nur wenige Male noch sein würden. Und wir ahnten noch nichts von Robert Steinhäuser, dem zwanzig Jahre später diese Wohnung gehören würde, ehe er schwer bewaffnet in seine Schule ging und diese nicht mehr lebend verließ.

Wir fühlten uns so anders als unsere Eltern oder die anderen "richtig Erwachsenen" und wir meinten, dies müsse der Beginn einer neuen Zeit sein. Denn wir liebten uns alle und würden zweifellos die Probleme der Welt in Angriff nehmen und auch lösen.

Wir waren so alt wie Merkel, Scholz und ein paar andere.

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Globetrotter

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Silvia Jelincic

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