„Kinder unerwünscht“: Sündenfall oder Marktlücke

Eine Südtiroler Hotelgruppe erklärt ihr Thermenhotel in Bad Waltersdorf zur „kinderfreien Zone“ - und reflexartig wird geharnischte Kritik angekündigt und erwartet. Aber: Wieso eigentlich?

„Rechnen Sie mit Kritik.“ Der Kollege von der regionalen Zeitung wartete gar nicht auf den Beginn der Pressekonferenz: Er verkündete sein zu erwartendes Verdikt schon beim Eintreffen. „Rechnen Sie mit Kritik“ war - quasi - seine Begrüßung. Dann setzte er sich in die erste Reihe im Auditorium. Aufrecht. Mit kämpferisch-ernster Miene: Bereit, jede Kritik auf seine angekündigte Kritik zu parieren. Nur: Da kam nix. Und der Kollege von der regionalen Zeitung zog - nach abgesessener Pressekonferenz und geleertem Buffet - mit beinahe gekränkter Miene ab.

Ich war gespannt: Wie geharnischt würde die Kritik wohl ausfallen? Ein grober Verriss? Ein polemisches Vorführen? Eine atomisierende Vernichtung? Also die Haudrauf-Abteilung. Oder doch schlauer Diskurs, luzide Debatte, fesselnde Diskussion? Aber vor allem fragte ich mich: Was würde der Kollege eigentlich schreiben? Was genau kritisieren? So platt, die erste Hookline reflexartig aufzunehmen und nicht tiefer zu gehen würde er ja wohl nicht sein. Oder? Oder.

Denn sowohl ich als auch all jene Kollegen und Kolleginnen, mit denen ich vorher, währenddessen und nachher sprach, waren nämlich ein bisserl ratlos, was das echte Kontroversepotential des Themas betraf: Die Falkensteiner-Gruppe hatte in ihr Resort nach Bad Waltersdorf geladen, um ebendort zu verkünden, dass man sich hier und ab jetzt als „kinderfreies“ Hotel deklariere.

„Sauerei!“ könnte man jetzt sagen - aber nur, wenn man an dieser Stelle aufhört zu lesen.

Die Südtiroler Hoteliers hören aber nach diesem einen Satz nicht auf, sondern erklären: Es sei mitnichten so, dass man irgendetwas gegen Menschen habe, die jünger als 16 Jahre sind. Das beweise nicht zuletzt das sonstige Portfolio der Kette. Aber gerade im Thermen-Umfeld gäbe es da einen Bedarf. Sowohl bei Menschen und Paar mit als auch bei solchen ohne Kinder. Und ebenso, wie es auf die Bedürfnisse und Vorlieben von „Kind-Betreibern“ spezialisierte Betriebe gäbe (auch im eigenen Konzern), gäbe es eben auch Hotels, in denen man in Wellness-, Restaurant- und Badebereichen von Kinderlärm und Kindergehopse, dem unumstritten schönsten und fröhlichsten Getöse der Welt verschont bleiben wolle. Und werde.

Ich selbst habe keine Kinder. Leider. Das hat sich so ergeben. Ich weiß, dass ich etwas ganz Zentrales versäume, brauche und verlange aber kein Mitleid: Es ist eben so. Punkt.

Ob mich Kinderlachen und Kinderlärm begeistern oder stören, ist absolut situationsabhängig. Mein Privileg: Ich kann es mir aussuchen. Genau darum beneiden mich auch die überzeugtesten und begeistertesten Eltern in meinem Freundes-, Verwandten- und Bekanntenkreis. Egal, ob sie ein, zwei oder fünf Sprösslinge haben: Keiner von ihnen käme auf die Idee, je wieder ohne Kinder leben zu wollen - aber trotzdem geben sie ganz offen zu, dass sie sich hin und wieder eine Auszeit wünschen. Eine Standby-Taste. Eine kurze Pause. Auch, weil sie dann - nach einem, spätestens zwei Tagen - wieder umso glücklicher … und so weiter.

Derlei, sagen sie, könne man heute auch sagen. Offen. Ehrlich. laut und deutlich: Die Zeiten, in denen man als Rabenmutter oder -vater durch die öffentlich-private Empörungsmangel gedreht worden sei, wenn nur der Anflug eines Schattens über die sozial erwünschte „Kindersindmeineinundallesundichbinsogarglücklichwennsieinderubahndurchfallkriegen“-Miene huschte, sind vorbei. Es sei längst akzeptiert, dass es Zwischentöne und Nuancen gibt. Ovids binäres „odi et amo“ gilt im Umgang mit Kindern nicht. Und das ist gut so.

Genau deshalb stoßen Hotelketten wie Falkensteiner & Co mit „No-Kids“-Angeboten ja auch auf den Markt: Ohne neben dem Bedarf auch die Aktzeptanz abzutesten, tut man sowas nicht. Die Familienhotel-Kette aus Südtirol ist ja auch nicht die erste Marke, die sich so positioniert. Sie behauptet es auch gar nicht.

All das im Kopf wartete ich also gespannt auf die stolz und streitlustig angekündgte „Kritik“ des Kollegen des regionalen Blattes - und wurde enttäuscht. Denn mehr als „die Öffentlichkeit ist aufgewühlt“ kam nämlich nicht: Das da war eine Pressemeldungs-Vollzugsmeldung plus drei oder vier relativierende Adjektiva.

Schade eigentlich - auch für die Hoteliers: Mit einer medialen Kontroverse, fundierter Kritik oder sogar einem - zivilisiert, fair und auf Augenhöhe ausgefochtenen - Streit bleibt man nämlich deutlicher, nachhaltiger und länger im Bewusstsein des Publikums, als mit einer schlichten „jetzt neu bei uns“-Meldung: Agendasetting nennt man das. Erst recht, wenn das Thema tatsächlich fast jeden betrifft - und man auf sich so nicht nur die auf die Suche nach eine Hotel, sondern nach dem eigenen Standpunkt in einer Debatte machen kann.

Das wäre die wirklich spannende Frage gewesen: Die nach der Heilig- oder Scheinheiligkeit des Satzes, das Kinder „nie stören“. Und dem Blick in den Spiegel. Aber weil der Kollege von der Regionalzeitung sich nicht dazu durchringen konnte, stelle eben ich sie jetzt. Und hier.

3
Ich mag doch keine Fische vergeben
Meine Bewertung zurückziehen
Du hast None Fische vergeben
6 von 6 Fischen

bewertete diesen Eintrag

Claudia Braunstein

Claudia Braunstein bewertete diesen Eintrag 14.12.2015 23:17:16

irmi

irmi bewertete diesen Eintrag 14.12.2015 23:17:16

fischundfleisch

fischundfleisch bewertete diesen Eintrag 14.12.2015 23:17:16

2 Kommentare

Mehr von Thomas Rottenberg