Wenn einer, der vom digitalen Mob gelesen werden will, folgendes schreibt: „Machen wir uns nichts vor, die Zustände im Lager Moria waren entsetzlich (…), niemand verdient, dort für immer oder überhaupt festzusitzen“, dann weiß man, dass auf dieses matte „zwar“ ein um so stärkeres „aber“ folgen muss: „Doch solange die deutsche Politik den Eindruck erweckt, für jedes Elend dieser Welt immer und bedingungslos ein warmes Plätzchen bereit zu haben, solange wird der Druck nicht nachlassen und immer wieder wird es irgendwo irgendein Moria geben, mit dem die Bevölkerung moralisch erpresst werden kann.“ Nun könnte man einwenden, dass ein Land, welches einen Blogger erträgt wie den hier zitierten, der allen Ernstes meint, das Elend dieser Welt sei nur dazu da, Deutsche „moralisch zu erpressen“, noch ganz andere Sachen aushält, es sollte dieser Unfug aber Anlass sein, sich zu fragen, warum es sich eine der reichsten Regionen der Welt scheinbar nicht leisten kann, „entsetzliche Zustände“ auf eine humane Art und Weise zu beenden.

Ist es nur, weil man die armen Schweine, die es irgendwie an den Rand von Europa geschafft haben, mit aller Brutalität noch einmal daran erinnern möchte, dass sie zu den überflüssigen Menschen zählen, welche die weltweit dominierende Art des Wirtschaftens in immer größerer Zahl produziert? Das ist zwar ohne Zweifel der Fall, um so unverständlicher ist aber, dass die bürgerlichen Empörten immer von einer „Schande für Europa“ sprechen, obwohl Europa doch als eines der Zentren der kapitalistischen Welt das Elend in anderen Regionen maßgeblich zu verantworten hat.

Moria soll aber nicht nur nach außen abschrecken, sondern den Menschen innerhalb Europas deutlich vor Augen führen, wie grausam mit denen verfahren wird, die als Verlierer abgestempelt werden. Die Botschaft ist klar: Da es nur ein schmaler Grat ist zwischen sozialer Absicherung und einem Leben im überfüllten Lager, sollen alle, die den sozialen Abstieg fürchten müssen, klaglos hinnehmen, dass der gesellschaftliche Reichtum ungleich verteilt wird. Moria zeigt jedem, wozu die Herrschenden in der Lage sind.

Aber auch dazu dient Moria: Dass die Verlierer innerhalb und außerhalb Europas gegeneinander aufgehetzt werden, wie es exemplarisch eine Bloggerin der „Achse des Guten“ vormacht. Sie sperrt sich gegen „den moralischen Zeigefinger gegenüber des Teils der Bevölkerung (sic!) (...), der den ganzen Laden hier mit seinen Steuergeldern am Laufen hält und vielleicht eines Tages auch gerne selbst einmal etwas davon hätte, statt es immer an alle anderen verteilen zu müssen.“ Es ist die bekannte Lüge, welche die Angst vor der Verarmung mit der Ankunft Geflüchteter verknüpft. Die Wahrheit, dass die Reallöhne seit 1990 und nicht erst seit 2015 sinken, ist dem mittelalten männlichen Mittelstand entweder unangenehm oder nicht zuzumuten.

Moria liegt nicht am Rand Europas, sondern in seiner Mitte.

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Theodor Rieh

Theodor Rieh bewertete diesen Eintrag 14.09.2020 02:26:26

rahab

rahab bewertete diesen Eintrag 13.09.2020 10:42:08

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