Er „habe lange mit“ sich "gerungen", aber er müsse „leider feststellen, dass in der SPD allgemein und in der Münchner (…) im Besonderen eine Entfremdung (…) gerade auch für bürgerliche Schichten“ zu spüren sei, obwohl früher doch alles anders gewesen sei: „Früher setzte sich die Münchner SPD selbstverständlich für Handwerker, Gewerbetreibende und Gastronomen ein. (…) Früher fühlten sich Trachtler, Schützen und Jäger, Eigenheimer und Schrebergärtner noch wohl in der SPD.“ So war‘s früher. Und heute? „Heute erfahren Sie (sic!) Hohn, Spott und Ablehnung.“ Und nicht nur das: „Heute feiert man stolz, dass sie (…) die Parkgebühren um mehrere 100% verteuert hat.“ Das kann nicht gutgehen: Den „Versuch, kleinsten Minderheiten nachzueifern, statt Mehrheiten“ – Gewerbetreibende und Gastronomen – anzustreben, eben die „riesige Mehrheit aller Menschen, die täglich ihrem Beruf nachgehen“, alle, die „befremdet, dass (…) Gender-Beauftragte für Kitas das Wichtigste sein sollen“, während „Menschen, die es durch jahrzehntelange Anstrengung zu Wohneigentum in München gebracht haben , nun als Millionäre diffamiert“ werden, „da gerade in München Wohnungen, aber auch kleinere Häuser (…) schnell die Millionengrenze überschreiten“, findet der Herr Post eher nicht gut. Doch „eine linke Ideologie innerhalb der SPD“, dieser „linken Juso-Truppe“, „verbietet (…) eine pragmatische Lösung dieses Problems.“

Doch bevor man noch darüber nachdenken kann, wie schön eine „pragmatische Lösung“ des Problems steigender Mieten sich gestalten könnte (Enteignung der Immobilienkonzerne?), erklärt Florian Post, bald ehemals SPD, dass die „Arbeiterpartei (…) SPD für Menschen mit gewöhnlichen Alltagssorgen“ – also nicht nur Gastronomen und Gewerbetreibende, sondern auch bürgerliche Schichten und zu Unrecht als Millionäre Diffamierte – „keine wählbare Partei mehr“ sei und er „persönlich in einer solchen Partei auch kein Mitglied mehr sein“ könne.

Und so sagt er in seinem Brief der Partei, die ihn in den Bundestag gebracht hat, Lebewohl und verabschiedet sich damit vom Projekt, den demokratischen Sozialismus auch in Deutschland einzuführen (doch, doch, das steht so im SPD-Parteiprogramm), weil ihm diese Partei „zu links, zu grün, zu woke“ (bild.de) vorkommt. Eigentlich schade, dass davon seit ca. 1914 nichts mehr stimmt.

Es wäre aber kaum zu verkraften, wenn dieser Politiker nicht nur aus der SPD, sondern auch aus der Öffentlichkeit verschwände. Zum einen bleibt dem „SPD-Rebellen“ (focus online) noch seine Kolumne auf „focus online“ mit dem etwas irreführenden Titel „links & frei“, zum anderen steht ihm auch noch der Textkanal „Twitter“ zur Verfügung. Eine Woche nach seinem Parteiaustritt zitierte er dort zustimmend den deutschnationalen Schlagersänger Kunze, der von sich behauptete, ihm werde übel, sobald er gegenderte Sprache höre. Zudem halte er Gendern „für eine Form von Tollwut“, also für eine Infektionskrankheit, die von Tieren auf Menschen überträgt wird.

Nun mag man sich fragen, ob deutsche Geistesries*innen wie Post oder Kunze nicht auch andere Sorgen haben sollten, die Anheizung der Affekte gehört aber zu einer sehr deutschen Art der Krisenbewältigung, in der die Affirmation rechter Parolen als Rebellentum verkauft wird. Dazu gesellt sich eine Attitüde, die vorgibt, man verteidige die letzten Bastionen der Vernunft, weswegen Post in einem weiteren (man verzeihe den Kalauer) Post gegen „dieses woke Gesindel“ schimpft, das „uns (wer immer das sein mag, TS) vorschreiben“ wolle, „wie wir zu leben, zu sprechen, zu schreiben“ hätten. Der Anlass ist banal, es geht um ein Cafè in Ingolstadt, das wegen seines Namens („Mohrenkopf“) in den sozialen Medien beschimpft wird, zumindest behauptet das die für ihre intensiven Recherchen bekannte Bild-Zeitung, die damit dem ehemaligen Sozialisten Post eine Gelegenheit zum öffentlich wirksamen Schimpfen in den sozialen Medien liefert. Der schreckt mittlerweile auch vor latenten Drohungen nicht zurück und kommentiert einen weiteren Bericht der Bild (liest der Mann nichts anderes?) über ein ihm zu milde erscheinendes Urteil gegen Angehörige der „Letzten Generation“ mit der Bemerkung, er hoffe „diesen Typen (…) mal im Straßenverkehr“ zu begegnen. Hier wird einmal mehr deutlich, dass es der momentan marginalisierten AfD gelingt, ihre Positionen im „Kulturkampf“ um Gendern etc. auch außerhalb der Partei, i.e.: bis zum rechten Rand der Sozialdemokratie zu etablieren. Ob an der These vom Sozialfaschismus doch etwas dran sein sollte?

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Preusse

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Aron Sperber

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