Es ist schon ein merkwürdig Ding mit den zwischenmenschlichen Beziehungen. Sie sind einem Wandel unterworfen, der zuweilen rasant ist und einen ratlos zurück lässt. Was eben noch allgemein akzeptiert, ist nun obsolet, was eben noch gestrig, ist plötzlich wieder in.

Nehmen wir die Ehe. Eigentlich war sie doch längst tot. Wer traute sich denn noch, im wahrsten Sinne des Wortes. Die Ehe galt bis vor kurzem als Inbegriff der Spießigkeit. Ehemann, Ehefrau? Oh Gott, wie rückständig! Patchwork war angesagt. Heiraten machte nur Sinn, um sich wieder scheiden zu lassen und dann phasenweise mit diesem und später jenem und womöglich dessen Kindern aus vorherigen Ehen oder Beziehungen zusammen zu leben und sich gegenseitig zu versichern, wie gut es einem dabei gehe und vor allem den Kindern und dass man alles im Griff habe, insbesondere das eigene Leben.

Heute ist die Ehe wieder in. Es gibt scheinbar nichts Wichtigeres, nicht Erstrebenswerteres, nichts Moderneres – jedenfalls wenn es um die Homo-Ehe geht. Jeder will sie, vor allem Kanzlerin Merkel, nachdem sie – wieder einmal – eine 180°-Grad-Wende vollzogen und in typisch merkelscher geschliffener Rede eine Grundposition von CDU/CSU entsorgt hat. Der letzte Grundsatz der Union ist nunmehr die absolute Beliebigkeit, zu der stehen Merkel & Co aber umso fester.

Doch zurück zur Homo-Ehe. Welcher moderne, aufgeklärte Mensch könnte etwas gegen sie haben? Und so hört man denn auch oft das Argument, dass es in Artikel 6 des Grundgesetzes zwar heißt „Ehe und Familien stehen unter dem besonderen Schutz der staatlichen Ordnung.“ Aber da stünde schließlich nichts davon, dass damit nur die Ehe von Mann und Frau gemeint sei.

Stimmt. Dies kann jedoch nur behaupten, wer in Geschichte und Politik schon immer eher unterbelichtet war. Denn es wird dabei vergessen, dass zur Zeit der Entstehung des Grundgesetzes Ehe gar nicht anders denkbar war als eine Ehe von Mann und Frau. Denn nur aus der Beziehung von Mann und Frau gehen Kinder hervor, die das Fortbestehen der Gesellschaft und des menschlichen Lebens ermöglichen. Trotz größter Anstrengungen ist ein solches Unterfangen bei gleichgeschlechtlichen Beziehungen jedenfalls bislang von keinem Erfolg gekrönt gewesen. Und was nicht vergessen werden sollte, Homosexualität (unter Männern) war damals in Deutschland noch strafbar. Auch aus diesem Grund konnte Artikel 6 des Grundgesetzes nur die Ehe von Mann und Frau meinen. Erst 1994 wurde der Homo-Paragraph 175 aus dem Strafgesetzbuch gestrichen. In Russland übrigens bereits ein Jahr früher, 1993. Das verdrängen wir heute nur zu gern, wenn wir andere Länder darüber belehren, was sie zu tun oder zu lassen haben.

Wie dem auch sei. Es ist mit ziemlicher Sicherheit davon auszugehen, dass der Bundestag an diesem Freitag mit großer Mehrheit die Homo-Ehe oder wie es jetzt korrekt heißt, die „Ehe für alle“ beschließen wird. Man will ja am Puls der Zeit sein und auf der Seite des Fortschritts stehen. Das ist nachzuvollziehen. Im übrigen erscheint der Begriff „Ehe für alle“ auch sehr viel besser und zukunftsfester als „Homo-Ehe“. Wir sollten nicht vergessen, die Entwicklung bleibt nicht stehen. Stillstand können wir uns nicht leisten, auch nicht in der Modernisierung der zwischenmenschlichen Beziehungen und ganz konkret der Ehe.

Denken wir nur einmal an das nicht seltene Problem, dass Mann sich zwischen zwei Frauen entscheiden muss. Dabei mag er doch beide sehr. Das Gleiche gilt natürlich auch für Frauen, denen es schwer fällt, sich zwischen zwei Männern zu entscheiden. Ist hier nicht die „Ehe für alle“ geradezu programmatisch? Wo steht denn, dass „alle“ immer nur zwei sein müssen? Das ist doch nun wirklich eine völlig gestrige Vorstellung. Wir müssen den Ehebegriff also weiter modernisieren. Die Ménage à trois muss endlich Ehestatus erhalten, egal ob zwei Männer und eine Frau oder zwei Frauen und ein Mann oder drei Frauen oder drei Männer oder was und wie viel auch immer. Die „Ehe für alle (viele)“ ist schließlich für alle da. Abgesehen davon, würde dies nicht auch die Integration der zahlreichen zugewanderten Schutzsuchenden erleichtern? Da würden wir uns doch mal ein Stück auf die zu bewegen. Wenn wir nur genügend die Werbetrommel dafür rühren, wird die Kanzlerin sich diesen Argumenten sehr schnell öffnen und sie unterstützen.

Denken wir aber auch an die alte Dame, die ihr Hündchen abgöttisch liebt. Mehr, als sie ihren Ex-Gatten je geliebt hat, der, Gott sei Dank, kürzlich das Zeitliche gesegnet hat. Wäre es ihr nicht zu gönnen, wenn sie mit ihrem Hündchen vor den Traualtar treten könnte? Natürlich wäre das nur eine platonische, dafür aber umso tiefere Liebe und rein platonisch sind viele normale Ehen schließlich auch, vor allem im fortgeschrittenen Stadium. Hätte man der alten Dame damit an ihrem Lebensende nicht eine große Freude gemacht? Und wem wäre mit einer solchen, eher symbolischen, Ehe denn geschadet? Die „Eheleute“ dann später gemeinsam zu bestatten, müsste selbstverständlich ebenfalls erlaubt sein. Ich denke, es sollte nicht schwer sein, auch die Kirchen von diesem Unterfangen zu überzeugen. Schließlich haben sie gerade in den letzten Jahren immer wieder unter Beweis gestellt, dass sie an der Spitze des Fortschritts stehen. Das sollte auch für die „Ehe für alle (Tiere)“ gelten.

Und da ist die ebenso reine wie unschuldige, aber dennoch immer noch geächtete Geschwisterliebe. Heißt „Ehe für alle“ nicht aber letztlich, dass auch Brüderlein und Schwesterlein die Heirat gestattet sein müsste? Statt dessen wird aber Beischlaf unter engen Verwandten in Deutschland noch immer unter Strafe gestellt (§ 173 StGB). Und das obwohl rührende Beispiele tiefer Geschwisterliebe uns eines Besseren belehren müssten. Doch ich habe gute Hoffnung, immerhin haben sowohl die grüne Jugend wie der Deutsche Ethikrat bereits ein Ende des Inzestparagraphen gefordert. Da sollte es bis zur „Ehe für alle (Verwandten)“ nicht mehr weit sein.

Auch ein heikles Thema soll hier nicht ausgespart werden, die „Ehe für alle“ als „Ehe für Minderjährige“. Gerade die vielen noch nicht so lange hier Wohnenden haben das Thema wieder auf’s Tapet gebracht. Während die Parteien bei der „Ehe für alle (Homosexuellen)“ sich sehr modern gezeigt haben, bekamen die minderjährigen Zugewanderten kein Recht auf „Ehe für alle (Minderjährigen)“ zugesprochen. Hier greift der Rechtsstaat statt dessen mit brachialer Gewalt - "Bekämpfung von Kinderehen" - ein, ganz so, wie man es sonst nur von autoritären Regimes kennt und zerschlägt diese Ehen. Hinsichtlich der „Ehe für alle (Minderjährigen)“ gibt es momentan für eine grundlegende Ehereform ganz offensichtlich die größten Hürden zu überwinden – und das obwohl die Grünen in den achtziger Jahren hier schon einmal sehr viel weiter waren. Ja, auch der Fortschritt muss gelegentlich Rückschläge hinnehmen.

Zum Schluss noch eine Bemerkung zur Klarstellung: Nicht jeder Zeitgenosse weiß Satire richtig zu deuten, was – zugegeben - in der Gegenwart auch immer schwieriger wird. Deshalb sei die Bemerkung erlaubt, dass vorstehende Zeilen durchaus satirisch zu verstehen sind. Doch das muss nicht für immer gelten. Die Zeit lehrt uns, dass manche Satire der Vergangenheit heute akzeptierte Realität ist. Insofern bitte ich, mich in nicht allzu ferner Zukunft als einen der Wegbereiter der wirklich allumfassenden, diesen Namen verdienenden „Ehe für alle(s)“ zu verstehen und zu verehren.

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