Etwas passiert.(Oder: "Nur ein sehr persönliches Gefühl")

Ich komme mir dieser Tage - und auch schon davor - sonderbar vor. Es ist ein greifbares Gefühl, eine Unruhe darüber, dass etwas nicht zu stimmen scheint. Zeitweise glaube ich, paranoid zu werden. Noch stehe ich allerdings nicht auf Holzkisten im Park und rufe aus, dass wir alle untergehen. Was mich noch abhält, mich selbst für verrückt zu erklären ist, dass andere mein Gefühl zu teilen scheinen. Hibbeler spricht hier auf "F&F" von einem verlorenen Gefühl der Sicherheit, Davinci redet vom Untergang des Zeitalters der Vernunft. Ein in ganz Europa tätiger Freund spricht davon, ein Gefühl der Unbesorgtheit, das er nach seiner Rückkehr aus dem Ausland stets schätzte, verloren zu haben.

Was passiert gerade in Deutschland ? Ich bin aus tiefster Überzeugung ein Mensch des Verstandes und ich stehe dazu. Ich will die Dinge sehen und verstehen. Was ich nicht sehe oder verstehe, will ich nicht glauben. Nur, wer nicht weiß, muss glauben und ich will nicht "müssen".

Vor ein paar Monaten, nachdem im September 2015 (also vor rund 10 Monaten) die Grenzen geöffnet worden waren, sah ich in der überfülllten Bahn eine ältere Dame, die umgeben von offensichtlich neu zugereisten Flüchtlingen fast in Panik geriet. Die Dinge waren ihr ganz offensichtlich allzu fremd. Sie war sichtlich irritiert und suchte nach Vertrautem. Ich schob das damals noch auf ihr hohes Alter – sie würde ja noch lernen. Die Begrüßungsorgien an den deutschen Bahnhöfen befremdeten mich zwar auch damals schon sehr, auch die aufkommende Mode, eine syrische Familie bei sich aufnehmen zu wollen. Köln und alles andere war aber noch Zukunft.

Würde man mir heute einen Spiegel vorhalten, würde ich wohl inzwischen das eine oder andere mal genauso schauen, wie seinerzeit die alte Frau im Zug. Was passiert?

"Im Großen" werden Menschen mitten in Europa mörderisch von einem LKW überrollt, Reisende in Deutschlands Provinz von einem jugendlichen Flüchtling mit der Axt angegriffen, ein syrischer Flüchtling will in Bayern anläßlich eines Freiluftkonzertes eine Splitterbombe zünden. Man erklärt uns wissend: Es handele sich bei ihm wie auch dem "Deutsch-Syrer" aus München um eine geistig-verstörte Einzelperson, deren Integration leider (noch) nicht gelungen sei. Außerdam handelte es sich ohnehin um einen Nazi. In der Türkei legen sich Menschen unter Panzerketten verzweifelter Putschisten und rufen dabei "Allah ist groß". Und bei alldem spreche ich allein von den letzten beiden Wochen! Aber der Eiffelturm war wieder wunderbar bunt beleuchtet. Nur leider macht all dieser social-media-Firlefanz die Toten nicht wieder lebendig. Aber die Menschen lieben es, selbst wenn es die wirklichen Angehörigen nicht trösten dürfte. Immerhin zeigt die Politik, was sie bewegen kann.

Abseits der Terroranschläge bzw. Amokläufe (wobei letzteres offenbar politisch deutlich opportuner ist) ändert sich das tägliche Leben rasant: Weil ich in einem Ballungszentrum mit sehr vielen "Aufgenommenen" lebe und zudem noch immer mit offenen Augen durch die Welt gehe, nehme ich die alltäglichen und drastischen Veränderung im Straßenbild wahr. Busse und Bahnen sind mit arabisch aussehenden Menschen gefüllt und die "Einheimischen" (ist das jetzt schon rassistisch, Herr Maas ?) meiden die öffentlichen Verkehrsmittel zu bestimmten Zeiten lieber. Die Zahl der offensiv zur Schau getragenen Kopftücher, gerade auch durch junge Frauen, ist erstaunlich hoch (Erdogan und seinen Helfern sei Dank).

Geht man zufällig spätabends (und wochentags) durch die nächtlichen Strassen der Stadt (habe ich tatsächlich getan) wundert man sich, wieviele Menschen gruppenweise in dunklen Ecken oder auf den öffentlichen Bänken der Parks sitzen (ich gehe davon aus, dass Frau Merkel das schon länger nicht mehr getan haben dürfte) und durchaus eine angespannte Stimmung verbreiten. Vielerorts sieht man lustige (aber natürlich politisch korrekt gestaltete) Bildchen, die uns aufzeichnen, dass wir der Frau nicht einfach an die Brust oder in den Schritt fassen dürfen. Photos soll man nicht mehr überall machen dürfen. Nicht in Freibädern oder am Strand. Und bitte keine Rucksäche mehr tragen. Mein Serrano-Schinkenbrot für die Mittagspause wurde aus dem Programm genommen: "Wir machen jetzt nur noch Geflügel, aber drüben können Sie wohl noch eins bekommen." Ich gebe zu: Ich habe mich erschreckt, als ich vor ein paar Wochen im Rückspiegel im Auto hinter mir eine vollverschleierte Frau in Schwarz hinter dem Steuer sitzen sah. Es wehen zehntausende rot-weisse Fahnen mit Halbmond vor der Kulisse des Kölner Doms und ertönen auch dort die inzwischen allenorts bekannten "Allah ist groß Rufe". Kürzlich nachts auf der Reeperbahn fiel mir auf, wieviele "Neuzugereiste" sich auf der "großen Freiheit" zu amüsieren schienen. Und wenn sie sich gar nicht amüsieren, sondern die Sündigen bestrafen wollten? Kurz kam ein Anflug von Panik auf, in der überengen Straße.

Politisch greift die Herrschaft der Gerechtigkeit um sich. "Recht und Freiheit" können wir bei Spielen der Nationalmannschaft noch besingen, brauchen tun wir sie nicht mehr. Mit Gerechtigkeit lebt es sich viel einfacher: "Recht" ist, was nach überkommener Übereinkunft und Erfahrung als solches formal gefasst ist. Sperrige Sache. Gerechtigkeit ist das, was wir individuell fühlen und erfahren können. Tut persönlich schrecklich gut, "gut" zu sein in dem Moment, in dem man es tut, ist aber auf lange Zeit gesehen "bullshit" und zerstört die über Jahrhunderte hinweg ererbte Basis, auf der doch die gegenwärtigen und künftigen Generationen leben sollten. Aber kümmert das die social media Gemeinde, die sich an ihren hohlen Sprüchen ("Meinen Hass bekommt ihr nicht" ) und Lichterspielen berauscht ? Wer die Dinge in Frage stellt bzw. zu fragen wagt, "Was bekomme ich für das, was ich doch wohl unwiederbringlich abgeben soll?", erfährt: Das ist gelebter Humanismus oder auch Globalisierung. Und zudem können wir gar nicht anders, selbst wenn wir wollten (oder vernünftigerweise müßten). Aber soll oder will ich das glauben?

Klaus Kleber spricht im ZDF von "Zweiflern und Fremdenfeinden", Heiko Mass von gefährlichen "Hetzern" im Internet (weshalb flugs eine Zensurstiftung gegründet wird). "Emma" Leser kündigen erzürnt ihr Abo, weil Alice Schwarzer es wagte, im Nachgang der Silvesternacht Kritik an der Gesinnung arabischer Männer zu üben (Eine Rassistin eben !). Die ZDF-prämierte Dunja Hayali breitet in einem sonderbar genüßlich zelebrierten Akt der Selbstkasteiung schmerzlich die an sie gericheten Hass-Mails aus. Wer umgekehrt auf Freudenbekundungen arabischer Facebook Nutzer nach Attentaten oder die ihnen gegenüber erfolgenden Drohungen verweist, wird gesperrt. Kommentare, die die Frage stellen, warum sich so viele Verrückte auf den Islam berufen (oder doch zumindest berufen wollen) werden zensiert. Was nicht ins Konzept passt, wird gelöscht. Und weg ist das Problem.

Was ist los? In der Bahn hörte ich einmal einen Landstreicher (gibt es das schöne Wort noch?) zu einem Fahrgast, der gerade eine Wespe erschlagen wollte, sagen: "Töte nicht, was du nicht wieder lebendig machen kannst !" Unseren Politikern möchte ich zurufen: "Zerstört nicht, was ihr nicht zurückholen könnt." Das gilt jedenfalls dann, wenn für den Verlust kein Äquivalent bereit gestellt wird. Oder gibt es eins, das ich nur noch nicht verstanden habe ?

Ist aber alles nur ein Gefühl. Das Gefühl gibt es auch erst seit August/September 2015. Ist also doch noch ziemlich jung. Und vielleicht gewöhne ich mich ja daran und vergesse, wie alles begann. Ich muß nur genügend fest daran glauben: "Wir schaffen das". Und wenn nicht, dann schafft eben "es" "uns". Wir müssen glauben - nicht denken !

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Die Tempeltänzerin

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