Corona hebelt Erdogan und die Flüchtlingslobby aus

Die Coronavirus-Epidemie und die damit einhergehende mediale Aufgeregtheit lässt einen anderen Schauplatz in den Hintergrund treten, der die Politikberichterstattung der letzten Wochen mehr oder weniger beherrscht hat: die „Flüchtlingskrise“ an der griechisch-türkischen Grenze. Insofern läuft es für Erdogans Taktik nicht gerade gut.

Erdogan „treibt“ verstärkt seit Jahren in der Türkei lebende, afghanische, pakistanische und afrikanische Emigranten an die griechische Grenze und lässt damit die Situation dort erst richtig eskalieren. Die Grenze zur EU sei offen, suggeriert er, worauf sich vermehrt Menschen (hauptsächlich junge starke Männer, die – seien wir ehrlich – in ihrer Heimat dringend gebraucht würden) in Bewegung setzen. Sie haben Hoffnung, die Grenze zur EU überwinden zu können. Ein besseres Leben wollen sie, ein besseres als sie zu Hause haben. Das ist verständlich.

In vielen Teilen der Welt herrschen – misst man mit unseren mitteleuropäischen Maßstäben – chaotische Zustände. Dort könne man nicht leben, meinen wir. Kein Wunder also, dass sich viele auf den Weg machen? Die modernen Medien haben überall Einzug gehalten, die Menschen informieren sich. Sehen aber immer nur einen kleinen Ausschnitt der Realität. Es gibt „Baumhausbewohner“ in Neuguinea, die in ihren Baumhäusern über Sat-Television die Vorgänge in Europa verfolgen. Bilder unserer Wohlstandgesellschaft flimmern also sogar in der Krone so mancher Baumriesen und wecken so die eine oder andere Begehrlichkeit. (Das ist keine „Überspitzung“, es ist Tatsache.) So wie unser Bild von „der Welt“ unvollständig ist, sowenig vollständig ist das Bild, das sich andere von uns machen. Neuguineas Eingeborene leben zum Teil in Baumhäusern, das stimmt, und sie sehen dort auch fern, das stimmt auch. In Afrika lebt man schon lange nicht mehr nur in Lehmhütten, auch wenn solche Bilder immer noch weitgehend unser Denken bestimmen, mit der Realität hat das nur mehr am Rande etwas zu tun.

Deshalb messen wir fast immer mit falschen Maßstäben!

Wir vermissen vielerorts auf der Welt demokratische Strukturen oder das, was wir für demokratisch halten, schütteln den Kopf über gesellschaftliche Zustände, die wir mit unseren Wertmaßstäben nicht in Einklang bringen können, alterieren uns über korrupte Regime und autokratische Herrschaftssysteme und meinen, dass unser demokratisches System nach dorthin übertragen, die Situation in diesen Ländern mit einem Schlag zum Besseren wenden würde. Aber tribalistische Gesellschaften – um solche handelt es sich vielfach – funktionieren anders. Diese Strukturen erfordern andere Gesetze, müssen anders beurteilt werden, als wir das gewohnt sind. Mit mitteleuropäischen Wertmaßstäben zu messen, ergibt verzerrte, wenn nicht gar ganz falsche Ergebnisse. Was für uns „wohlstandsverweichlichte“ Mitteleuropäer als unzumutbar gilt, ist für andere normaler Alltag. Ob ein Tibeter mit einem Einkommen von 10 Dollar am Tag arm ist oder nicht, bestimmt sich nicht nach den Verhältnissen in Europa, sondern danach, ob er mit diesem Verdienst in seiner Gesellschaft (über-)leben kann. Auch das sollte man bedenken, wenn man beurteilt, in welche Länder Asylwerber und Flüchtlinge zurückgeschickt werden dürfen und in welche nicht.

Die Menschen in Europa mussten im Laufe der Geschichte durch viele Kriege gehen, viel Leid ertragen, haben viele Irrtümer und noch mehr politische Verbrechen begangen, bis jene Zustände hergestellt waren, auf die wir heute berechtigt stolz sind. Auch Europa war einst von Stammeshierarchien geprägt und es hat Jahrhunderte gedauert, bis diese überwunden waren. Es war eine lange oft gewaltgeprägte Entwicklung. Als Höhepunkt wird die Überwindung der absoluten Monarchien, die Überwindung der Leibeigenschaft 1848, die Einführung der parlamentarischen Demokratie innerhalb national ausgerichteter Republiken, schließlich die Ratifizierung der Menschenrechte gesehen. Was man dazu aber braucht ist Zeit, Zeit und nochmals Zeit. Diese Entwicklung muss langsam und schrittweise durchlaufen werden, so wie wir sie langsam und mühevoll durchlaufen mussten. Es wird jenen Völkern, die gerade dabei sind, ihre Fehler zu machen, nicht helfen, wenn wir sie dabei unterstützen, vor ihren Fehlern davon zu laufen, ihre angestammten Gebiete zu verlassen. Wir müssen sie auch zwingen, diese zerstörten Gebiete in mühevoller Arbeit wieder aufzubauen, das ist ein notwendiger Teil des Entwicklungsprozesses, den auch sie durchmachen müssen, so wie die Kriegs- bzw. Nachkriegsgeneration des verwüsteten Europa nicht davonlief, sondern wieder aufbaute. Ansonsten wird es keinen Lerneffekt geben. Mit einem Wiederaufbauprogramm dabei zu helfen, darüber kann man reden. Ihnen bei der Auswanderung aus dem zerstörten Land behilflich zu sein, ist der falsche Weg. So lernt man nicht.

Aber zurück zur Grenzproblematik:

Der Türkei-Flüchtlingsdeal ist Geschichte, zumindest an der Kippe, und jene politischen Kräfte scheinen Recht zu behalten, die sich immer schon gegen diesen Deal ausgesprochen haben. Dass es gerade die sogenannten „rechten Populisten“ waren, in Deutschland in erster Linie die AfD, in Österreich die FPÖ, die diesbezüglich Recht hatten, wie sich nun herausstellt, ärgert die Linke nicht nur, sie kann – sie will – die Richtigkeit dieser Tatsache jetzt auch nicht offen zugeben. Dann wäre das Unglück noch größer, meinen sie. Fehler darf man niemals zugeben? Das hat die SPÖ nach der letzten NR-Wahl wohl auch daran gehindert, mit den Türkisen eine Koalition einzugehen. Eine katastrophale Fehleinschätzung meiner Meinung nach. Man stelle sich vor, die SPÖ hätte jetzt das Gesundheitsministerium inne. Die innerparteiliche Krise wäre längst überwunden, Rendi-Wagner säße sicher im Sattel, der Star wäre nicht der grüne Rudi Anschober, sondern der Wiener Gesundheitsstadtrat Hacker. Welche Aufwärtsentwicklung hätte die SPÖ genommen? Eine verpasste Möglichkeit mehr. So wird das Zaudern der SPÖ wohl weiterhin Stimmen kosten.

Aber zurück zum Thema:

Eine EU, die einen „Deal“ braucht, mit wem auch immer, um ihre Grenzen zu sichern, ist eine Lachnummer und keinen „Pfifferling“ wert. Und jetzt noch einen weiteren Deal mit Erdogan schließen um das Dilemma zu verlängern? Was soll das bringen? Er will mehr Geld, das ist verständlich und er will seinen Forderungen nach Visa-Freiheit Nachdruck verleihen und so die „Osmanisierung Europas“ weiter vorantreiben. Europa hat die Wahl: entweder Konsequenz zeigen oder weiter „weicheiern“. Ich fürchte, man wird sich für das Zweite entscheiden und uns das als Erfolg verkaufen wollen. Dann allerdings wird sich die Anzahl der Türken (Afghanen,Tschetschenen etc.), die unter demokratisch-wohlfahrtsstaatlichen Bedingungen leben wollen, die aber gleichzeitig bei jeder sich bietenden Gelegenheit für das autokratische System Erdogans oder einen anderen Schariastaat votieren, weiter vermehren. Irgendwann – man kann es hochrechnen – werden sie einen demografisch relevanten Anteil erreicht haben, der im demokratischen System eine bedeutende Rolle spielen wird. Und dann?

Erdogans Taktik ist eindeutig und klar. Er unterstützt aktiv die „Rebellen“ in der Provinz Idlib, die in ihrer Mehrzahl „Dschihadisten“ sind und erzeugt einen weiteren Flüchtlingsstrom. (Dass dieser Flüchtlingsstrom wenig mit der Situation an der griechischen Grenze zu tun hat, wurde oben bereits erwähnt.) Er lässt seine Truppen offen in Syrien, in fremdem Staatsgebiet operieren. Und niemand scheint es zu stören. Es gibt keine Verurteilungen seitens der EU. Im Gegenteil, man will ihn sogar weiter mit Geld unterstützen, um den „Flüchtlingspakt“ am Leben zu erhalten. Das ist eine Sprache, die ein autokratischer Herrscher nur als Bestätigung seiner Linie auffassen kann. Eine härtere weniger konziliante Gangart wäre angebracht. Man muss ihm alsbald und unmissverständlich klar machen: Es gibt keine weiteren Gelder für die Türkei! Es gibt keine weiteren Zugeständnisse, es gibt keine Visafreiheit für türkische Staatsbürger. Und bei der nächsten Wahl für das türkische Parlament wird jeder Teilnehmer registriert, der sich in Österreich an dieser Wahl beteiligt. So es sich um österreichische Staatsbürger handelt, wird diesen die österreichische Staatsbürgerschaft entzogen. Punkt!

Anstelle weiterer Sanktionen gegen Russland, setze man doch bitte auf eine verstärkte Zusammenarbeit mit Russland und Assad, damit endlich auch die letzte Bastion der Dschihadisten in Idlib fällt. Der Großteil des Landes ist bereits „befriedet“, also könnte man leicht Flüchtlingslager für Nicht-Dschihadisten aus Idlib in diesen Gebieten einrichten. Dabei sollte die EU helfen, und wenn das Land befriedet ist, der Asylgrund weggefallen ist, die syrischen Asylanten in Österreich zur Heimreise auffordern.

Inzwischen geraten die Verhältnisse an der griechisch-türkischen Grenze immer mehr außer Kontrolle. Man kann von Glück reden, dass sich die Griechen um die Kritik der Flüchtlingslobby nicht mehr kümmern und das tun, wozu sich eigentlich die gesamte EU verpflichtet hat: die Außengrenze schützen.

Update vom 12. März 2020, 22.01 Uhr: Dutzende Migranten haben am Donnerstagabend abermals versucht, den griechischen Grenzzaun bei Kastanies zu stürmen. Sie zündeten Feuer an und schleuderten von der türkischen Seite aus Brandsätze und Steine auf die griechische Polizei.

Aber die EU scheint dzt. zu beschäftigt, um sich der Sache anzunehmen. Die verantwortlichen Politiker „ducken sich ab“. Anstelle die Griechen beim Grenzschutz verstärkt zu unterstützen, lässt man sie wieder einmal allein und beschränkt sich darauf, die zugegeben katastrophalen Zustände in den Flüchtlingslagern zu kritisieren, die allein der Überfüllung geschuldet sind.

Wenn es der EU nicht bald gelingt, sich darauf zu einigen, die europäischen Grenzen wirksam zu schützen, also die Kontrolle darüber zu erreichen, wer wann die Grenzen passieren darf und wer nicht, dann sind die „offenen Grenzen“ innerhalb des Schengen-Raumes endgültig Geschichte, meint der österreichische Bundeskanzler. Und er hat recht!

Zumindest diese österreichische Regierung scheint es diesmal ernster zu nehmen, als es 2015 der Fall war. Die SPÖ kann sich immer noch nicht zu einem gemeinsamen, einheitlichen Standpunkt durchringen, und zerfleischt sich, hauptsächlich mit dieser Frage beschäftigt, weiterhin selbst. Insofern muss man von einem Glücksfall sprechen, dass die SPÖ bei den letzten Wahlen „abgestürzt“ ist. Auch wenn man ihr große Verdienste für die Entwicklung des Sozialstaates in der Zweiten Republik zugestehen muss, in dieser Frage scheitert sie wirklich kläglich.

Zurück zur Grenzproblematik:

Die Türkei grenzt bekanntlich nicht nur an Griechenland, sie grenzt auch an Bulgarien. Die beiden Länder sind durch keinen Fluss getrennt. Es wäre ein Leichtes, sich auch in Richtung Bulgarien zu wenden, wollte man Schutz suchen. Auch Bulgarien ist ein sicheres Land und Mitglied der EU. Aber an der bulgarisch-türkischen Grenze scheint es nach-wie-vor ruhig zu sein. Kein Ansturm, keine überfüllten Flüchtlingslager. Das wundert mich.

Nein, es wundert mich eigentlich nicht! Wenn man es als „Flüchtling“ nach Bulgarien schafft, liegen die bevorzugten Länder in denen man als Flüchtling bestens versorgt wird, noch in weiter Ferne. Von Bulgarien kann man nicht so ohne weiteres in den Schengenraum einreisen. (Bulgarien ist bekanntlich noch kein Mitglied des Schengen-Raumes.) Abgesehen davon scheint es in Bulgarien weniger Widerstand der Zivilbevölkerung gegen eine wirkungsvolle Grenzsicherung zu geben als das bei „uns“ der Fall ist. Wen wunderts, dass die „Schutzsuchenden“ dort partout nicht hinwollen?

Darüber aber schweigen die hochbezahlten Kommentatoren in den Medien beharrlich. Ihnen und den besorgten „Dokumentarfilmern“ reicht offensichtlich ein Lamento über die überfüllten griechischen Lager zu erheben. Das garantiert breite Zustimmung, beschreibt aber nur die halbe Wahrheit.

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