Freies Mandat – oder Befehlsempfänger der Regierung?

Unsere „elegante“ Verfassung, wie das unser Herr Bundespräsident auszudrücken beliebte, nahm, das ist ja allgemein bekannt, bei ihrer Entstehung (1920 /1929) natürlich Anleihen bei anderen Verfassungen vornehmlich bei ihren älteren Vorgängerinnen (vgl. Pillersdorfsche Verfassung 1848). Diese älteren Vorgängerinnen waren davon geprägt, dass gemäß ihren Bestimmungen die ministeriellen Regierungsmannschaften vom Kaiser in den Dienst gestellt wurden. Dies wurde oft als ein Nachteil betrachtet. Darüber soll es jetzt zwar nur en passant gehen, dennoch ist die Ähnlichkeit dieser Vorgangsweise mit der Einsetzung unserer nun tätigen „Experten-Übergangsregierung“ nicht zu übersehen. Und zwar insofern als die aktuelle Regierung zwar nicht von einem Kaiser aber doch vom Bundespräsidenten vorgeschlagen und eingesetzt wurde.

Viele trauten dieser Regierung wenig zu. Sie habe keine Mehrheit im Parlament und werde nicht wagen politisch brisante Themen aufzugreifen, behaupteten einige der maßgeblichen Kommentatoren des ORF allen voran der Chef der Innenpolitikredaktion namens Bürger. Das ist natürlich im Prinzip richtig, sagt aber nichts über die Fähigkeit der Regierung aus, die vom Parlament beschlossenen Gesetze zu vollziehen. Aber das, das Vollziehen, ist gemäß unserer Verfassung ihre Hauptaufgabe. Im Übrigen seien jene, die dieser Regierung etwas zutrauen würden, „dumbe Toren“, verkündete Herr Bürger ohne zu Zögern als Experte in einem Gespräch im ORF. Vergessen dabei hat er, – hätte er doch wenigstens einmal in den Verfassungstext hineingelesen, bevor er seine vollmundigen Sprüche in die Welt sandte, dass unsere geltende Verfassung das Prinzip der Gewaltenteilung vorsieht. Sie unterscheidet zwischen Legislative (Gesetzgebung durch das Parlament), Exekutive ( ausführende Regierungs- und Verwaltungsorgane) und Judikative (Gerichtsbarkeit).

Was Herr Bürger bei seiner vorschnellen Beurteilung übersah, ist also die Tatsache, dass die Regierung in erster Linie n u r das ausführende Organ des Parlaments ist. Dass die gängige Praxis der letzten Jahrzehnte eine andere war, ist nicht mehr als ein „schlechtes Gewohnheitsrecht“, das sich breit machte, indem es u.a. aus der Möglichkeit des Einbringens einer „Regierungsvorlage“ als Gesetzesvorschlag, einen mehr oder weniger bindenden Auftrag an die „eigene Mehrheit im Parlament“ werden ließ und so die Abgeordneten der Regierungsparteien, die eigentlich nur dem Wähler verpflichtet sein sollten, zu Befehlsempfängern der Regierung degradierte.

Und plötzlich ist es mit einem Schlag anders. Die Regierung ist notgedrungen zu ihrer eigentlichen Hauptaufgabe zurückgekehrt – sie wurde wieder (Schubumkehr!) zum Befehlsempfänger des Parlaments.

Und auf einmal passiert wieder etwas im Parlament. Es finden sich unterschiedliche Mehrheiten zu unterschiedlichen Themen, Allianzen in Sachfragen werden geschlossen jenseits der „Verteufelungen“ – und so ist Parlamentarismus eigentlich auch gedacht.

Wenn sich die Parlamentarier ihrer Verantwortung besinnen, die ihnen jahrzehntelang kaum abverlangt wurde und den finanziellen Rahmen nicht überspannen, könnte eigentlich nicht viel schiefgehen.

Das „freie Spiel der Kräfte“ hat in nur wenigen Tagen einiges möglich gemacht:

Nichtrauchergesetz

Valorisierung des Pflegegeldes

Glyphosatverbot

Beschränkung der Parteienförderung

Papa-Monat

Schuldenbremse

Die Regierung wird das nun ausführen müssen, es also nach bestem Wissen und Gewissen in die Tat umsetzen – und so ist unser System eigentlich gedacht.

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