Nein heißt Nein? Nicht bei sexualisierter Gewalt. Da muss ein Hintertürchen offen bleiben.

Es wäre doch eigentlich so einfach: Nein heißt nein. Und wenn jemand „Nein“ sagt, bedeutet es, dass er oder sie das, worum es jeweils geht, nicht will.

Aber was in allen Lebensbereichen eine ganz banale Selbstverständlichkeit ist, das kann im Verhältnis zwischen Frauen und Männern nicht sein. Wenn eine Frau „Nein“ sagt zu dem Vorschlag, miteinander Sex zu haben, dann bedeutet das erstmal gar nichts. Sondern es muss eine komplizierte psychologische, juristische, soziale und vielleicht ja auch hellseherische Maschinerie in Gang gesetzt werden, um herauszufinden, ob sie nun auch wirklich Nein meint.

Das führt zu interessanten Denkübungen, zum Beispiel diese hier in einem Bericht auf Tagesschau.de über die aktuelle Reform, die das deutsche Bundeskabinett beschlossen hat: „Künftig soll nicht einvernehmlicher Sex bereits dann als Vergewaltigung gelten, wenn das Opfer lediglich mündlich seine Zustimmung dazu verweigert, aber keinen körperlichen Widerstand geleistet hat. Die Forderung des Bundesrates, dass schon ein klar formuliertes "Nein" für die Bestrafung ausreichen soll, ist in dem Gesetzentwurf aber nicht enthalten.“

Das heißt: Wenn das Opfer die mündliche Zustimmung verweigert, ist es strafbar, aber ein „Nein-Sagen“ reicht nicht aus? Interessante Logik.

Tatsächlich ist der erste Satz der Meldung schlicht falsch, und ohnehin liest sich der Bericht eher wie eine Pressemeldung der Bundesregierung als wie unabhängiger Journalismus (was in diesem Fall nicht nur für die Tagesschau gilt).

Faktisch ist es nämlich so, dass auch weiterhin „nicht einvernehmlicher Sex“ nur dann als Vergewaltigung gilt, wenn das Opfer entweder körperlichen Widerstand leistet oder aber aus ganz bestimmten Gründen zu diesem Widerstand nicht in der Lage ist (psychische oder körperliche Unfähigkeit, Überraschungsmoment, üble Folgen, wenn sie sich wehrt).

Interessant in dem Referentenentwurf dazu ist auch eine weitere Formulierung, die mir aufgefallen ist: – die „strafwürdigen Fälle“. Dahinter steht einfach die Logik: Es gibt „Fälle“, in denen sexualisierte Gewalt gegenüber Frauen strafwürdig ist, und solche, in denen sie das nicht ist – und das Gesetz hat eben die heikle Aufgabe, die einen von den anderen zu unterscheiden.

Und genau hier liegt eine lange Kontinuität im Umgang mit dem Phänomen der sexualisierten Gewalt: Dass diese Gewalt in bestimmten Fällen okay ist, und in anderen Fällen nicht. Zum Beispiel war bis 1997 (sic!) in Deutschland Vergewaltigung per se als „außerehelich“ definiert. Das bedeutet nicht, wie oft gesagt wird, dass man vorher der Ansicht war, Vergewaltigungen könnten innerhalb einer Ehe nicht vorkommen. Sondern man war vorher der Ansicht, Vergewaltigungen innerhalb der Ehe seien nicht strafwürdig, sondern ein legitimes Recht des Ehemannes.

Ähnlich ist es mit der Verflechtung von Vergewaltigung und Rassismus - die „Strafwürdigkeit“ von Vergewaltigung hing über Jahrhunderte hinweg direkt mit der Hautfarbe der Täter und der Opfer zusammen. Weiße Sklavenhalter hatten ja das verbriefte Recht, die Schwarzen Frauen in ihrem „Besitz“ zu vergewaltigen. Auch da hätte niemand bezweifelt, dass das, was sie taten, sexualisierte Gewalt ist. Es war nur eben eine Gewalt, die nicht als strafwürdig galt. Und bis heute ist es nicht gerade der große gesellschaftliche Skandal, wenn zum Beispiel weiße bürgerliche Jungs eine Schwarze oder Hispanische Frau vergewaltigen.

Der Punkt ist der: Eine bestimmte Form von sexualisierter Gewalt soll gar nicht bestraft werden, weil sie ein Bestandteil gängiger Männlichkeitskonzepte, oft vermischt mit anderen sozialen Hierarchien, ist. Oder, wie es sogar viele Frauen selber schulterzuckend sagen: „Männer sind halt so.“

Als in einem Höchstmaß strafwürdig gilt hingegen sexualisierte Gewalt, die in bestimmten, als nicht legitim verstandenen Situationen auftritt, ganz besonders dann, wenn sie von nicht-weißen Männern ausgeht und deren Opfer als weiße Frauen angesehen werden. Auch dieses Narrativ ist sehr alt - der böse Schwarze Mann, der die weiße Frau „besitzt" (obwohl die ja eben bereits dem weißen Mann gehört). Auch diese Vorstellung ist nach wie vor sehr lebendig, wie die Debatten nach der Silvesternacht in Köln gezeigt haben.

Dass das, was dort am Hauptbahnhof geschehen ist, durch das deutsche Sexualstrafrecht größtenteils überhaupt nicht abgedeckt war, spielte dabei gar keine Rolle. Viel wichtiger war es großen Teilen der Gesellschaft, zu erklären, warum diese sexualisierte Gewalt schlimm und strafwürdig ist, vergleichbare Übergriffe deutscher Täter aber, etwa in feuchtfröhlicher Oktoberfeststimmung, genau nicht. Was wäre denn so ein Fest, ohne dass Mann dabei mal ein bisschen Spaß mit den Mädels hat, das ist eben Teil unserer Kultur!

Und genau das ist der Grund, warum ein „Nein“ des Opfers nicht ausreichen kann, und in der Logik der aktuellen Reform des Sexualstrafrechts auch in Zukunft nicht ausreichen wird: Es geht gar nicht darum, einen Straftatbestand zu definieren (denn der wäre ja ganz leicht durch ein Missachten des „Neins“ des Opfers zu bestimmen). Sondern es geht darum, ein Instrumentarium zu haben, mit dem sich zwischen legitimen und illegitimen sexualisierten Übergriffen unterscheiden lässt. Die Beurteilung der Frage, welche sexualisierte Gewalt strafwürdig ist und welche nicht, soll weiterhin gesamtgesellschaft disktutiert werden, gerade auch die Männer selbst wollen hier ein Wörtchen mitreden.

Oder noch anders gesagt: Der Zweck dieses Herumgeeieres ist der, dass unbedingt ein Hintertürchen offen bleiben muss, nach dem sexualisierte Gewalt in bestimmten Fällen als „nicht strafwürdig“ gelten kann.

Genau das ist im Übrigen auch der Grund, warum meiner Ansicht nach große Skepsis angesagt ist, was die Fähigkeit des Strafrechts betrifft, das Problem letztlich zu lösen. Denn gerade dieser rassistische Unterton in den Debatten über sexualisierte Gewalt bietet Anlass zur Sorge, dass es auch in Zukunft bestimmte Männer und bestimmte „Fälle“ sein werden, in denen es zu Anklagen und Verurteilungen kommt. Und in anderen eben nicht.

Gesetze können nur kulturelle Übereinkünfte formalisieren und begleiten. Und da gibt es gerade im Bezug auf sexualisierte Gewalt weiterhin sehr, sehr dicke Bretter zu bohren. Bis wir zu der Einsicht kommen, dass niemals und unter keinen Umständen ein Mann Anspruch auf sexualisierte Handlungen mit einer anderen Person hat, wenn die in genau dieser konkreten Situation deutlich macht, dass sie das nicht.

Nein heißt nein, #ausnahmslos. Das sehen aber leider noch immer viele nicht als selbstverständlich an.

shutterstock/Antonio Guillem

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