Das Stigma der Prostitution

Einer der Dauerbrenner in der feministischen Diskussion über Sexarbeit ist die Frage, inwiefern es möglich ist, eine Kultur der Prostitution zu kritisieren, ohne gleichzeitig die Frauen, die auf diese Weise Geld verdienen, zu stigmatisieren und gesellschaftlich auszugrenzen.

Historisch war in dieser Hinsicht gerne Doppelmoral angesagt: Im 19. Jahrhundert gab es in großen Städten wie London oder New York offizielle „Gentlemen-Guides“, in denen die angesagten Bordelle aufgelistet wurden. Gleichzeitig waren Frauen, die sich prostituierten, verfemt, rechtlos, standen im gesellschaftlichen Aus. Sie waren gesetzlichen Reglementierungen unterworfen wie etwa den britischen „Contagious Diseases Acts“. Diese „Gesetze gegen ansteckende Krankheiten“ unterwarfen Frauen und Mädchen scharfen medizinischen Kontrollen und Polizeiwillkür, während die Freier unbehelligt blieben.

Und heute? Das so genannte „schwedische“ Modell, wonach zwar der Kauf von sexuellen Dienstleistungen verboten ist, nicht aber ihr Verkauf, war auch mit der Hoffnung verbunden gewesen, aus diesem Dilemma herauszukommen: Lediglich die Freier sollten bestraft werden, die Prostituierten aber nicht.

Dass das klappen würde, haben freilich viele bezweifelt: Gesetzliche Verbote sind ja immer auch Kennzeichen einer sozialen Ächtung. Wie wahrscheinlich wäre es, dass die Polizei dann nur die Freier jagt, aber die Prostituierten mit Respekt behandelt? Wie denkbar, dass eine Gesellschaft, in der der Tausch von Sex gegen Geld als unmoralisch gilt, diejenigen achtet, die diesen Tausch persönlich vollziehen? Tatsächlich hat eine aktuelle Studie der Hochschule Malmö, die der schwedische Verband für Sexualaufklärung in Auftrag gegeben hat, ergeben, dass die Stigmatisierung von Prostituierten seit dem Inkrafttreten des Gesetzes offenbar zugenommen hat: Heute seien mehr als die Hälfte aller Schwedinnen und Schweden dafür, nicht nur die Freier, sondern auch die Prostituierten zu kriminalisieren; vor Einführung des Gesetzes 1999 war das nur ein Drittel.

Leider ist es mir nicht möglich, die Studie selber im Netz zu finden, und die deutschsprachigen Medien haben es bislang nicht für nötig gehalten, die Hintergründe dieser Sache zu recherchieren (mir als Bloggerin fehlen dafür die Ressourcen). Aber es wäre aus meiner Sicht wichtig, genau an dieser Stelle genauer hinzuschauen und tiefer zu graben: Wie wirken sich verschiedene gesetzliche Regelungen auf die Position von Sexarbeiterinnen innerhalb einer Gesellschaft aus? Das wäre nämlich ein guter Maßstab für eine feministische Beurteilung verschiedener Herangehensweisen an das Thema Prostitution:

Welche Sicht auf Frauen, die mit Sexarbeit ihr Geld verdienen, sind in einer Gesellschaft vorherrschend? Werden Prostituierte als „unwürdig“ und irgendwie minderwertig angesehen? Ist die Bevölkerung dafür, sie zu reglementieren oder gar zu kriminalisieren, werden sie zu Objekten staatlichen (polizeilichen, sozialarbeiterischen) Handelns gemacht? Wird in der öffentlichen Debatte und in den Köpfen der Menschen eine Grenze zwischen „normalen“ Frauen und „solchen“ Frauen gezogen?

Oder gelten Frauen (und Männer), die mit Sexarbeit Geld verdienen, als ernst zu nehmende Akteurinnen, die genauso gut oder schlecht wissen, was sie tun, wie alle anderen Frauen auch? Kommen ihre Ansichten und Vorschläge als selbstverständlicher Bestandteil in der politischen Debatte vor, und zwar auch dann, wenn sie sich nicht reuevoll von dieser Tätigkeit abgegrenzt haben? Können sie offen zur eigenen Tätigkeit im Sexgewerbe stehen und dennoch ganz normal am Leben teilhaben?

Ich wünsche mir eine Studie, die unter diesen Aspekten verschiedene Gesellschaften mit unterschiedlichen Prostitutionsgesetzen miteinander vergleicht. Das Phänomen von Prostitution ist sehr komplex und tief verwoben mit Menschen- und Geschlechterbildern, mit Moralvorstellungen, mit gesellschaftlichen Hierarchien und natürlich vor allem der Ökonomie, mit Armuts- und Reichtumsfragen, mit Macht und sozialen Unterschieden. Wer auch immer behauptet, dafür eine einfache Lösung zu haben, ist ein Scharlatan.

Aber ein Dreh- und Angelpunkt ist aus meiner Sicht der, dass Frauen sich nicht länger aufteilen lassen in die „guten“ und die „bösen“, die „Heiligen“ und die „Huren“. Diesen Mechanismus gilt es, zu durchbrechen. Und wir dürfen nicht zulassen, dass die „Heiligen“ von früher als die „Emanzipierten“ von heute wieder auferstehen und sich erneut moralisch über die „Huren“ erheben.

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Herbert Erregger

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JD

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