Abschied nehmen; das Flüchtlingscamp Riedenburg schließt

Claudia Braunstein

Eigentlich hatte ich mir vorgenommen zum Thema Flüchtlinge nichts mehr zu publizieren. Ich habe hier auf Fisch und Fleisch einige Artikel veröffentlicht. Von der Eröffnung des Camps, meinen Beweggründen mich einzubringen oder von kuriosen Begebenheiten in der Kleidersammelstelle. Doch heute möchte ich meine ganz persönlichen Erfahrungen meiner Tätigkeit als Sprachtrainerin und Begleiterin erzählen. Seit Juni vorigen Jahres bin ich mindestens einmal wöchentlich in das benachbarte Camp gegangen, um dort mit variablen Gruppen Deutsch zu üben. Ja, trotz meiner Spracheinschränkung, die mir meine Krebserkrankung beschert hat, funktioniert das wunderbar.

Ich erinnere mich sehr gut an meinen ersten Kurstag, das war als würde ich einen neuen Job antreten. Trotz aller Offenheit, im Hinterkopf hat sich auch ein wenig der Gedanke an eine andere Kultur manifestiert, von der die breite Öffentlichkeit nicht wirklich überzeugt ist. Ich habe mehrmals darüber nachgedacht, welches Bild sich meine Trainees von einer Frau machen, die alleine in eine reine Männerunterkunft geht, um dort mit reinen Männergruppen zu lernen. Nach all den Monaten, in denen ich auch dieses Thema mehrmals angesprochen hatte, kann ich sagen, man ist mir immer mit großem Respekt gegenübergetreten und vor allem mit Dankbarkeit.

Claudia Braunstein

Es waren mir nicht alle Menschen sympathisch, denen ich dort begegnet bin, von einigen weiß ich, dass sie des Hauses verwiesen wurden, weil sie sich nicht an die Spielregeln hielten. Die traf ich jedoch nie in meinen Stunden an. Es kommen eben nicht nur sympathische, gebildete Menschen. Aber auch unter der einheimischen Bevölkerung sind ja auch nicht alle von der freundlichen, netten Sorte.

Die meisten Trainees, die von Beginn an meine Stunden besuchten sind mir treu geblieben. Keiner von ihnen war bis zum Ende das Camps dort untergebracht ist aber immer in den Unterricht gekommen. Manche habe ich aus den Augenverloren, weil sie in andere Unterkünfte verlegt wurden, oft auch in andere Bundesländer. Aus der Kerngruppe haben alle eine neue Unterkunft gefunden, da sie einen Aufenthaltstitel erlangt haben und zum Teil auch bereits arbeiten. Die meisten dieser Menschen sind Akademiker und warten auf die Nostrifizierung ihrer Unterlagen.

Einer hat sie bereits erhalten und er befindet sich bereits in einem Kurs für Deutsch B1 und er hat beste Kontakte in seiner Berufssparte die ihm die Möglichkeit eröffnen bald wieder beruflich Fuß zu fassen. Das muss man sich vorstellen, er ist jetzt ein Jahr hier und spricht um Klassen besser Deutsch, als mein langjähriger Gärtner, der nach 30 Jahren auf österreichischen Baustellen keinen richtigen Satz sprechen konnte. Warum erwähne ich das? Weil mein ehemaliger Gärtner nicht die Möglichkeit hatte im Alltag die Sprache zu erlernen, denn seine Arbeitskollegen haben mit ihm ständig im berühmten *Tschutschendeutsch* kommuniziert.

Darum halte ich es so für so ungemein wichtig, dass wir als Einheimische diesen Menschen, die zum größten Teil unglaublich tragische Geschichten hinter sich haben, behilflich sind sich zu integrieren und dazu gehört in erster Linie der Spracherwerb. Kurse auf der VHS oder ähnlichen Einrichtungen helfen die Grundlagen zu erlernen. Der echte Spracherwerb erfolgt im Alltag. Wenn diese Menschen allerdings unter sich bleiben, weil sie von der Bevölkerung gemieden werden, dann stehen die Chancen auf echte Integration sehr schlecht.

Auch alle anderen Schüler aus meiner Kerngruppe sind auf einem guten Weg hier wieder einen Alltag zu finden, der möglicherweise an ihr altes, berufliches Leben anknüpfen kann.

Ich habe viele gelernt in diesen Monaten. Ja, fast jeder hat mir seine Geschichte erzählt, die meisten so unfassbar, dass ich versucht habe mich möglichst von dem Erzählten zu distanzieren. Es dreht mir den Magen um, wenn ich dann auf Facebook unter Ayads Berichten, er ist einer meiner Trainees und schreibt hier auf Fisch und Fleisch seine Fluchtgeschichte nieder, die ungeheuerlichsten Anschuldigungen lese.

Vor allem habe ich einen Einblick in verschiedene Gebräuche, Sitten, Küchen und Traditionen erhalten. Ich muss nicht alles für gutheißen, aber ich kann mich dafür interessieren. Ohne diesen Interesse an der Vergangenheit dieser Menschen kann man schwer seine eigene Kultur präsentieren. Ich erzähle vor allem auch viel über den Status der Frauen in unseren Breitengraden, für manche ist der nicht ungewöhnlich, andere sind dankbar unser Weltbild erklärt zu bekommen.

Nun hieß es am vergangene Dienstag Abschied nehmen vom Camp in der ehemaligen Riedenburgkaserne. Auf dem Areal werden demnächst Wohnbauten entstehen. Der Auszug wurde mehrmals verschoben, ursprünglich war bereits September 15 geplant, dann der Dezember und zu Letzt hieß der Stichtag 12. März. Am Dienstag wurde von Seiten der Heimleitung und der Diakonie, die für die Sprachtrainer zuständig ist, eine kleine Abschiedsfeier organisiert. Und just an diesem Tag haben dann die letzten Bewohner ziemlich überraschend das Haus verlassen und sind in neue Unterkünfte gezogen. Die ehrenamtlichen Sprachtrainer werden sich an die neuen Begebenheiten anpassen.

Ich für meinen Teil werde meine Kerngruppe, die aus fünf Männern besteht, weiterbegleiten in Form von wöchentlichen Konversationsabenden. Ich zähle diese Menschen inzwischen zu meinem Freundeskreis und alle sind auch in meiner Familie herzlich willkommen. Vielleicht ergibt sich ab Sommer wieder eine neue Möglichkeit in einem Camp tätig zu werden.

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