Tollkirschstrudel oder was vom PISA-Schock blieb

Ich bin bekennende Sprachfetischistin und liebe kreative Wortexperimente. Da bin ich auch recht einfach gestrickt. Ich weiß nicht, woran es liegt, aber Wörter wie „PISA-Schock“, „Bildungsfrühling“, „Hypotopia“, „situationselastisch“ oder „frankschämen“ bereiten mir richtig viel Vergnügen. Ich merke sie mir nicht nur, sondern baue sie anschließend so oft wie nur irgendwie möglich in Alltagsgespräche ein.  Also zum Beispiel im Schlagabtausch mit meinen Kindern: „Mama, ich hab einen Fünfer auf die Mathe-Schularbeit!“ „Der nächste Bildungsfrühling kommt bestimmt!“. Oder im Gespräch mit dem jeweiligen Klassenvorstand: „Ihre Tochter hat ihre Buchbeschreibungen nicht abgegeben!“ „Sie ist halt noch im PISA-Schock!“ Auch in Verhandlungen um Taschengelderhöhungen oder Ballkleider empfehlenswert: „Wir sind hier doch nicht in Hypotopia!“

Es gibt auch Wörter, die ich allein wegen ihres Klanges mag. „Grießbrei“ zum Beispiel oder „Marille“. Auch sensationell: Kirschstrudel“, „Rhabarber“ oder „Melanzani“. Jetzt könnte man meinen, ich wäre einfach nur verfressen, aber ich habe noch andere Lieblingswörter auf Lager. „Gold“, „Grashalme“ oder „Kornblume“.

Dann gibt es Wörter, die kann ich aufgrund ihres Klanges auf den Tod nicht ausstehen. „Stechmücke“ zum Beispiel oder „Geschmack“ und „Stenografie“ – einfach unmelodiös!

Das derzeit grauenhafteste Wort für mich – sowohl vom Klang her, als auch von der Zusammensetzung – ist „Gutmensch“. Lese oder höre ich es irgendwo, beutelt es mich regelrecht ab. Abgesehen von der Wortmelodie, die entsetzlich forsch und abgehackt klingt, als würde man ein Wort verstümmeln oder einfach einen Teil weglassen, komm ich grammatikalisch einfach nicht zurecht. Das Wort stimmt nicht, es ist nicht harmonisch. So was gibt´s. Es ist wie mit den Jolly-Buntstiften aus meiner Kindheit. Da wünschte ich mir ewig lange den Riesenkasten mit 48 Farben und als ich ihn endlich bekam, versuchte ich tagelang, die Farben so zu ordnen, dass sie von hell nach dunkel einen harmonischen Übergang bekämen. Es war Frust pur! Beim „Gutmensch“ hätte ich das ja auch versucht,  aber es ist, wie die Buntstifte, renitent. Ich schildere mal meine Probleme:

Der „Gutmensch“ ist eine Adjektiv-Nomen-Komposition. Genauer gesagt eine Verbindung aus ungebeugtem Adjektiv und Substantiv. Das wär ja an und für sich jetzt nichts Besonderes und findet sich in unserer Sprache sehr häufig (Gutschein, Liebkind, Buntpapier, ...), aber in Verbindung mit dem Nomen „Mensch“ ist es eher ungewöhnlich. Nach langem Grübeln über ähnliche Komposita, bemühte ich Google. Ich wollte unbedingt ein Wort mit –mensch finden und Google spuckte tatsächlich zwei Wörter aus, nämlich Edelmensch (genauso furchtbar) und Halbmensch (was genau soll das sein?). Außerdem änderten die Google-Einträge nichts am unerträglichen Klang und dem „Das-ist-einfach-falsch-Gefühl“.

Dann dachte ich mir, es wäre möglich, dieses Wort so umzugestalten, dass es sich „richtig“ anhört. Aber wie? Ich versuchte also, das Adjektiv an das Substantiv anzupassen. Also „ein Gutermensch“ oder „der Gutemensch“, was aber völlig schwachsinnig ist, weil man dann doch gleich bei der Schreibweise „ein guter Mensch“ bleiben könnte, was mir persönlich eh lieber wäre und auch keine Fragen aufwirft. Diese Umgestaltung war demnach unbefriedigend.

Vielleicht ging ich es jedoch falsch an. Möglicherweise lag der Fehler bereits im Ursprung. Als Angabe in einer Deutsch-Schularbeit für Schüler eines österreichischen Gymnasiums vor dem PISA-Schock. „Substantiviere das Adjektiv im folgenden Beispiel:  Der gute Mensch.“ Wir wissen ja, was die PISA-Studie zu Tage befördert hat, somit wäre es auch nicht weiter verwunderlich, dass 15 von 20 Schülern als Antwort statt „der Gute“ eben „der Gutmensch“ schrieben. War es also nur fälschlicherweise zu einer Adjektiv-Nomen-Komposition geworden? Ein von Haus aus misshandeltes Wort? Aber selbst wenn, jetzt haben wir den Salat und müssen das Beste daraus machen.

Der nächste Schritt auf dem Weg zu meinem Ziel, ein harmonisches Wort zu kreieren, war daher die Zurückführung und Zerpflückung in den Urzustand, also in „gut“ und „Mensch“ mit Adjektivierung des Letzteren. Gleich darauf die Bildung einer Adjektiv-Adjektiv-Komposition und tatsächlich – das „gutmenschlich“ fühlte sich schon wesentlich besser an. Darüber hinaus verliert der „Gutmensch“ dadurch irgendwie die negative Härte. Er wird fast zärtlich („Oh Schatz – du bist so gutmenschlich“).

So, jetzt kommt´s. Nachdem ich das Unwort umgewandelt hatte, war es ganz leicht, es wieder zu substantivieren. Die „Gutmenschlichkeit“ kommt schon ganz anders daher. Sie ist zwar immer noch nicht harmonisch, aber melodiöser, in sich stimmiger und auch positiver. Und auch der „Gutmenschliche“ hat nun – zumindest für mich – eine freundliche, wohlgesinnte Konnotation.

In die Liga der Lieblingswörter wird es der Gutmenschliche bei mir leider trotzdem nicht schaffen, ganz einfach deshalb, weil er mir von Anfang an zu kompliziert war. Ich bleib lieber beim tollen Kirschstrudel. Und hoffe, dass der niemals in der Angabe einer Deutsch-Schularbeit landet, sonst ist er mir auf ewig vergällt. Da bin ich nämlich ganz und gar nicht situationselastisch.

2
Ich mag doch keine Fische vergeben
Meine Bewertung zurückziehen
Du hast None Fische vergeben
6 von 6 Fischen

bewertete diesen Eintrag

Silvia Jelincic

Silvia Jelincic bewertete diesen Eintrag 14.12.2015 23:17:09

fischundfleisch

fischundfleisch bewertete diesen Eintrag 14.12.2015 23:17:09

1 Kommentare

Mehr von Claudia Tabachnik