Was stellt man sich denn landläufig unter einem Spießer vor?

Gerne erinnere ich mich an eine Werbung, in der ein kleines Mädchen, seinen Hippie Vater fragte, was denn ein Bausparvertrag sei. Sie saßen vor ihrem Zuhause, einem Bauwagen. Der Vater erklärte ihr in ein paar Sätzen was ein Bausparvertrag ist und das nur Spießer einen Bausparvertrag abschließen. Das kleine Mädchen antwortete darauf: „Wenn ich groß bin werde ich auch mal Spießer.“

Man verbindet also mit dem Wort Spießer einen bodenständigen Menschen der solange spart bis er sich ein Haus bauen kann, in dem er dann für den Rest seinen Lebens wohnt. Ständiger Wohnortswechsel ist ihm ein kraus. Er wechselt selten bis nie seinen Stromanbieter, seine Telefongesellschaft, seine Autoversicherung, seine Krankenkasse, seinen Arzt. Wenn es ihm möglich ist, auch nicht seinen Arbeitgeber oder seinen Partner.

Er ist beständig, tief verwurzelt und treu. Man kann auf ihn zählen. Er ist ein Fels in der Brandung.

Das sind in meinen Augen jetzt nicht die schlechtesten Eigenschaften, die ein Mensch haben kann.

Laut Wikipedia bedeutet Spießer: Als Spießbürger oder Spießer werden in abwertender Weise „engstirnige“ Personen bezeichnet, die sich durch geistige Unbeweglichkeit, ausgeprägte Konformität mit gesellschaftlichen Normen und Abneigung gegen Veränderungen der gewohnten Lebensumgebung auszeichnen.

Dort wird das Wort Spießer abwertend betrachtet. Und genau das ist es, der einfache Bürger soll um erzogen werden. Er soll nicht mehr ein Spießer sein. Deshalb wird alles negativ besetzt, was mit Kleinbürgertum zu tun hat. Das ist jetzt alles schlecht. Man ist heute Weltbürger.

Heute soll man völlig flexibel sein, völlig unbeständig umher vagabundieren, seiner Arbeit hinterherziehen, Wurzeln stören da. Die Wirtschaft will einen neuen Menschen. Wir sollen uns ständig neu einrichten, dass die Wirtschaft brummt. Wir sollen auch ständig alles wechseln. Krankenkasse, Stromanbieter, Versicherungen, Telefongesellschaft, usw.

Was daran gut sein soll, dass man jährlich alle Verträge kündigen und neue abschließen soll, weiß ich jetzt auch nicht so genau. Es kostet viel Zeit und viel Ärger ist auch vorprogrammiert, oft verschlechtert man sich auch dabei. Das billigste Angebot ist oft gar nicht das billigste.

Mir gefällt das ständige Bäumchen-wechsel-dich-spiel überhaupt nicht. Wenn ich mit etwas zufrieden bin, warum soll ich das dann wechseln?

Das macht einem aber heute schon verdächtig, wenn man nicht bereit ist, ständig alles zu wechseln, oder wenn man gar jahrzehntelang am selben Ort wohnt. Jahrelang beim selben Arbeitgeber, dass geht auch nicht mehr, da sorgen heute schon die Arbeitgeber dafür. Und wenn man jetzt noch keine Migrationshintergrund in der Familie nachweisen kann, dann ist man nicht nur Ober-Spießer, nein, dass macht dann, laut Frau Käßmann, sogar verdächtig ein Rechter zu sein.

Wir dürfen also keine Spießer mehr sein. Wir sollen uns als Weltbürger sehen.

Aber wollen die Menschen das überhaupt? Einige sehen sich sicherlich schon heute als Weltbürger und die nachwachsenden Generationen werden sich ganz sicherlich eines Tages so sehen. Die junge Generation legt auf Beständigkeit sowieso keinen großen Wert mehr. Das sei ihnen auch erlaubt. Sie sind jung und haben Null Ahnung was so alles auf sie zukommt und sind offen fürs Neue. Sie sind Risikobereit.

Aber, man muss doch auch mit den Leuten zusammenleben, die etwas ängstlicher sind, die weniger Risiko eingehen wollen. Dürfen wir uns dann anmaßen, diese Menschen zu verurteilen, weil sie nicht so sind, wie es die Weltbürger wollen?

Letztens sagte eine Frau in einer Talkshow, in der es darum ging, das man auch in Zeiten des Terrors ohne Angst sein Leben so weiter leben sollte wie bisher, sie habe auch ein Recht darauf Angst zu haben.

Ja, es gibt auch ein Recht, Angst zu haben. Wer darf das den Menschen absprechen? Es kann doch nicht Bürgerpflicht werden, das man jetzt trotz all dem Terror auf alle Massenveranstaltungen gehen muss um Kante zu zeigen.

Wie sollen wir denn jetzt miteinander umgehen? Gerade die Weltbürger plädieren doch darauf, dass wir uns respektvoll behandeln sollen. Das es jedem Individuum zusteht so zu sein, wie er/sie/es, es will.

Gilt das nicht auch für die Spießer? Gibt es nicht auch ein Recht darauf Spießer zu sein? Dürfen die Weltbürger die kleine Welt der Spießer einfach so zerstören um eine weltoffenen Gesellschaft auszurufen?

Hat man die Menschen überhaupt einmal gefragt, wie viele Menschen sich als weltoffene Gesellschaft, als Kosmopoliten sehen, und wie viele Menschen lieber weiterhin in ihrer kleine überschaubaren Welt leben wollen, oder wie viele Menschen mit ihrer kleinen Welt ganz zufrieden sind? Davon gibt es sicherlich ganz viele. Seit wann ist das schlecht, wenn Menschen mit ihrer Welt zufrieden sind und sie sich deshalb keine andere wünschen?

Auf jeden Fall lassen sich Menschen, die so sind, wie sie nun mal sind, nicht einfach von heute auf morgen umprogrammieren. Solche Veränderungen brauchen Zeit. Es wird in Zukunft ganz sicherlich andere Menschen geben. Die Welt ist im ewigen Wandel.

Aber mit denen, die heute leben, müssen wir auch leben, wir können und dürfen nicht über die Köpfe dieser Menschen entscheiden. Und es sind viele. Wahrscheinlich sind sie sogar sogar die Mehrheit.

Das ist auch das große Problem unserer Zeit. Überall, nicht nur bei uns.

In Amerika haben sich die sogenannten „kleinbürgerlichen Spießer“ einen Präsidenten gewählt. In England für den Brexit gestimmt. In Ungarn und Polen machen die Regierungen, das was die kleinbürgerlichen Spießern, die sie gewählt haben, wollen.

Es ist auch keine Frage, ob man den „kleinbürgerlichen Spießern“ nun alles Recht machen soll? Wir haben eine Demokratie und in der hat jeder das gleiche Recht und eine Stimme bei der Wahl.

Also wenn die Mehrheit „kleinbürgerlichen Spießern Politik“ möchten, wer hat dann das Recht, dieses zu verbieten?

Wenn man will, dass die Mehrheit sich als Weltbürger sieht, dann muss man auch eine Politik machen, so dass die Menschen ihren Vorteil darin sehen, Weltbürger zu sein.

Das ist aber heute mitnichten so. Nicht alle haben bei dieser weltoffenen Politik Vorteile, viele sind auch die Verlieren in diesem Spiel. Wer möchte es denen verdenken, dass sie deshalb unter diesen Bedingungen keine Weltbürger sein wollen.

Seltsam erscheint mir auch, das alle Menschen Rechte haben sollen nur die Spießer scheinen keine zu besitzen.

Den Weltbürgern ist es ganz wichtig, dass die Einzigartigkeit der Menschen ein hohes Gut ist. Niemand soll sich verbiegen müssen. Okay, so weit so gut. Finde ich auch völlig in Ordnung. Allerdings sollte das für alle Menschen gelten.

Warum dürfen dann die Spießern, nicht so sein, wie sie sind. Da werden sämtliche Hebel in Bewegung gesetzt, da wird diffamiert, da werden diese Leute beschimpft, da wird sogar zum Denunzieren dieser Leute aufgerufen.

Ja haben die Spießer denn nicht auch das Recht, so zu sein, wie sie sind? Gelten für sie keine Rechte? Keine Meinungsfreiheit? Keine Demonstrationsrecht? Nicht die Freiheit, das zu wählen was sie möchten? Darf man so einfach Menschen, die eben keine Weltbürger sein wollen, ausschließen?

Haben wir nicht die Freiheit, dass wir das sein dürfen was wir wollen? Die einen dürfen Weltbürger sein, wenn es aber Menschen gibt, die keine Weltbürger sein wollen, dürfen wir sie dann dazu zwingen? Gibt es ein Gesetz dass dazu berechtigt? Auch Spießer zu sein ist schließlich eine Lebensphilosophie.

Wir haben eine Mehrheitspolitik, und da muss die Politik eigentlich das umsetzen, was die Mehrheit möchte und nicht das, was einen Minderheit gerne hätte. Die Politik kann nicht einfach diktieren und alle müssen mit.

Normalerweise muss sie es ihren Bürgern erklären, warum sie diesen Weg wählt und die Bürger müssen auch etwas davon haben, denn einfach nur sagen, dass ist jetzt gut für euch, glaubt niemand mehr.

In anderen Ländern, wird das Volk befragt, wenn es um einschneidende Maßnahmen geht, wie der Beitritt zur EU oder der Brexit. Andere Länder sind da viel demokratischer wie wir.

Man mag jetzt zur Volksbefragung stehen wie man will, aber sie ist besser als das was bei uns gerade abgeht. Wir sind doch entmündigte Bürger, wir werden nur zur Wahl befragt. Und dann werden wir noch beschimpft, wenn wir falsch gewählt haben, denn wir dürfen gar nicht das wählen was wir möchten.

Natürlich offiziell dürfen wir unser Kreuzchen überall dort machen wo wir wollen, bei den Bibeltreuen Christen, den Violetten, den Orangen, der DKP sogar bei der NPD.

Die Wahlfreiheit gilt aber nur, wenn die Parteien unter 5 % bleiben. Dort, wo die Gefahr besteht, dass die Partei die 5 % Hürde schaffen würde, da dürfen wir unser Kreuzchen nicht hinmachen. Das soll mit allen Mitteln verhindert werden. Spießer dürfen anscheinend keine eigene Partei haben.

Deshalb wird auch die AfD so schlecht geredet, das jede Berührung mit dieser Partei einem die Freunde, das Ansehen, die Kariere oder sogar den Job kosten kann. Wer gibt eigentlich den sogenannten Guten das Recht dazu? Kann man sich dann noch zu den Guten zählen, wenn man in demokratische Prozesse so massiv eingreift, sogar bis zur Wahlmanipulation? Ich finde das sehr undemokratisch. Die Gefahr für unsere Demokratie geht im Moment eher von den Guten aus, als von irgendwelcher Partei.

Warum überfordern wir die Menschen damit, dass sie von heute auf morgen jetzt Weltbürger sein sollen, wenn man sie bis heute noch nicht dazu gebracht hat, sich als Europäer zu fühlen?

Erst, wenn wir uns in Europa alle gegenseitig toleriert haben und eins geworden sind, könne wir auch Weltbürger mit offenen Außengrenzen werden. Das wird kommen, da muss man auch mal abwarten können. Mit der Hauruck Methode erreicht man meist das Gegenteil.

So, wie man jetzt den Osteuropäern einfach eine Flüchtlingsquote aufzwingen will geht das auf jeden Fall nicht? Dort leben noch mehr Menschen, die lieber unter sich bleiben wollen, als bei uns. Man darf auch nicht vergessen, die sind an fremde Menschen noch nicht solange gewöhnt, wie wir im Westen.

Wenn man davon ausgeht, dass wir uns in Europa noch vor Kurzem, ja, vor Kurzem, denn in der Menschheitsgeschichte sind 70 Jahre nur eine sehr kurze Zeit, bekriegt haben, dann haben wir doch eigentlich schon viel erreicht.

Mag sein, dass das für manche nicht genug ist und alles nicht schnell genug geht, für andere wiederum geht alles viel zu schnell. Dennoch sollte man auch das Positive sehen. So viele unterschiedliche Menschen unter einen Hut zu bringen ist eben nicht einfach. Aber wir haben es bis jetzt in vielen Bereichen erreicht.

Was wir aber nicht erreicht haben, ist, dass wir uns alle als Europäer sehen.

Da frage ich mich dann, wäre es denn nicht besser, wenn wir einen Schritt nach dem anderen machen würden? Erst sollten wir mal schauen, woran das liegt, dass sich so viele noch nicht mit Europa identifizieren können. Daran sollte die Politik vorrangig arbeiten.

Und nicht den zweiten Schritt vor dem ersten gehen. Denn dann fliegt man auch gerne mal auf die Nase. Erst sollten wir uns als Europäer begreifen und dann erst als Weltbürger. Da ist noch sehr viel offene Arbeit.

Zuerst müssen wir die Europäer zusammenschweißen. Dazu gehört aber auch dass man die Außengrenzen vor illegaler Migration schützt. Des Weiteren brauchen wir eine gemeinsame Asyl- und Einwanderungspolitik. Aber nicht eine von Brüssel nach Gutsherrenart diktierte, sondern eine mit allen Staaten gleichsam ausgehandelte. Also eine echte gemeinsame, ausgleichende Politik.

Leben und Leben lassen ist auch nicht die schlechteste Alternative. Langsam kommt man auch ans Ziel. Oder auch die Zeit regelt alles. Alles ist Veränderung nichts bleibt stehen.

Deshalb ist es völlig kontraproduktiv, wenn man etwas gegen den Willen der Menschen durchsetzen will. Also lasst die Spießer, Spießer sein und die Weltbürger, Weltbürger. Jeder hat nach seiner Version das Recht dazu. Aber lasst uns gemeinsam nach Wegen suchen, wo jeder seine Nische findet.

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Michlmayr

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Charlotte

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