Haben Sie Bad Ischl schon bei Nacht gesehen?

Der junge Mann liegt in T-Shirts und Jeans besinnungslos am Boden - er wirkt, als hätte ihn der Blitz beim Gehen getroffen, und er wäre auf der Stelle zu Boden gesunken.

Rund um ihn mäandern in kleinen Gruppen 15-20 mehr oder weniger betrunkene Nachtschwärmer. Als ich näher trete, um den Bewussstlosen in Augenschein zu nehmen, spricht mich einer der Jugendlichen mit schwerem Zungenschlag an. "Ich hab ihn beim Pinkeln gehen liegen gsehen. Wie ich das zweite Mal eine halbe Stunde später gegangen bin, ist er noch immer da gelegen, da hab ich die Rettung gerufen". Ich greife zum Telefon und wähle die Rettungs-Notrufnummer. Die Leitstelle bestätigt mir, dass ein Wagen bereits unterwegs ist.

Es ist Samstag Nacht, kurz nach ein Uhr - Hier an diesem Ort und zu dieser Zeit verströmt Bad Ischl nicht den gepflegten Charme der ehemaligen Kaiserresidenz der so tourismusförderlich gepflegt wird. Wir befinden uns im historischen Zentrum der Stadt, Kurpark und Pfarrgasse in unmittelbarer Nähe. Der Parkplatz auf dem der Junge liegt, grenzt an den Durchgang zu einem Hinterhof in dem eines der drei bis vier frequentierten Nachtlokale Bad Ischls seine Pforten öffnet.

Der Parkplatz wird von einem niedrigen Eisstand in Richtung Straße abgeschirmt, der Boden glitzert, von Glassplittern bedeckt, auf den Mauervorsprüngen stehen Flaschen, Gläser, Zigarettenschachteln. Zwischen den parkenden Autos stehen immer wieder kleine Gruppen im Dunkeln, Zigaretten glühen auf. Aus dem Durchgang kommen wankende Gestalten, werfen einen Blick auf den am Boden liegenden und gehen dann Richtung Autos um sich dort zu erleichtern und anschliessend wieder ins Lokal zu torkeln.

Gerade erst, vor einer Stunde hat hier um die Ecke ein Betrunkener randaliert, hat andere Nachtschwärmer attackiert bis schliesslich die Polizei einschreiten musste, und ihn nach kurzem Gerangel zur Polizeiinspektion mitgenommen hat - auch das ist wie man den lallenden Gesprächen der Anwesenden entnehmen kann noch immer ein Thema.

Ich kniee mich zu dem jungen Mann, und versuche festzustellen, ob er noch atmet, bzw. ob ein Puls zu spüren ist. Seine Arme sind bereits kalt, er atmet flach, der Puls ist kaum zu spüren.

Irgendjemand aus der Menge hat ihn in eine Art Seitenlage befördert. Drei offensichtlich nicht angetrunkene Mädchen haben sich um ihn herum positioniert, seine Geldtasche gesichert. Einer der Begleiter fordert sie auf, jetzt endlich wieder in das Lokal zu kommen. "Willst Du ihn hier liegen lassen? Die nehmen ihm ja seine Geldbörse ab" ist die emotionale, aber auch durch augenscheinlich praktische Erfahrungen pragmatische Erwiderung. "Schau lieber, ob die Rettung kommt". Murrend zieht der junge Mann ab um an der Straße Wache zu halten.

Es ist ein Szenario, welches ich in den aktiven Fortgeh-Zeiten meiner Kinder immer mit Schrecken vor Augen gehabt habe. Trotz aller präventiven Gespräche über Alkohol und Drogen passiert die Sozialisierung und auch die Initation in die Gesellschaft der "jungen Erwachsenen" noch immer über kollektive Parties. Das "Vorglühen" in einer Wohnung oder bei den Eltern eines Freundes/Freundin mit mitgebrachen Alkoholika hilft, die Kosten des anschliessenden Lokalbesuchs in alterskonformen Kostenbereichen zu halten.Auf Grund der Kleinheit der Stadt und der eingeschränkten Möglichkeiten zur Freizeitgestaltung am Samstag Abend gibt es auch eine starke Verbundenheit unter den Jugendlichen. Man kennt sich zumeist vom Fortgehen, von Vereinen, der Arbeit - und wie man hier und heute auch sieht, man kümmert sich trotz alledem auch um Mensche die ein Problem haben.

Während ich versuche, den Bewusstlosen mit leichten Schlägen ins Gesicht zu Reaktionen zu animieren, geht hinter mir das abendliche Treiben unbeirrt weiter. In kleine Gruppen wanken(gehen kann man wirklich nicht mehr sagen) die Nachtschwärmer in Richtung Lokal. Würgende Geräusche in meinem Rücken lassen mich kurz über die Schulter schauen - augenscheinlich haben hier einige Anwesende mehr als genug konsumiert und müssen sich akut entgiften.

So augenscheinlich auch der junge Mann am Boden vor mir - er wirkt nicht, als hätte er zuviel getrunken. Es hat schlicht den Eindruck, als hätte man den Stecker gezogen - vor mir liegt nur mehr der Körper, eine Hülle, ohne jede Regung oder Reaktion.

Das hier ist nicht wirklich ein Ausnahme-Samstag in Bad Ischl. Spätestens ab Donnerstag-Abend wenn die Internatsschüler der höheren Schulen in Bad Ischl Ausgang haben, ist High-Life angesagt. Es wird massiv Alkohol konsumiert, von Drogen die rund um die Lokale oder am Bahnhof verkauft werden wird geflüstert.

Und es muss in letzter Zeit definitiv mehr als Alkohol geworden sein, denn wenn man an manchen Abenden die Agressivität beobachtet, mit der die Ausgehenden miteinander und anderen Menschen umgehen, so bleibt nur der Schluss offen, dass sie irgendetwas genommen haben. Auch wenn man mit den Taxi-Fahrern spricht, die unmittelbar vor dem Eisstand ihren Stand haben, so bestätigen diese regelmässig aufflackernde Gewalt-Ausbrüche. Schlägereien aus Nichtigkeiten heraus, verbale aber auch körperliche Gewalt kommen ans Tageslicht.

Die Rettung ist endlich gekommen. Zwei junge Sanitäter steigen mit ihrer Ausrüstung aus, und beginnen in ruhigen Bewegungen die Lage zu sondieren. So wie sie agieren, wie sie den Anwesenden Fragen stellen, verströmen sie Routine in diesem Setting. Die ersten Maßnahmen werden gesetzt, Puls und Kreislauf gemessen - die beiden werden unruhig. "Schnauft er noch" fragt die Sanitäterin ihren Kollegen, der nach kurzer Kontrolle bestätigend nickt. Fünf Minuten später ist der Notarzt auch vor Ort. Auch ihm scheint ein solches Setting vertraut, nach initialen Untersuchungen wird der Bewusstlose auf eine Bahre gelegt und in den Rot Kreuz-Wagen gebracht. Die Masse der Anwesenden macht sich auf zum nächsten Drink. Neben mir laden sich zwei ehemalige Schulkollegen lallend auf ein Wiedersehens-Getränk ein, um anschliessend Richtung Lokal zu verschwinden.

Ich gehe zu meinem Auto - das Rettungsauto versperrt mir die Ausfahrt, so bleibe ich im Dunkeln sitzen, und beobachte die Sanitäter und den Notarzt bei ihren Bemühungen den jungen Mann zu stabilisieren. Hin und wieder möchte ein Betrunkener in den Wagen schauen, wird aber weggeschickt. Zwei Polizisten erscheinen, halten kurz Rücksprache mit dem Notarzt und gehen dann in das Lokal. Endlich nach einer gefühlten Ewigkeit packen die Sanitäter zusammen, die Türen schliessen sich und der Rot Kreuz-Wagen fährt Richtung Spital ab.

Das Treiben auf der Straße geht munter weiter, auch ich fahre nach Hause.

Der beschriebene Event hat gestern mit mir als Anwesenden so stattgefunden - wer nun glaubt, ich übertreibe oder überzeichne die Fakten, den lade ich gerne zu einer nächtlichen Bad Ischl-Tour der anderen Art ein. Rund um Mitternacht einmal durch die Innenstadt, und sie werden wissen was ich meine, bzw. was ich beschrieben habe. Es reicht aber auch aus, wenn sie Sonntag morgen zwischen fünf und sechs die Innenstandt durchwandern - die Szenarie gleicht dann einem verlassenen Schlachtfeld. Müll, Glassplitter, Gläser, Fleischen, überquellende Mülltonnen - kein schöner Anblick.

Ich hoffe für den jungen Mann, dass die Geschichte für ihn glimpflich ausgegangen ist und er sich schnell erholt.

Den Verantwortlichen sollte man in das Stammbuch schreiben, dass es uns nicht egal sein sollte, wie unsere Kinder/Jugendlichen aufwachsen und welchen Gefahren sie ausgesetzt sind. Das Argument, dass es schon immer so gewesen sei, und ein Rausch niemand schaden würde kann ich nicht mehr hören.

Seit gestern schon gar nicht mehr.

1
Ich mag doch keine Fische vergeben
Meine Bewertung zurückziehen
Du hast None Fische vergeben
6 von 6 Fischen

bewertete diesen Eintrag

Silvia Jelincic

Silvia Jelincic bewertete diesen Eintrag 29.05.2016 22:38:17

2 Kommentare

Mehr von Cossberger