Wie soziale Netzwerke den sozialen Aufstieg erschweren

Jeder von uns informiert sich gerne über das aktuelle Tagesgeschehen oder lustige Hoppalas aus dem Freundeskreis. Man tauscht sich über mehr oder wenige relevante Veränderungen aus, kann Gleichgesinnte finden, sich in diversen Gruppen engagieren. Daran ist ja auch per se noch nichts „schlecht“. Doch wer meinen Schreibstil kennt und gelernt hat, zwischen den Zeilen zu lesen, der weiß jetzt schon: da kann nicht alles heile Welt sein. In diesem Artikel möchte ich Cybermobbing, Datenschutz, Unterdrückung durch Abschalten des Internets und überraschende Werbebotschaften streifen.

Egal, welche Interessengebiete man in die Profil-Maske des Social-Media-Dienstes eingibt, früher oder später verweist dieser auf Gleichgesinnte à la: „Diese Person könnten Sie auch kennen / hat ähnliche Interessen“. So kann man wunderbar frühere Klassenkameraden anschreiben oder sich mit Sportlern aus aller Welt austauschen, ein dumpfes Gefühl bleibt dennoch: woher weiß das Internet, mit wem ich mich gut verstehen könnte? Die Macher dieser Netzwerke leben davon, möglichst viele verschiedene Details über ihre Nutzer herauszufinden, dazu gehören neben Wohnort, Alter, Ausbildungsweg, Bewegungsprofil (wo befindet sich dein Handy gerade), Kreditwürdigkeit, Wahlverhalten, Krankenakte, Süchte, Depressionen auch Informationen zum Freundeskreis, (teure) Hobbies, geheime Leidenschaften, Offline-Tätigkeiten und vieles mehr dazu. Insbesondere schneeballartige Lawinen, mit der der Nicht-Nutzer konfrontiert wird, erschweren es zunehmend, nicht länger an diesen Netzwerken teilzunehmen – ab dem Erreichen der kritischen Masse fühlt man sich ausgeschlossen, es entgehen einem sogar handfeste Vorteile, wenn man nicht dabei ist. Bei mir war das der Fall, als ich entdeckte, dass geschlossene Lerngruppen gebildet worden waren, wo Prüfungsfragen munter ausgetauscht und Lehrbücher vergünstigt verkauft wurden. Wie lange kann man widerstehen, einer solchen Gruppe nicht anzugehören? Wie sehr werden Leute ausgegrenzt, die elektronische Geräte (aus welchem Grund auch immer!) nicht nutzen wollen? Wie sehr fördert diese Vorgehensweise die Herausbildung sozialer Klassen, wo nur aufgenommen wird, wer auch dazugehören soll – und Diejenigen ausgegrenzt werden, die aus einer anderen gesellschaftlichen Schicht entstammen? Der Begriff „sozial“ wird in dieser Hinsicht mit Füßen getreten, da keineswegs Jedem die gleichen Chancen eingeräumt werden, an beliebigen Vorteilen teilzuhaben.

YOLO (you only live once) war gestern – heute gilt FOMO!Das steht für “fear of missing out”, also der Angst, gewisse Strömungen und relevante Veränderungen zu verpassen. Diese Angst kann nur entstehen (Grundvoraussetzung!), wenn ich die Informationen dazu abrufen kann, was ich gerade verpassen könnte – bis vor wenigen Jahren gesellschaftlich wie technisch nicht möglich. Da war man bei einer Party bis zum Ende und wusste nicht, wie schön es anderswo ist. Durch die heutige Vielfalt an elektronischen Reiseführern für mehr als 200 Länder, zig Party-Einladungen für jeden Werktag, dem virtuellen Herumgezerre und –gestubse – kommen wir irgendwann an den Punkt, an dem wir uns individuelle Informationsübersättigung und Überforderung eingestehen müssen. Typische Szene in der Wartehalle eines Bahnhofes: die Jugendlichen senken den Kopf und starren auf ein bunt blinkendes Display, die Älteren stützen sich auf ihren Stock, halten ein Plastiksackerl in der anderen Hand und tuscheln angeregt miteinander, dass früher alles besser gewesen sei. Zum Glück bleibt mir die Perspektive eines aktiven Beobachters, der weder von körperlichen Gebrechen geplagt ist, noch in einer starken Abhängigkeit zu technischem Krimskrams steht und daher – wie der Name schon sagt – aktiv Beobachten und Zuhören kann. Keine Frage, soziale Interaktion ist ein immens wichtiger Baustein in unserem Zusammenleben, wir sollten unser Wissen, unsere Erfahrungen und Erlebnisse austauschen, aber weder über Smartphones in undefinierbaren Zeichenfolgen und mit Selfies untermalt posten, wie es uns gerade geht oder als alte und gebrochene Person jede Veränderung ablehnen. Ideal wäre ein gesunder Mittelweg, ein offener Dialog quer durch alle Bevölkerungsschichten. Mir ist klar, dass unsere heimischen Bildungsanstalten nicht darauf ausgelegt sind, diesen Dialog zu fördern. Auch die österreichischen Politiker haben zum Großteil kein Interesse an gebildeten und aufbruchsbereiten Mitmenschen. Rot würde das schaden, weil dann das Märchen von wegen, alle wären gleich, endgültig verpufft. Blau würde das schaden, weil wir plötzlich nicht mehr unsere Nachbarn, Mitmenschen und Freunde hassen würden. Schwarz würde das schaden, weil  die Zahnrädchen im Wirtschaftskreislauf eigene Subsysteme entwickeln würden. Grün würde das schaden, weil keiner mehr an bisherigem Politbetrug interessiert wäre, wenn wir alle ermutigt in die Zukunft blicken, die wir selbst anders gestalten wollen. Hand auf’s Herz: wie hoch ist der Anteil derjenigen, die durch exzessive Selbstprofilierung im Internet wirklich ihren Traumjob (auf diversen Job-Plattformen) oder ihren Traumpartner (auf diversen Partner-Portalen) oder was auch immer gefunden haben, ohne den anderen vorher gekannt zu haben? Wohl verschwindend gering. Ich möchte damit nicht sagen, dass es von vornherein sinnlos ist, sich im Internet zu engagieren, aber dennoch würde ich es aus diversen Gründen vorziehen, wenn sich die Mitmenschen, Nachbarn und Freunde wieder mehr in die Augen sehen würden und die Anliegen, Veränderungen und Ängste direkt miteinander ausdiskutieren. Bei meiner Vision, Frieden zu stiften, sollte man als Teilziel wählen: absurde Überbewertung der Meinungen abschwächen, politische Themen auf konkrete Erfahrungen herunterbrechen, zwischen gegenläufigen Interessen vermitteln und Verständnis wecken, um schließlich zu kleinstmöglichen / schrittweisen Veränderungen zu ermutigen.

Manche Staaten sind gerade im Umbruch, da kommen die Machthaber gerne mal auf die Idee: „lasst uns doch das Internet abdrehen“. Webseiten werden geblockt oder gar nicht mehr zugelassen, man kennt hierzu auch diverse Bigplayer: Google und China, Twitter und Türkei, Facebook und Iran – allesamt keine besonders ungehemmten Interaktionen. Doch wer die Berichte über technikaffine Jugendliche gelesen hat, dem bleibt der Mund vor lauter Staunen offen, wie die die Hürden umgehen. SMS oder persönliche Gespräche sind da noch harmlos, interessant werden etwa Bluetooth-Netzwerke oder ausländische Mitstreiter, um die Revolution zu koordinieren. Apples sechste Version eines Mobiltelefons wird sich (bei schlechter Mobilfunkverbindung) automatisch in offene WLANs oder andere Internetverbindungen einloggen, damit du weiterhin telefonieren kannst. A1 plant dazu auf Anfrage, diese Anwendungsmöglichkeiten „zu prüfen“. Es ist offensichtlich, warum A1-Entscheidungsträger nicht Fans der ersten Stunde sind: wenn die Nutzer die Funktion verwenden, um auch bei aufrechtem Mobilfunknetz via Internet oder Bluetooth Daten auszutauschen, dann stehen unsere Mobilfunkanbieter mit leeren Händen da. Naja, ich bin mal gespannt, wie lange A1 gegen die Interessen von Apple standhält. Schon eine kuriose Vorstellung: wir verzichten auf unsere wunderschönen Mobilfunkmasten und nutzen stattdessen nur noch Internettelefonie – Dienste gibt’s ja genug, prominente Beispiele hierfür sind Skype oder Whatsapp (wollen bald kostenlose Telefonie-Dienste anbieten). Plötzlich fallen auch die öffentlichkeitswirksam ausgetragenen EU-Roaming-Gebühren-Verhandlungen weg …

Manche amerikanische Unternehmer zeigen bislang eine seltsame Einstellung zum Datenschutz: „Warum soll ich Daten schützen, die ohnehin mir gehören, das beschränkt doch meine Erträge?!“ Das mag schon sein, als Nutzer wird man gezwungen, diverse unverständliche „Datenschutzrichtlinien“ zu akzeptieren, um überhaupt Teil dieses Netzwerkes werden zu können. Darin steht vermutlich auch (wie bei Facebook), dass die Daten quasi beliebig an Kooperationspartner weitergegeben werden – wer diese nun sind, wird nicht ersichtlich, aber das kann NSA, CIA oder jeder andere Verein sein, der gerne nach dir sucht. In der Facebook-Datenschutzrichtlinie 2010 findet sich der schöne Satz: „Ohne deine Zustimmung geben wir keine deiner Informationen an Werbekunden weiter.“ – aha, und warum werde ich dann mit unerwünschten Werbebotschaften überschüttet?! Auch ein Schmankerl: „Gelegentlich tauschen wir gesammelte Informationen mit Dritten aus, damit wir unsere Dienstleistungen verbessern […] können.“ Wow. Ob dieser erschreckenden Ehrlichkeit bin sogar ich fassungslos: „Wir geben deine Informationen an Dritte weiter, wenn wir der Auffassung sind, dass du uns die Weitergabe gestattet hast.“ Um dieser Logik zu folgen, darf ich auch auf meine Homepage schreiben: „Wenn Sie Ihre Geldbörse im Restaurant beim Bezahlen auf den Tisch legen, darf ich mal eben hergehen und ein paar Zehner herausnehmen – ich bin nämlich zur Auffassung gelangt, dass Sie mir das erlauben.“ Diese Liste könnte man beliebig fortsetzen, aber ich glaube, man erkennt, worauf ich hinauswill: sei vorsichtig im Umgang mit deinen Informationen und Daten, Facebook würde diese an x-beliebige Leute weiterverkaufen, wenn man zur Auffassung gelangen kann, dass du damit einverstanden bist (was du ja bei der Anmeldung zum Netzwerk hoffentlich warst, ansonsten hättest du das Häkchen nicht aktivieren dürfen!). Es kommt immer wieder der Hinweis: wenn du nicht willst, dass man zu viel von dir erfährt, hast du dafür zu sorgen, dass man nicht zu viel von dir erfährt – wie das konkret geht und man dennoch soziale Netzwerke nutzen kann, schreibt Facebook leider nicht. In diesem Zusammenhang sei auch Cybermobbing erwähnt, dies funktioniert klarerweise umso besser, je mehr kompromittierende Informationen über dich erhältlich sind.

Wer den Film „The Social Network“ gesehen hat, der hat eine Ahnung davon, dass Facebook ursprünglich als cooles Mitmachnetzwerk gegründet wurde, man kann Bilder hochladen, Verbindungen zu Freunden, Studienkollegen und Arbeitgebern herstellen. Es war ein elitäres Netzwerk, deren Zugang nur Angehörigen ausgesuchter Universitäten möglich war. Dann stieg der Druck auf Mark Zuckerberg, er möge doch endlich Gewinne erwirtschaften, um Aktionäre glücklich zu machen. Mittlerweile sind wir an einem Punkt angelangt, wo man Freunde „fragen“ soll, um weitere Details offenzulegen. Die Anfrage nach dem Wohnort mag noch harmlos sein, aber sobald Facebook weiß (und nicht nur vermutet!), welche politischen Ansichten und religiösen Überzeugungen du teilst, bist du Goldes wert. Ich weiß nicht, wer aktuell der größte Datensammler und –speicherer ist, aber gemunkelte Dimensionen von rund einem Yottabyte sind unvorstellbar. Da musste ich selbst erst einmal nachschauen, was über Terabyte kommt: Peta, Exa und Zetta sind noch dazwischen. Ein Yottabyte Speicherkapazität, das sieht als Zahl so aus: 1 000 000 000 000 000 000 000 000. Das gibt’s nicht irgendwann, sondern 2020 – bis dahin soll diese einzelne Anlage dieses Volumen speichern und verarbeiten können. Wir sollten uns langsam überlegen, ob wir wirklich gerne freiwillig Firmen unsere Identität überlassen, für welche Zwecke auch immer – oder ob wir uns für etwas mehr Privatsphäre und Datenschutz einsetzen.

Zum Abschluss dieses Artikels will ich noch ein wenig auf die Anwender der sozialen Netzwerke eingehen. Diese erwarten sich völlig neue und überraschende Botschaften, diese müssen unterhaltend, informierend, unmittelbar und frei von PR-Gewäsch sein. Der kommentarlos auf Facebook gepostete Frühjahrskatalog wäre eine glatte Themenverfehlung, so die WKO. Als Gegenbeispiel bringe ich hier die Super-Bowl 2013. An sich ein medial hochgepushtes Werbeevent mit 100 Millionen Zusehern (alleine in den USA!), wo zufällig ein paar verschwitzte Männer mit einem Plastikstück herumlaufen. Der Stromausfall veranlasste zahlreiche Unternehmen, witzige und einfallsreiche Kommentare abzugeben, mit Reaktionszeiten so um die fünf Minuten – der durchschnittliche Frühjahrskatalog hat typischerweise ein halbes bis ganzes Jahr Entwicklungszeit. Audi bot an, leistungsstarke LED’s ihrer neuen Fahrzeugflotte zur Verfügung zu stellen, OREO vermeldete, dass man deren Kekse auch im Dunkeln in Milch eintunken könne.

Ich hoffe, dass ich mit diesem Artikel ein paar persönlich verwertbare Anregungen geben konnte, was man verändern kann, um sich selbst vor dem immensen Einfluss großer Unternehmer zu schützen, und zeitgleich den sozialen Aufstieg meistern kann – was derzeit nicht im Sinne der „sozialen Netzwerke“ zu sein scheint, dort soll man sich immer möglichst nur mit den gleichen Leuten unterhalten, jedenfalls hat mir noch kein Medium angeboten, ich möge doch Obama oder Merkel eine Freundschaftsanfrage schicken und mit ihnen Abendessen gehen – das wäre nämlich hochinteressant für mich!

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