Von weitem sehen die Berge aus wie Sanddünen, doch es täuscht. Osh ist eine Halbwüstenstadt im Südwesten Kirgistans, umgeben von sandfarbenen Grasbergen, nur im Frühling sind sie grün, das ist die regenreichste Zeit. Es wird von Jahr zu Jahr trockener, die Bergflüsse, die am Rande der Stadt fließen, geben jedoch genügend Wasser. Die fünfundzwanzigjährige Baktygul erzählt: „Früher mussten mein Bruder und ich das Wasser vom Fluss mit unserem schwarzen Esel holen, hin und zurück waren es sechs Kilometer.“ Heute fahren ihre Brüder mit dem Auto zum Fluss. Über Fließwasser verfügt kaum ein zentral- und südkirgisischer Haushalt. Osh hat mit seinen immerhin 250.000 Einwohnern kein Kanalsystem, im Norden und in der Hauptstadt Bishkek sei man besser ausgestattet. Das Brauchwasser holt sich Baktyguls Familie vom kleinen Bach der neben der Hauszufahrt fließt, das Trink- und Kochwasser spendet der Fluss der den Bergen entspringt. Osh erzählt Geschichten aus 1001 Nacht, Salomons Grab soll sich im heiligen Stadtberg befinden. Im Altertum war die Stadt, an der Seidenstrasse gelegen, eine wichtige Handelsmetropole auf der Route zwischen dem Iran, China und Indien.

Nach drei Tagen verlassen wir Osh und begeben uns auf den Pamir-Highway in Richtung Süden. Unser Ziel ist Josholu, ein Dorf im Alaj in Südkirgistan. Gegenwärtig eine durchaus gut ausgebaute Strasse, war der Highway früher eine der Hauptrouten der Seidenstrasse. Heute ist er eine wichtige Verbindung nach Tadschikistan und weiter nach China, Afghanistan und Pakistan „Wir hier in Osh werden die Wüstenfrauen genannt, im Alaj leben die Bergfrauen.“ berichtet die junge Kirgisin. „Wir sind bekannt für unsere Kochkünste, die Bergfrauen hingegen überzeugen in der Herstellung der Shyrdaks“ so Baktygul. Sie hat sich vor vier Jahren auf den Weg von Osh nach Europa gemacht um zu studieren. Gemeinsam initiierten wir 2014 mit ihrem in Osh lebenden Bruder Jyldyz das Projekt „nomadique – Silkroad Heritage“ (www.nomadique.at). Unser Ziel ist es die traditionelle Handwerkskunst zu fördern und den Europäern näher zu bringen. Das berühmteste nomadische Produkt Kirgistans ist unbestritten der Shyrdak, ein aus Schafwolle gefilzter und sehr aufwendig produzierter Teppich. Die Teppiche sind so besonders, dass sie von der UNESCO zum Weltkulturerbe erklärt wurden.

Wir erreichen Josholu. Das stille Dorf auf knapp 2000 m Höhe ist umgeben von wunderschönen namenlosen Bergen. Gulbarchyn erwartet uns mit ihren fünf Kindern, wir bekommen die erst unlängst von ihr angefertigte Gäste-Jurte zur Verfügung gestellt. In dieser werden wir schlafen, essen und unsere Geschäftsverhandlungen abhalten, denn wir möchten zukünftig zusammen arbeiten. Gulbarchyn arbeitet als Geographielehrerin. Ihr Mann ist vor acht Jahren gestorben, im Haus geblieben ist ihre mittlerweile achtzigjährige Schwiegermutter, die sie mitversorgt. Das Lehrergehalt reicht nicht für sieben Personen, daher möchte sie mit der Herstellung und dem Verkauf von Teppichen und anderen gefilzten Produkten ein Zubrot verdienen. Das Handwerk hat sie von ihrer Schwiegermutter und ihrer Mutter gelernt, professionalisiert hat sie es im Rahmen einer Master Class in der Hauptstadt Bishkek.

Wir sind die Attraktion im Dorf, schier alle Dorfbewohner versammeln sich in Gulbarchyn‘s Garten. Zwei Nachbarskinder kommen auf einem Esel geritten. Wir werden angehalten uns die Hände zu waschen um dann in der Jurte Chai zu trinken. Es ist ein Kommen und Gehen, Nachbarn und Verwandte nehmen abwechselnd neben uns Platz um uns zu bestaunen und Essen mit uns zu teilen. Wir sind vermutlich die ersten Europäer in Josholu.

In der Nacht sollten wir auf keinen Fall zu weit in Richtung Fluss gehen, so die Kinder, da wären wolfsähnliche wilde Hunde, die würden uns fressen. Tatsächlich, das nächtliche Geheule der „kleinen Wölfe“ lässt mich kaum schlafen, der Hund bewegt sich nicht weg von der Jurte, er schlägt an sobald er Gefahr wittert. Seine Anwesenheit beruhigt mich.

Am nächsten Tag wird zu unseren Ehren das einzige Schaf der Familie geschlachtet, doch vorher wird ihr fünfzehnjähriger Sohn Ariet noch die Wolle des Schafes schneiden, so Gylbarchyn. Ariet bleibt gelassen, als er dem Schaf die Beine zusammen binden muss, denn es wehrt sich. „Sie spüren es wenn sie geschlachtet werden“, sagt Baktygul. Er schneidet mit flinken Händen dem Schaf die Wolle vom Körper, welche gleich für die Herstellung von Shyrdaks verwendet wird. Später würde er das Schaf töten, er macht es zum ersten Mal, übersetzt mir Jyldyz. Ich möchte nicht zusehen, Ariet schmunzelt als ich sein Angebot höflich ablehne. In Windeseile wird alles was das Schaf hergibt verarbeitet, denn es ist sehr heiß. Um die Innereien kümmern sich die Frauen, die Mädchen sehen ihnen dabei zu um es später selber machen zu können, das ist Tradition. Den ausgehöhlten Schafskopf erhält der Hund, die gebratenen Schafsbeinchen die Töchter. Zum Abendessen gibt es als Vorspeise Schafsuppe und danach das Fleisch. Überall riecht es sehr intensiv nach Schaf, mein verwöhnter europäischer Magen meldet sich und mein Appetit hält sich in Grenzen, doch das angebotene Essen darf nicht abgelehnt werden, das würde ihre Ehre verletzen, so Jyldyz. Während ich höflich versuche zu essen, kommt mir der Vegan-Hype in Europa in den Sinn und ich muss insgeheim schmunzeln, was für eine andere Welt.

Ariet, der älteste und einzige Sohn Gulbarchyn’s erledigt die Arbeiten eines Vaters. Was er nach der Schule machen möchte, frage ich ihn während wir in der Jurte Chai schlürfen. Baktygul übersetzt: „Er möchte Architekt werden“. Doch das Architekturstudium wäre teuer, so Gulbarchyn, aber sie werde alles tun um ihren Kindern Perspektiven zu bieten. Davon gibt es speziell im Süden Kirgistans nicht viel. Jobs gibt es wenige bis keine, dafür lebt man, im Unterschied zu den größeren Städten, von Landwirtschaft, Viehzucht und dem Anbau des hauseigenen Gemüses. Funktionierende motorisierte Landmaschinen gibt es in dieser Gegend kaum, die übriggebliebenen Maschinen aus der Sowjetzeit rosten geduldig hinter den teilweise fensterlosen Häusern dahin. Die Perestroika war zugegebenermaßen ein großer Schritt, welcher jedoch nur von Moskau aus entschieden wurde. Kirgistan, die ehemalige Kirgisische SSR, war ungefragt von heute auf morgen auf sich gestellt und konnte seine Chance auf wirtschaftliche Unabhängigkeit bis heute nicht nutzen. Die jahrzehntelange Fremdbestimmung seitens des Kreml prägte das Land. Aufschwung ist keiner zu spüren. Exporte sind kaum vorhanden, Kirgistans größte Exportprodukte sind Gold und Kupfer. Man ist abhängig von Russland und China, die den Rohstoff-Markt dominieren und satte Gewinne machen. Erdöl- und Gasvorkommen sind, im Gegensatz zu den Nachbarländern Kasachstan und Usbekistan, unbedeutend. Fast 50 % der Bevölkerung Kirgistans lebt unter Armutsgrenze, wobei der Norden des Landes gegenüber dem Süden deutlich bevorzugt ist.

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Kirgisen lebten jahrhundertelang als Nomaden, dieser Lebensstil prägt ein Volk nachhaltig. Die Aufrechterhaltung von Tradition und Kultur ist ihnen wichtig, aber der Wunsch nach wirtschaftlichem Fortschritt und einer funktionierenden Demokratie ist speziell den jungen Menschen ein Anliegen. Doch Korruption und Misswirtschaft stehen heute an der Tagesordnung und legt das Land lahm. Zu viele junge Menschen, vorwiegend Männer, sieht man tagsüber am Strassenrand sitzen, die Perspektivlosigkeit und landesweite Depression ist vor allem auch in den Städten unübersehbar. Die korrupte Parteipolitik ist eng mit der Wirtschaft verbunden und es gibt wenig Bewegung in eine andere Richtung. Initiative junge Menschen, jene die etwas gestalten und bewegen möchten, haben Angst vor der „Mafia“, so bleiben sie still, oder verfolgen das Ziel auszuwandern, nach Europa, Australien, vor allem USA wäre toll. Zahlreiche Kirgisen zieht es nach Russland, dort gibt es Arbeit, viele Familien könnten ohne der finanziellen Unterstützung der ausgewanderten Angehörigen nicht überleben, erzählt Jyldyz.

Es ist unser letzter Tag in Josholu. Das Team von Gulbarchyn macht sich an die Arbeit, die Frauen wollen uns zeigen wie sie Schafwolle für die Teppiche filzen, färben und ihre Produkte entwerfen. Später zieht Gulbarchyn ihr schönstes Kleid an und flechtet ihre langen Haare zu dicken Zöpfen, denn ich habe ein Interview vor laufender Kamera geplant, danach fixieren wir unsere Partnerschaft. Mit viel Freude und der Hoffnung Gulbarchyn’s Familie mit dem Verkauf ihrer Produkte unterstützen zu können schlafe ich ein, das Heulen der Wölfe und das Hundegebell bin ich wohl bereits gewöhnt. Vor unserer Abreise am nächsten Morgen erhalten wir einen schamanischen Segen von der Schwiegermutter, sie ist in der Gegend und darüber hinaus berühmt für diese ganz besondere Gabe.

Wieder auf dem Pamir-Highway begeben wir uns in den südlichsten Teil des Landes. Auf 3600 m Meter übernachten wir in einem Jurtencamp in der Nähe des Basislagers des höchsten Berges Kirgistans, dem Peak Lenin mit seinen 7134 Metern. Wir treffen Bergsteiger und Motorradfahrer aus Belgien, Frankreich und Italien. In der Kleinstadt Sari Mogol adaptierten einige Familien ihre Häuser zu Guest Houses, dabei sichtbar bemüht den europäischen Standards zu entsprechen. Es gibt noch viel zu tun in unserem Land, so der junge Guest House-Betreiber in dem wir zwei Nächte bleiben. Doch er ist gut vernetzt, das Wlan funktioniert einwandfrei, es kämen immer mehr Anfragen aus Europa. Er arbeitet mit internationalen Touristenbüros zusammen und organisiert geführte Touren, sogar bis zum Gipfel des Peak Lenin, erklärt er uns stolz in einwandfreiem Englisch. Die Chancen die der Individual-Tourismus diesem Land zu bieten hat sind unübersehbar und das lässt die Augen von Baktygul und Jyldyz leuchten. Sie haben wohl noch viel vor in ihrem Land.

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Petra vom Frankenwald

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fischundfleisch

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