EU-Corona-Gipfel wegen Rechtsstaatsmangel u.A. gescheitert ?

Der EU-Corona-Gipfel ist vorbei, alle Politiker erklären sich zum Sieger, die Empfängerstaaten des Paketes erklären, dass sie viel für sich herausgeschlagen haben, die Zahlerstaaten erklären, die sie nun weniger zahlen müssen, als anfangs erwartet, und die regierungshörigen Medien transportieren die Politikeraussagen fast völlig kritiklos.

Ein wesentlicher Aspekt bei diesem Gipfel, der vielleicht ein Gipfel der Frechheit war, bleibt aber ausgespart, nämlich die Rechtsstaatsfrage, die in Bezug auf Polen und Ungarn ein wesentliches Thema in der EU der letzten Jahre war, sodass der "Gipfel" also nur die vergleichsweise bedeutungslosen Themen anging, aber die wirklich heiklen und wichtigen Fragen auf die lange Bank schob. Von einem weiteren wesentlichen Aspekt, nämlich den Kontrollen und Missbrauchsbekämpfungen, war nichts zu hören - vielleicht wegen der Fokussierung auf Politikerglorifizierung. Ein weiterer ignorierter Aspekt ist das Bundesverfassungsgerichtsurteil, das gemeinsame Haftung für im Widerspruch zur deutschen Verfassung stehend erklärte.

Aber nicht nur das: durch den erfolgreichen Einspruch der "Sparsamen Vier" (Niederlande, Österreich, Dänemark, Schweden), die durch die Zugesellung von Finnland noch zu den "Sparsamen Fünf" wurden, wurde ein Präzedenzfall geschaffen, dass eine kleine Gruppe (die 8% der EU-Bürger ausmacht) die Weiterentwicklung der EU aufhalten und blockieren kann.

Nach derselben Logik können natürlich auch Polen und Ungarn (die 10% der EU-Bürger ausmachen) ihre rechtsstaatlichen und demokratischen Mängel durch Blockade festschreiben und zementieren. Oder falls umgekehrt Ungarn und Polen verweigert bleibt, was die "Sparsamen Vier bis Fünf" durften, wird sofort wieder die Doppelmoral-Debatte beginnen: die Westeuropäer dürfen blockieren, die Osteuropäer nicht.

Im Falle Polens geht es dabei sehr wesentlich um die Bestellung und Absetzung von Richtern und Richterinnen durch die Regierung, also um eine Aufhebung des Prinzips der Unabhängigkeit der Gerichte, und im Falle Ungarn geht es dabei sehr wesentlich um die Dominanz von Orbans Regierungspartei Fidesz in zahlreichen Medien und Gremien.

Der Vorschlag des niederländischen Regierungschefs Mark Rutte (also des mit 17.3 Millionen bevölkerungsreichsten Staates der "Sparsamen Vier" ), die EU-Nettozahlungen an Polen und Ungarn von der Einhaltung rechtsstaatlicher Kriterien abhängig zu machen, war im Prinzip ein guter, der nur einen großen Haken hatte: er wurde bei diesem EU-Corona-Gipfel nicht einmal richtig diskutiert. Auch deswegen, weil andere Mitglieder der "Sparsamen Vier", darunter der österreichische Kanzler S. Kurz wegen der Verbandelung mit dem ungarischen Regierungschef Viktor Orban Mark Rutte hier im Stich liess. Offenbar sind Kurz die Einhaltung von Demokratie- und Rechtsstaatsstandards in der EU ziemlich egal, das einzige, was für ihn zu zählen scheint, ist, dass er sich massenmedial selbstinszenieren kann mit der Behauptung, er habe ein bisserl was finanziell rausgeholt, und Österreich müsse nun "nur" ein bisserl weniger zahlen als vorher von so manchen befürchtet. Leider hat Kindkanzler Kurz noch immer nicht die Statur, die Erfahrung und die Unabhängigkeit, um in Europa wichtige Akzente zu setzen, sondern beschränkt sich offenbar auf populistische Akzente. Auch wenn man Kurz´ Bestrebung, der FPÖ das Wasser abzugraben, mit einer gewissen Sympathie gegenüberstehen kann, so stellt sich doch die Frage, ob er dabei nicht zu weit geht, und ob der Kollateralschaden für Österreich und für Europa dabei nicht größer sein könnte als der Nutzen.

Nun will ich anders als die vehement antieuropäische und rechtsextreme Fraktion nicht behaupten, dass dieser Gipfel absolut gescheitert sei. Denn, was hier versäumt wurde, kann vielleicht noch beim nächsten Gipfel nachgeholt werden, allerdings haben zahlreiche EU-Staaten das finanzielle Druckmittel, um auch in der Rechtsstaatsfrage weiterzukommen oder eine andere Form der europäischen Solidarität auszuverhandeln (wie zum Beispiel gemeinsame Militärinterventionen zur Verhinderung von Flüchtlingswellen) voreilig und ohne Notwendigkeit aus der Hand gegeben, vielleicht nur des schnellen und billigen massenmedialen Selbstinszenierungserfolgs wegen, so a la: "Unser Regierungschef setzt sich durch!" (Gerade in Hinblick auf die Wienwahl wurde hier eine gute Lösung möglicherweise für einen regionalen Wahlsieg verschenkt)

Dass sich alle Regierungschefs "durchsetzten", sowohl die, die eine Erhöhung des Corona-Fonds forderten, wie auch die, die eine Senkung forderten, ist a priori einmal ein Ding der Unmöglichkeit, und zweitens einmal ist eine Verschiebung der wichtigsten Fragen kein Erfolg, sondern eher ein Zeichen für eine strukturelle Schwäche der EU.

Erfolgsstory oder Trümmerhaufen ? Über die Einschätzung des EU-Corona-Gipfels sind sich Regierungspolitiker und ihnen hörige Medien einig, aber die Wirklichkeit sieht etwas anders aus ...

Der Spruch "Der Gipfel ist am Ende" könnte sich in aller Zweideutigkeit bewahrheiten ...

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