Human Rights Watch pro-französisch, anti-österreichisch ?

In seinem Bericht "Human Rights Watch World Report 2018" zeichnet die Organisation Human Rights Watch (HRW) vereinfacht gesprochen ein Gut-Böse-Bild der Marke "Gutes Frankreich - böses Österreich".

Zitate: "France provided the most prominent turning point. In other European countries— Austria and the Netherlands, foremost—centrist and center-right politicians competed with populists by adopting many of their nativist positions. They hoped to

pre-empt the populists’ appeal but ended up reinforcing the populists’ message"

"Populist extremist parties exercised an outside influence over European politics during the year. While they came second rather than first in presidential elections in France and Austria and the parliamentary vote in the Netherlands, radical

right populists entered the German parliament, and at time of writing were in talks to become part of the coalition government in Austria, following elections in October. Worse still, elements of their anti-immigration, anti-refugee and antiMuslim policy agenda continue to be embraced by mainstream political parties

in many EU countries."

"During the year, Croatia forced back asylum seekers and migrants who entered the country from Serbia without examining their asylum claims. In July, the CJEU ruled that Croatia breached EU law by allowing asylum seekers and migrants to cross into Slovenia and Austria without first examining their asylum claims."

"In May, police stopped Polish-Vietnamese activist Phan Chau Thanh from entering Vietnam, and in June, stopped former political prisoner Do Thi Minh Hanh from leaving for Austria to visit her ill mother. The same month, authorities stripped former political prisoner Pham Minh Hoang of his Vietnamese citizenship

and deported him to France."

(Zitate Ende)

Ein Punkt, auf dem HRW nicht eingeht, ist die Unterschiedlichkeit der Wahlsysteme:

Frankreich hat ein romanisches Mehrheitswahlrecht, Österreich ein Verhältniswahlrecht.

Betrachtet man die Prozentzahlen der Wählenden, so war sowohl Marine le Pen beim zweiten Wahlgang der französischen Präsidentschaftswahl (33.9%) als auch der Front National bei Regionalwahlen in Frankreich 2015 (27.9%) erfolgreicher als die FPÖ bei der Nationalratswahl.

Macrons LREM erhielt beim ersten Wahlgang 28.21% der Stimmen und war damit schwächer als ÖVP und annähernd gleichstark wie SPÖ bei der Nationalratswahl.

Im ersten Wahlgang der französischen Präsidentschaftswahl erhielt Macron 24%.

Hier davon zu sprechen, der Populismus bzw., der Rechtspopulismus sei in Frankreich entschieden zurückgewiesen worden, während in Österreich etablierte Parteien populistische Politik übernahmen, ist bestenfalls ein Teil der Wahrheit (das in der Tat auf diese konkrete Art und Weise verunglückte Verschleierungsverbot ist in Wirklichkeit eine Art Burka-Verbots-Placebo).

Vergleicht man die französischen Nationalversammlungswahlen von 2013 und 2017, so ergibt sich bzgl. FN praktisch kein Unterschied (13.2% nach 13.6%). Von einer entschiedenen Zurückweisung, die mit dem Auftauchen Macrons einhergehe, kann so gesehen keine Rede sein. In Anbetracht der Korruptionsvorwürfe gegen Marine Le Pen war das sogar ein gutes Ergebnis für den FN.

Der FN war mit einem Frauenanteil von fast 50% bei den Parlamentskandidierenden angetreten, was im Vergleich zur FPÖ sehr emanzipiert ist, deren Parlamentarierinnenanteil nur 23.5% ist (12 aus 51). Selbst wenn man annimmt, dass die FPÖ auch auf Wählendenebene eine männerdominierte Partei ist (verschiedene fundierte Schätzungen gehen von 30-35% Frauenanteil unter FPÖ-Wählenden aus), so bleibt eine Unterrepräsentation der FPÖ-Frauen in der Größenordnung von 6.5 bis 11.5%, was bedeuten würde, dass den FPÖ-Frauen eigentlich bis zu 6 Mandate mehr zustehen müssten.

Das, was HRW sich als "Zurückweisung des Rechtspopulismus" wünscht bzw. zu wünschen scheint, ist in dieser Form nur bei Mehrheitswahlrechtssystemen möglich, nicht aber bei Verhältniswahlsystemen.

Zusätzlich ignoriert HRW die prinzipielle Instabilität des französischen Systems: wenn Marine Le Pen noch einmal einen solchen Stimmenzuwachs schafft wie bei der letzten französischen Präsidentschaftswahl, dann hat sie eine Mehrheit.

Was in Österreich nicht der Fall ist: selbst wenn die FPÖ bei der nächsten Nationalratswahl noch einmal 5% zulegen sollte, dann hat sie auch erst 30%. Der FPÖ würde es sogar schwerer fallen, als stimmenstärkste Partei einen Koalitionspartner zu finden, als es ihr jetzt fiel.

HRW verschweigt die Systembedingtheit der Unterschiedlichkeit der Vorgangsweisen: nur das Mehrheitswahlsystem ermöglicht eine cordon-sanitaire-Politik mit anderen Nachteilen, während das Verhältniswahlsystem eher eine Entzauberungsstrategie erfolgversprechend erscheinen läßt.

HRW verschweigt auch, dass nach der ersten Legislaturperiode von Schwarz-Blau I (2000-2002) die FPÖ annähernd zwei Drittel ihrer Wähler verlor.

HRW verschweigt auch, dass dem französischen System immanent eine Machtfülle für Präsidenten und Parteichef Macron einhergeht, die langfristig durchaus problematisch werden kann.

HRW verschweigt auch, dass Marine le Pen im Wahlkampf den Laizismus viel mehr betonte als dies die FPÖ im österreichischen Wahlkampf tat. HRW behauptet zwar, dass ihr Frauenrechte wichtig seien, aber offensichtlich nicht beim Thema des angeblichen oder wirklichen Rechtspopulismus. Hier analysiert HRW undifferenziert. Möglicherweise folgend dem Diktum des französischen Ministers Moscovici, der meinte, die Frauenfreundlichkeit von Marine Le Pen mache den Front National noch gefährlicher. Na, wenn die geschätzte Gefährlichkeit irgendwann in der fernen Zukunft mehr zählt als die momentane und objektiv messbare Frauenfreundlichkeit, na dann haben wir wohl neue Standards in Sachen Doppelmoral erreicht.

HRW behauptet auch, die AfD hätte mit Ausnahme des Ostens am meisten Stimmen in Bayern erreicht: mit 10.5% der Erst- und 12.4% der Zweitstimmen erreichte die AfD in Bayern nicht einmal die Hälfte des Stimmenanteils anderer deutscher Bundesländer: 19.4 (20.2) in Brandenburg, 25.4 (27) in Sachsen, 22.4 (22.5) in Thüringen. In Baden-Württemberg erreichte die AfD mit 11.5% mehr Erststimmen als in Bayern, in Hessen mit 11.2% mehr als in Bayern. Bei den AfD-Zweitstimmen liegen Bayern, Hessen, Baden-Württemberg, und Rheinland-Pfalz mit ca. 12% praktisch gleichauf.

Zitat aus dem Bericht: "Beyond the economically depressed eastern parts of the country where widespread racism and xenophobia has not been tackled since the fall of the Berlin Wall, the AfD gained the most votes in wealthy Bavaria, where Merkel’s governing partner, the Christian Social Union, adopted far more of the AfD’s nativist positions than did Merkel’s CDU. Principled confrontation rather than calculated emulation turned out to be the more effective response."

Damit ist auch die implizite Behauptung von HRW, Rassismus und "Islamophobie" würden mit dem Reichtum steigen, hinfällig. Und da Österreich sowohl Nachbarland Bayerns ist, als auch sprachlich und historisch mit Bayern verbunden als auch reicher als Sachsen und Brandenburg, bringt diese faktisch-falsche HRW-Behauptung über Bayern auch Österreich in ein schlechtes Licht.

Auch das Thema des Unterschieds zwischen Islamkritik bzw. Korankritik und Anti-Muslimischer Politik berührt HRW nicht: so als müsste jeder Kritiker und jede Kritikerin des Islam bzw. des Koran bzw. mancher seiner Suren automatisch auch alle Moslems hassen, verwendet HRW hier einen einzigen Begriff. Und leistet eben genau den Menschenrechtsverletzungen Vorschub, die er zu kritisieren behauptet. Wenn Personen, die nur die orthodox-islamische Ideologie kritisieren, mit "harten" Moslem-Hassern gleichgesetzt werden, dann ist das für HRW offensichtlich kein Problem; beides wird unter "Xenophobie / Islamophobie" zusammengefasst.

Letztlich sind auch Oppositionsanhänger (auch französische !) Menschen und auch FN- oder Marine-Le-Pen-Anhänger haben Rechte.

Generell scheint in der internationalen Politik, auch in der Politik internationaler NGOs eine Tendenz zu bestehen, große und mächtige Staaten wie z.B. Frankreich, milde zu behandeln und mehr oder wenige ohnmächtige Kleinstaaten zu dämonisieren, bzw. überzogen zu kritisieren.

Diese Prügelknabenfunktion wird gerade im Falle Österreichs noch dadurch verstärkt, dass es sozusagen ein Nazi-Nachfolgestaat ist, dass Hitler geborener Österreicher war (auch wenn Hitlers Geburtsstadt Braunau eine Stadt an der Grenze zu Deutschland war), und dass alleine schon deswegen jede Form des Rechtspopulismus aus diesem historischen Hintergrund von vornherein beängstigender aussieht als in anderen Staaten.

Implizit enthalten, wenn auch nicht ausgesprochen, ist im HRW-bericht so eine Art These von der völligen Homogenität aller rechtspopulistischen Politiker und -innen. So als wäre Marine Le Pen eine Art Klon von H.C.Strache (oder umgekehrt), eine These, die ich so nicht teilen kann.

Gerade, was die Frauenfrage betrifft, kann man HRW Verharmlosung der FPÖ bzw. Straches bzw. des Einflusses der männlichen Burschenschaften nachsagen, weil die Gleichsetzung von FN und FPÖ eben den Unterschied unterschlägt, dass in der FPÖ seit der Spaltung 2004 noch nie eine Frau eine Führungsrolle innehatte (wie z.B. Riess-Passer in der Vor-Spaltungs-Ära).

Aber es mag ja sein, dass HRW genauso männlich-dominiert ist wie die FPÖ-Burschenschaften und dass dieser Unterschied zwischen FN und FPÖ daher übersehen wird.

Während der Wahlsieg von Macron im HRW-Bericht groß hervorgehoben wird, wird der Wahlsieg von Van der Bellen nicht erwähnt, den man genausogut als "Zurückweisung des Rechtspopulismus" betrachten könnte.

Im Vergleich zu Frankreich hat Österreich die demokratiepolitisch bessere Machtteilung auf mehrere Personen: Obmann der stimmenstärksten Partei (Kurz) und Staatschef (Van der Bellen) sind 2 verschiedene Personen. Während in Frankreich eine fast totalitär anmutende Machtkonzentration in einer einzigen Person (nämlich Macron) existiert.

Und letztlich ist Österreich als einflussarmer Kleinstaat weniger gefährlich als Frankreich mit seiner Machtfülle, sowohl eine EU-Großmacht zu sein als auch einen ständigen Sitz mit Veto im UN-Sicherheitsrat zu haben.

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