Kanzler Kurz albanienfeindlich und wankelmütig ?

Dieselbe ÖVP, die sich jahrelang für einen EU-Beitritt des Westbalkan einsetzte, lieferte unter Kanzler Kurz und u.U. mit Rücksicht auf Koalitionspartner FPÖ eine ziemlich atemberaubende Kurswende bzw. Kurzwende:

Albanien ist nicht nur Westbalkan, sondern das westlichste vom Westbalkan. Westlicher von Albanien sind nur mehr die Adria und Italien.

Aber Albanien ist in vielerlei Hinsicht ganz anders als die ÖVP. Viel ärmer, viel chaotischer, viel linker, viel kommunistischer (zumindest in der Geschichte), und viel areligiöser. Albanien ist eines der wenigen Länder, in denen es ein absolutes Religionsverbot gab.

Und zwar verhängt von kommunistischen Ex-Muslimen.

Gerade in der antikommunistischen ÖVP, die sich rühmt, sowohl Christen als auch Juden als auch Muslime in ihrem Parlamentsclub zu haben, nicht unbedingt gerngesehen.

In der "Presse" relativierte Kurz die Befürwortung eines albanischen EU-Beitritts zu einem Befürworten von Gesprächen zu einem albanischen EU-Beitritt.

In der Kronenzeitung ist das Kurz-Bild härter: Kurz wolle laut Kronenzeitung die drohende Öffnung der Albanienroute bekämpfen, etc.

https://diepresse.com/home/ausland/aussenpolitik/5436407/Kanzler-Kurz-pocht-auf-EUBeitrittsgespraeche-mit-Albanien

http://www.oe24.at/oesterreich/politik/Steigende-Fluechtlingszahlen-Albanien-sieht-beunruhigendes-Zeichen/335425332

http://www.krone.at/1715914

"Balkanroute muss dicht bleiben"; die Darstellung läuft darauf hinaus, dass Albanien irgendwie böse sei, ein unsicherer Kantonist, ein Staat, dem man mißtrauen müsse, ob er die Routenschliessung auch befolge. Die Frage, inwieweit die Routenschliessung durch den Merkel-Erdogan-Deal überflüssig sei, bleibt dann irrelevant.

Kein Wunder, dass der albanische Premier Edi Rama auf vielen Bildern unglücklich schaut.

"Eine Flüchtlingsroute, nämlich über Albanien, im Entstehen" ????

Was bitteschön heisst, im Entstehen ? Vorverurteilungen können sehr problematisch sein, und gerade im Zusammenhang mit einem Annäherungsprozess an die EU heikel.

Albanien ist anders gesehen durchaus ein potenzieller Verbündeter für Österreich: Albanien ist ein Kleinstaat mit weniger als 10 Millionen Einwohnern, Albanien ist kein Teil der traditionell dominierenden westlichen Staatengruppe, bzw. romanischen Sprachengruppe.

Und beispielsweise der sehr sekulare Habsburger-Kaiser Joseph II., der von der Aufklärung und der französischen Revolution sehr beeinflusst war, hat aus meiner Sicht mit seiner Religionskritik, mit seiner Klösterbeschlagnahmung eine hohe Affinität zum albanischen Religionsverbot.

manchen Theorien zufolge hat das albanische Religionsverbot alle Religionsgruppen in Albanien bescheidener gemacht, und zu einer Solidarität zwischen den verschiedenen Religionen geführt, die in dieser Form sonst nicht zu finden ist.

Natürlich hat das albanische Religionsverbot der Jahre 1968-1990 einen gewissen totalitären Touch, aber es ist insofern interessant, als es von Ex-Muslimen primär gegen Muslime verhängt wurde.

Und Albanien ist so klein, dass es nicht als Bedrohung und Umsturz von Mehrheitsverhältnissen gesehen werden kann.

https://de.wikipedia.org/wiki/Albanien

Laut letzter Volkszählung hat Albanien:

56.7% Muslime,

10% römisch-katholische,

6% albanisch-orthodoxe.

Also ganz und gar nicht das, was in das Katholizismus-Konzept des Sebastian Kurz passt.

Mit Ismail Kadare hat Albanien auch einen bedeutenden Intellektuellen und Künstler, dessen Schriften international bepreist wurden und prominent verfilmt wurden.

Kurz weist den Weg, den Albanien gehen müsse; der albanische Premier Edi Rama sieht potenziell deprimiert und enttäuscht aus.

Kleinstaaten sind eben Prügelknaben in der internationalen Politik, und Albanien ist noch kleiner als Österreich.

0
Ich mag doch keine Fische vergeben
Meine Bewertung zurückziehen
Du hast None Fische vergeben
0 von 6 Fischen

bewertete diesen Eintrag

14 Kommentare

Mehr von Dieter Knoflach