Die öffentliche Verachtung der Pflegeberufe - und ein Gegenvorschlag

Jetzt also auch Sebastian Kurz! Einem Beitrag auf derstandard.at vom 27.08.2016 kann man entnehmen, dass ein Maßnahmenpaket des Integrationsministeriums verpflichtende gemeinnützige Ein-Euro-Jobs in verschiedenen Bereichen vorsieht, darunter - erraten! - "etwa im Bereich der Pflege".

Der Nachfolger von Karl-Heinz-Grasser als Testimonial für "Österreich sucht den Lieblingsschwiegersohn" ist mit dieser Idee nicht der erste - er reklamiert nur seinen Platz in einer langen Reihe.

Während man die Unschlüssigkeit junger Menschen bezüglich ihrer Berufsauswahl mit dem Satz "Irgendwas mit Medien" persifliert, hat sich in der politischen Diskussion das "Irgendwas mit Pflege" schon lange als der deus-ex-machina, oder einfacher gesagt, als "Konrads Spezialkleber" (Schlag' nach bei Pipi Langstrumpf) für alle Probleme des Arbeitsmarktes oder der Gesellschaft entwickelt:

Wiedereingliederung von Langzeitarbeitslosen? Ab in die Pflege!

Gegenleistung für das bedingungslose Grundeinkommen? Ab in die Pflege!

Integration von Flüchtlingen? Ab in die Pflege!

Jugendliche ohne Schulabschluss? Ab in die Pflege!

Eingliederung von Häftlingen nach der Haftentlassung? Ab in die Pflege!

Resozialisierung von Hauskatzen, die neben das Katzenklo gemacht haben? Ab in.., ok, so weit sind wir noch nicht.

In allen diesen Vorschlägen liegt nicht nur ein gerütteltes Maß an Naivität - sie zeigen vor allem eine grenzenlose Geringschätzung, ja sogar Verachtung, aller Berufe im Umfeld der Pflege und sind ein ausgestreckter Mittelfinger in Richtung von Tausenden überwiegend Frauen aber auch Männer, die Tat für Tag unter widrigsten Umständen unser Gesundheitssystem und damit unsere Gesellschaft vor dem Kollabieren bewahren - widrigste Umstände deshalb, weil - wie jeder weiß, der eine Krankenschwester, einen Krankenpfleger, eine Altenpflegerin oder einen Pflegehelfer in der Familie oder im Freundeskreis hat, die Bezahlung im Vergleich zur Leistung ein Hohn ist und die Arbeitsbedingungen so gestaltet sind, dass jedem Arbeitsinspektor Tränen des Mitleids kommen müssten.

Wie, "bei Zeus' fettem Arsch" (Dr. Stanley Goodspeed), kann man nur auf die Idee kommen, der Pflegeberuf und die verwandten Nebenberufe seien etwas, was man so schnell zwischen Tür und Angel lernen könne? Vielleicht auch noch entspannt am Liegestuhl - "Ich mach' jetzt den Leibschüsseladministrator bei H...!" -, vielleicht auch noch ohne Sprachkenntnisse und vielleicht auch noch mit einer Einstellung (auch in unseren Breiten), das sei sowieso alles Frauensache?

Warum wird das als Tätigkeit gesehen, die jede(r) erlernen könne? Warum geht man im Pflegebereich davon aus, das sei ein Job (sic!), für den man nicht ein bestimmtes Aderl, ein Gespür, eine Begeisterung und gerade hier ein gerüttelt Maß an Bereitschaft zur Selbstausbeutung brauche? Dinge, die nicht jeder Arbeitslose (vom Hilfsarbeiter bis zum Maschinenbauer, promovierten Geisteswissenschaflter bis EDV-Spezialisten) oder jeder Flüchtling von vornherein mitbringt.

Wenn man auf der Homepage einschlägiger Berufsverbände unter Weiterbildung Begriffe wie "Basale Stimulation" oder "Akutgeriatrie und Remobilisation" liest, dann geht man wohl nicht fehl, dass viele, die Vorschläge á la Kurz machen, das wohl erst von ihren Assistenten googeln und übersetzen lassen müssten.

Wäre man ein wenig sarkastisch (wogegen der Verfasser dieser Zeilen natürlich gefeit ist), könnte man ja sagen: "The proof of the pudding is the eating!" und verlangen, dass über solche Vorschläge erst entschieden wird, wenn genug Politiker und Politikerinnen ihre Angehörigen in einem Feldversuch für eine Testreihe zur Verfügung gestellt haben.

Bleibt nur, zum Schluss zu dem im Titel versprochenen Gegenvorschlag zu kommen. Denn Kurz und andere übersehen eine geradezu offensichtliche Lösung: Eine Tätigkeit, die vom oben genannten Betroffenenkreis sicher mindestens genauso gerne um einen Euro ausgeführt wird wie die Alten- oder Parkpflege, eine Möglichkeit, Verantwortung zu übernehmen, viel zu reisen, am Puls der Zeit zu sein.

Einen Beruf, den man mindestens genauso schnell lernen kann wie Pflegeberufe:

Personenschützer für Politiker.

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