Abschied in Raten - ein Vormittag in Ruhe

Gestern war ja nicht so mein Tag. Das Ausbremsen beim Rasenmähen hatte seine Spuren hinterlassen. Da für mich der Tag bereits in der Früh gelaufen war, erwartete ich eigentlich nicht mehr allzu viel vom weiteren Verlauf. Je nachdem wo man seinen Standpunkt festlegt, ist mir das dann auch gelungen.

Ich habe mich zurückgezogen. In unser Wohnzimmer - mit Ausblick durchs Panoramafenster auf einen schmalen Rasenstreifen und dann nichts mehr als Wald. Grün also - und somit sehr beruhigend. Damit ich auch die nervenden akustischen Geräusche fernhalten konnte, habe ich mir Musik über Kopfhörer reingezogen - gute Laune Musik - Queen, Dire Straits und dergleichen. Einigermaßen entspannt habe ich dann auch noch zu einem Buch gegriffen. Nichts mehr sollte mich heute aus der Fassung bringen.

Draußen vor dem Panoramafenster schiebt sich auf einmal etwas in mein Blickfeld. Meine Mutter sitzt im Rollstuhl am Rand des Rasens. Ich kann zwar nicht hören, was sie sagt, aber an ihrem Gesichtsausdruck ist deutliches Missfallen über irgendetwas zu erkennen. Stückchenweise kommt nun auch Josef ins Bild. In gebückter Haltung, mit dem Allerwertesten voran - den schweren Schirmständer nach sich ziehend. Aus der Situation, die sich vorm Fenster abspielt ziehe ich dahingehend meine Rückschlüsse, dass es meiner Mutter wohl zu warm war. Allerdings erschließt sich in keiner Weise, warum sie nicht auf der Terrasse geblieben ist - da ist, da sie Terrasse teilweise überdacht ist, Schatten.

Mit der Konzentration das Buch zu lesen, ist es schlagartig wieder mal vorbei. Josef verschwindet wieder aus meinem Blickfeld, meine Mutter sitzt hoheitlich in ihrem Rollstuhl und an der Bewegung ihrer Lippen kann ich sehen, dass sie spricht, oder singt, oder sich beschwert. Letzteres ist aber unwahrscheinlich, da die Mimik halbwegs knitterfrei ist.

Josef kommt wieder. Er schiebt den Rasenmäher vor sich her und mäht offensichtlich nun selber. Ich verspüre keinerlei schlechtes Gewissen deshalb.

Angezogen durch den Krach flitzt auch der Hund über den Rasen - der pubertierende Hund. In seiner Schnauze hat er etwas stark Lädiertes, was sich bei näherer Betrachtung als Übertopf aus Plastik entpuppt. Mir fällt ein, dass ich diese Plastiktöpfe vorm Haus habe stehen lassen, nachdem ich die Kräuter gesetzt hatte. Offensichtlich hat der Hund diese gefunden und alles was er momentan findet, gehört ihm, so meint er. Josef bleibt mit dem Rasenmäher stehen, der Auffangkorb ist voll. Die Stille nutzt der Hund um sich ins Gras zu legen und den Übertopf genüsslich in ein paar Stücke zu zerkauen. Josef leert das gemähte Gras zum Biomüll, meine Mutter bewegt immer noch ihren Mund und quasselt nun den Hund nieder, was der damit quittiert, dass er lediglich ein Ohr aufstellt. Mehr Aufmerksamkeit bekommt meine Mutter nicht.

Dann erscheint Josef wieder, fixiert den Korb und startet den Rasenmäher. Der Hund - der pubertierende, bellt kurz, soviel ist aus seiner Haltung ersichtlich und verzieht sich wieder ums Hauseck. Josef entdeckt die Plastikteile und versucht diese, ohne den Rasenmäher abzustellen, zur Seite zu schaffen, was zwar sehr unterhaltsam aussieht, aber gründlich misslingt. Also steht der Rasenmäher wieder still. Meine Mutter gestikuliert mit ihren Armen. Was sie sagt, bleibt mir dank der Kopfhörer verborgen.

Der Hund trottet wieder an, neugierig wie er ist, muss er ja nun wissen, warum es still ist. Josef hebt die Plastikteile auf und bringt sie zum gelben Sack. Meine Mutter lockt den Hund, der wenig empfänglich für die Annäherungsversuche meiner Mutter ist. Ich versteh ihn irgendwie. Stattdessen verschwindet er wieder und kommt mit einem neuen Plastikbecher im Maul wieder zurück. Er erntet dafür einen warnenden Blick von Josef. Der Hund ist vollkommen unbeeindruckt davon, legt sich sehr elegant in die Wiese und zerkaut den nächsten Topf, ohne Josef dabei aus den Augen zu lassen. Mein aufkeimendes Mitleid mit Josef ersticke ich im Keim.

Ich genieße die Musik aus den Kopfhörern und beginne wieder zu lesen. Hin und wieder werfe ich einen Blick aus dem Fenster. Der Fortschritt beim Rasenmähen hält sich in Grenzen, was ich darauf zurückführe, dass Josef abwechselnd meine Mutter neu positioniert, den Schirmständer über den Rasen zieht und nach und nach alle Plastikteile, die der Hund großzügig über den Rasen verteilt, einsammelt. Der Part meiner Mutter besteht darin, im Rollstuhl zu sitzen und zu gestikulieren. Hin und wieder gerät auch der Hund in mein Blickfeld und einmal, so bilde ich mir ein, wirft mir Josef einen bösen Blick zu, aber da kann ich mich auch irren.

Was soll‘s, denke ich - spätestens wenn ich in die Küche gehe, um das Mittagessen zu kochen, bin ich der üblichen Geräuschkulisse ohnehin wieder ausgesetzt - bis dahin allerdings genieße ich meinen Stummfilm vorm Fenster, meine Musik im Ohr und mein Buch. Morgen sieht ja sowieso wieder alles anders aus.

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Spinnchen

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fischundfleisch

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Joekah

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