Abschied in Raten - gegessen wird, was auf den Tisch kommt

Zugegeben - bei uns geht es momentan eher zu wie in einem Irrenhaus. Josef stapelt die Umzugskartons fein säuberlich in einer Ecke des Zimmers übereinander. Ich nehme sie wieder vom Stapel, mache sie auf, suche, finde oder finde auch nicht, und ordne sie anders an. Anschreiben wäre eine Möglichkeit, aber das kann ja jeder - und vor allem macht dann ja auch das Suchen nur mehr halb so viel Spaß.

Meine Mutter sitzt inmitten des Chaos und fragt, ob wer auszieht. Wir ziehen alle aus, erkläre ich ihr und sie versichert mir, dass sie ganz bestimmt nicht auszieht. Schließlich sei das ihr Haus. Seltsam, dass ich nichts davon weiß, denke ich, sage aber keinen Ton und lass den Besitzanspruch meiner Mutter einfach im Raum stehen.

Ich denke, dass ich noch die Bettwäsche einpacken muss. Bettwäsche ist bei uns ja Massenware, da das Bett meiner Mutter nahezu täglich neu bezogen werden muss. Ich begebe mich also auf die Terrasse, freue mich, dass das Wetter perfekt fürs Wäschetrocknen ist und überlege, warum ich drei Kopfkissen, aber nur zwei Deckenüberzüge finde. Und bei genauerer Betrachtung passen nicht mal die zueinander.

Josef ist unschuldig, wie immer, zumindest versichert er mir treuherzig, dass er nur zusammenpassendes Bettzeug auf die Wäscheständer gehängt hat. Es wäre mir neu, dass Josef farbenblind wäre. Da ich keinen Kopf dafür habe, nach der verschwundenen Bettwäsche zu suchen, gehe ich wieder ins Haus.

Meine Mutter empfängt mich mit der Frage, was es zu essen gäbe. Es ist gerade einmal halb elf - mit Müh und Not hat es meine Mutter vor einer dreiviertel Stunde aus dem Bett geschafft und ein recht ordentliches Frühstück vertilgt. Ich frage, ob sie Hunger habe und sie verneint das sofort. Da ich generell froh bin, wenn meine Mutter isst, haste ich in die Küche und hole einen Teller, auf den ich eine halbe Banane und drei Softkekse lege. Sicher ist sicher.

Jetzt noch etwas zu trinken, denke ich und suche auf dem Tisch vergelblich nach ihrem Saftglas. Der permanent unschuldige Josef hat auch das Saftglas nicht weggeräumt, versichert er entrüstet. Wahrscheinlich sind "Keiner" und "Niemand" unbemerkt wieder bei uns eingezogen. Jahrelang haben die beiden bei uns gewohnt, und jeder der Kinder hat, weiss das.

Dann hole ich eben ein anderes Glas aus der Küche und als ich zurückkomme ist der Teller leer und meine Mutter hat Hamsterbacken. Ich bekunde meine Freude darüber, dass es ihr schmeckt und meine Mutter sieht mich an und behauptet, dass sie nichts gegessen habe, wobei ihr ein paar Krümel auf dem Gesicht fallen, die ihre Geschichte Lügen strafen. Mich erheitert das zugegebenermaßen - wie dreist meine Mutter Dinge behaupten kann, die definitiv nicht wahr sind, und gleichzeitig so unschuldig wirkt.

Josef hievt den nächsten Karton auf den Stapel und ich werfe einen Blick hinein. Viel kann ich nicht sehen, aber ein Zipfel Bettwäsche, welcher ganz verdächtig so aussieht, wie der, den ich eben nicht finden konnte, blitzt hervor. Josef bemerkt meinen fragenden Blick und setzt nun seinerseits auch ein unschuldiges Gesicht auf. Die beiden sind ein Katastrophenduo.

Aus dem Augenwinkel sehe ich, dass sich meine Mutter etwas in den Mund steckt. ich überlege, was noch Essbares auf dem Tisch gewesen sein könnte und inspiziere meine Mutter genauer. Ich muss zu lachen beginnen, was meine Mutter dazu veranlasst, mit leicht angesäuertem Gesicht das Paar Socken auf den Tisch zu legen. Sie echauffiert sich, dass sie es nicht so sonderlich witzig finden würde, so eine zähe Semmel essen zu müssen. Josef, der für gewöhnlich in den Keller zum Lachen geht, verzieht auch das Gesicht, versucht aber ernst zu bleiben, damit meine Mutter sich nicht ausgelacht fühlt. Ich täusche einen Hustenanfall vor und verzieh mich nach nebenan.

Das kann ja heiter werden. Nach drei weiteren hektischen Runden durchs Haus, immer ein Stück von A nach B räumend, fragt meine Mutter, was es zu essen gibt. Ich kapituliere und geh in die Küche. Da Josef weiter im Haus rumwuselt, dauert es nicht lange und meine Mutter steht mit zittrigen Beinen in der Tür und fragt mich, ob ich da bin, was zwar für mich offensichtlich ist, aber für meine Mutter einer Bestätigung bedarf. An den Tisch setzen will sie sich nicht. Da wäre sie alleine, jammert sie. Dass der Tisch genau in einen Meter Luftlinie entfernt gleich hinter der Wand steht, ist zuviel zumutbare Entfernung für meine Mutter. Ich organisiere ihr einen Stuhl und platziere sie so in der Küche, dass sie einerseits meine Bewegungsfreiheit nicht einschränkt und andererseits nicht zum Herd gelangt. Man weiss ja nie so genau, was ihr einfällt.

Ich öffne den Kühlschrank und fische die Zuccini aus dem Gemüsefach. Meine Mutter sitzt seelenruhig da und beißt, ohne das Gesicht zu verziehen, in einen Putzschwamm.

Warum hat mir keiner gesagt, dass schon wieder Vollmond ist.........

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Joekah

Joekah bewertete diesen Eintrag 14.12.2015 23:17:13

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