Abschied in Raten - morgendlicher Gesang

Gegen halb vier heute morgen hat meine Mutter beschlossen, dass die Nachtruhe zu Ende ist. Übers Babyphon höre ich erst das Bett ein bisschen quietschen. Das ist ein allnächtliches Phänomen, kurz bevor meine Mutter die Toilette aufsucht, so sie diese denn findet. Ich warte auf das vertraute Geräusch der sich öffnenden Tür, aber es bleibt still. Fein, denke ich, dann hat sich meine Mutter wohl nur umgedreht. Obwohl - normalerweise geht sie um diese Zeit immer aufs Klo.

Ich konzentriere mich also aufs Belauschen des Babyphons - aber nichts. Die Kontrolllampe leuchtet . kaputt gegangen ist es also offensichtlich nicht. Ich beginne mich mit dem Gedanken auseinanderzusetzen, dass meine Mutter eventuell still und leise den Löffel abgegeben hat. In meinem Inneren entfacht ein Kampf. Soll ich Josef aufwecken, oder selber nachsehen. ich entscheide mich für Zweiteres, schäle mich unter der Decke hervor und suche mit meinen Zehen im Dunkeln meine Hausschuhe. Dann schleiche ich ums Bett und gerade als ich am Babyphon vorbeikomme, erschallt die Stimme meiner Mutter. "Mamatschi, schenk mir ein Pferdchen......" Ich atme den drohenden Herzinfarkt weg und drehe das Babyphon ab. Meine Mutter trällert munter weiter, 2 Oktaven zu tief, aber mit Begeisterung. Babyphon brauche ich keines mehr, meine Mutter ist hervorragend durch 2 Türen zu hören. Ihre Singstimme zeigt keinerlei Anzeichen einer Schwäche. Da ich den Originalton ja nicht abdrehen kann, wacht auch Josef auf.

Sein vom Schlaf zerknittertes Gesicht spricht Bände. Ich schlurfe ins Zimmer meiner Mutter, wünsche einen schönen guten Morgen und bitte Sie, den Gesang auf später zu verschieben. Meine Mutter hält kurz inne, ignoriert mich dann aber und singt weiter. Da ist wohl nichts zu machen, denke ich und ergebe mich meinem Schicksal. Von der Musikauswahl her hätte es mich schlimmer treffen können, von Mamatschi kennt meine Mutter zumindest weitgehend den Text. Andere Titel, bei denen der Text meiner Mutter nicht mehr so geläufig sind, präsentieren sich oft als eine sich dauernd wiederholende erste Zeile eines Liedes. Das grenzt bei manchen Liedern an Folter.

ich setzte mich kurz zum Esstisch - solange meine Mutter singt, wird das mit dem Schlafen ohnehin nichts. Die Gesangseinlage hört ebenso abrupt wieder auf, wie sie begonnen hat. Unschlüssig, ob ich reagieren soll, lasse ich ein bisschen Zeit verstreichen. Meine Mutter ruft nach Josef. Josef hat es vorgezogen, im Bett zu bleiben, aber da ich schon wach bin, kann ich ja mal mein Glück versuchen und ich gehe wieder zurück ins Zimmer meiner Mutter. Meine Mutter sieht mich an und ruft nach Josef. Vielleicht hat mich meine Mutter nicht gesehen, denke ich, werde aber in meinen Gedanken unterbrochen, da mich meine Mutter fragt, was ich will.

Eigentlich will ich gar nichts, aber weil ich schon mal da bin, frage ich meine Mutter freundlich, ob sie was braucht. Selbstverständlich braucht meine Mutter nichts, was ich auf die Reihe bekommen würde. Also schweigt sie mich eine Zeitlang an und ruft dann demonstrativ nach Josef. Josef schläft noch, versuche ich meiner Mutter zu erklären, aber das weckt keinerlei Interesse bei meiner Mutter. Sie zieht fragend ihre Augenbrauen hoch, so als wäre es ihr unverständlich, warum ich immer noch im Zimmer stehe, wo ich doch besseres zu tun hätte - nämlich augenblicklich dafür zu sorgen, dass Josef erscheint. Da ich keinerlei Anzeichen mache, Josef zu holen, beschliesst meine Mutter, noch ein wenig zu singen. Morgens um knapp vor vier hat das Haus aber auch eine besonders einladende Akustik.

Josef erscheint nun doch von selber, etwas schlaftrunken und immer noch nicht entknittert. Meine Mutter verstummt, strahlt Josef an und fragt, ob sie noch schlafen kann. Josef nennt sie liebevoll Queen Mum, klärt kurz, ob meine Mutter zur Toilette muss und als sie dies verneint, verstaut er ihre dünnen Beine im Bett, streicht die Decke glatt und verspricht, dass er sie zum Frühstück aufwecken wird.

Wir gehen also wieder zu Bett - meine Mutter hat offensichtlich vom Singen erstmal genug, denn aus dem wieder aufgedrehten Babyphon kommt kein Ton mehr. Vielleicht geht sich ja noch das eine oder andere Stündchen Schlaf aus.

Josef ist jetzt scheinbar munter. Er stimmt summend ein Lied an..... Mamatschi, schenk mir ein Pferdchen.....

ich überlege, ob ich mildernde Umstände gelten machen kann, wenn ich ihn erwürge............

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Joekah

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fischundfleisch

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